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Krim
Alltag unter neuer Flagge

Auf der von Russland annektierten Halbinsel Krim kehrt allmählich wieder der Alltag ein. Die weitaus meisten Bewohner sind automatisch russische Staatsbürger geworden. Wer damit nicht einverstanden war, ist nun Ausländer im eigenen Land. Viele, die keine Russen werden wollen, haben die Krim verlassen. Aber nicht alle.

Von Gesine Dornblüth | 04.08.2014
    Eine Frau mit Kinderwagen in einem Flüchtlingslager auf der Halbinsel Krim, 20 Kilometer von Simferopol.
    Eine Frau mit Kinderwagen in einem Flüchtlingslager auf der Halbinsel Krim, 20 Kilometer von Simferopol. (AFP / Max Vetrov)
    Liza Boguckaja hat ihr Auto in einer Seitenstraße Simferopols geparkt. Der Wagen fällt auf. Eine Borte ist auflackiert, handbreit, weiß mit rotem Zickzack. Ein traditionelles ukrainisches Muster.
    "Ich bin Staatsbürgerin der Ukraine und ukrainische Patriotin. Für mich ist die Ukraine ein Symbol der Freiheit.
    Ich höre im Auto auch meist laute ukrainische Musik – Volkslieder, ernste Musik, oder die Nationalhymne der Ukraine. Die schalte ich ein, wenn ich am Sitz des Geheimdienstes oder am Innenministerium vorbeifahre."
    Auf der Konsole steckt ein blau-gelbes Fähnchen. Die meisten Autos auf der Krim sind dagegen mit russischen Fähnchen geschmückt.
    "Manche Leute winken mir zu oder werfen mir Blumen ins Auto. Das sind wenige. Andere reagieren aggressiv. Gestern wollte ein Mann mein Fähnchen wegreißen. Ich wisse wohl nicht, in welches Land ich gefahren sei. Der wusste ja nicht, dass ich hier geboren bin und mein ganzes Leben hier verbracht habe."
    Liza Boguckaja ist Designerin, selbständig, 51 Jahre alt, Mutter zweier Kinder. Die kleine, schlanke Frau trägt Jeans, Flipflops, ein Trägerhemd, eine bunte Brille. Sie ist ethnische Russin. Trotzdem hat sie nach der Annexion der Krim die russische Staatsbürgerschaft abgelehnt.
    "Ich bin gegen jede Form von Gewalt. Egal, in welchem Staat. Ob das Russland ist, die Türkei oder Amerika. Wenn hier jemand herkommt und sagt, von jetzt an bestimme ich, dann gefällt mir das nicht."
    "Jetzt leben wir wieder unter Besatzern"
    Liza Boguckaja geht in einen nahegelegenen Park, setzt sich auf eine Bank. Unter Bäumen steht ein Denkmal, ein sowjetischer Panzer aus dem Zweiten Weltkrieg. Davor liegen frische Blumen und ein Kranz mit einer Schleife in den russischen Nationalfarben.
    "Der Panzer erinnert an die Menschen, die das Land von den deutschen Besatzern befreit haben. Jetzt leben wir wieder unter Besatzern. Und die sind stolz auf das Denkmal für diejenigen, die die Besatzer verjagt haben. So gehen die Werte durcheinander. Mein Sohn kommt jetzt in die elfte Klasse. Er hat ukrainische Geschichte gelernt. Jetzt wird er russische Geschichte lernen müssen. Er wird hören, dass es die Ukraine nie zu einem richtigen Staat gebracht hat, und dass Ukrainisch keine richtige Sprache ist, sondern eine minderwertige Variante des Russischen. Ich habe ihm gesagt: Du wirst das auswendig lernen, und du wirst es in der Schule aufsagen, damit du gute Noten bekommst. Aber zuhause bringe ich dir richtige Geschichte bei."
    Liza Boguckaja nimmt eine Menge in Kauf, um Ukrainerin auf der Krim zu bleiben. Ihre Geschäfte sind schwieriger geworden, seit die Krim russisch ist. Die meisten Kunden sitzen jetzt im Ausland, in der Ukraine. Die ukrainischen Banken auf der Krim sind geschlossen, Überweisungen funktionieren nicht oder nur gegen hohe Gebühren. Ohne russischen Pass hat Liza Boguckaja außerdem keinen Anspruch auf die kostenlose medizinische Versorgung, die die neuen, russischen Machthaber versprochen haben. Sie hoffe einfach, dass die Krim irgendwann wieder zur Ukraine gehöre, sagt sie. Solange wolle sie aushalten. Sie schreibt darüber im Internet. Sie hat mehr als zehntausend Follower.
    "Ich werde sehr oft bedroht. Physisch, psychologisch, über meine Kinder. Mir zu drohen, nützt aber nichts. Mich muss man schon von der Krim heruntertragen."
    3.000 Krimbewohner haben russischen Pass abgelehnt
    Etwa 3.000 Krimbewohner haben, wie Liza Boguckaja, offiziell den russischen Pass abgelehnt. Alle anderen sind jetzt formal russische Staatsbürger. Eine von ihnen ist Ljuba, 21 Jahre alt. Sie geht gern zu McDonalds, doch die Filiale in Simferopol ist geschlossen. Am Abend fährt sie mit ihrem Freund Sascha durch die Stadt. Er hat sogar schon das Auto umgemeldet, hat sich russische Kennzeichen besorgt. Ljuba studiert in Simferopol Management.
    "Ich sehe mich als Geisel der Umstände. Mein Vater hat schon seit fünf Jahren einen russischen Pass. Er arbeitet in der Flugzeugindustrie in Tjumen im Norden Russlands. Ich bin nicht sofort mit fliegenden Fahnen losgerannt, um einen russischen Pass zu bekommen. Aber jetzt gehöre ich dazu."
    Der russische Staat investiert viel Geld, um die neuen Staatsbürger bei Laune zu halten. Renten und Gehälter auf der Krim wurden erhöht, teils um das Dreifache.
    "Mein Stipendium ist auch gestiegen. Es war in der Ukraine schon höher als in Russland. Jetzt haben sie noch mal was drauf gelegt. Dadurch bekomme ich doppelt so viel wie ein Student im Rest Russlands."
    Ljuba sagt, sie versuche, neutral zu bleiben.
    "Ich liebe die Ukraine sehr, ich mag die ukrainische Sprache lieber als die russische, ihre Melodie. Ich mag die Städte der Ukraine. Aber genauso mag ich Russland. Wenn es nun mal so gekommen ist – was kann man da machen. Man muss das akzeptieren."
    Die Unternehmerin Liza Boguckaja will es nicht akzeptieren. Sie geht zurück zu ihrem Auto. An der Windschutzscheibe steckt ein Zettel. Darauf ein Pfeil zu dem ukrainischen Fähnchen im Wageninneren und drei handgeschriebene Worte: Koffer – Bahnhof - Kiew.
    "Wenigstens haben sie das Auto nicht zerkratzt. Das ist mir vor drei Tagen vor einem Supermarkt passiert. Aber ich habe mehrere Autos. Dieses ist nicht so teuer, da sind die Kratzer nicht so schlimm."
    Dann steigt sie ein. Bevor sie losfährt, schaltet sie die ukrainische Hymne ein.