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Krimi Brennerova
Hinterfotziger Humor mit bizarrem Sprachwitz

Mit seinen Krimis rund um den Detektiv Simon Brenner hat sich der österreichische Autor Wolf Haas in den letzten Jahren auch in Deutschland Kultstatus erschrieben. In seinem jüngsten Roman "Brennerova" entführt Haas seine Leser nach Moskau. Brenner bekommt es mit einem Mädchenhändlerring zu tun und muss eine Scheinehe mit einer Russin eingehen.

Von Günter Kaindlstorfer | 23.12.2014
    Ein Mann sitzt vor einer US-Dating-Seite an seinem Computer
    Über ein russisches Damenvermittlungsportal im Internet lernt Simon Brenner, so hat Wolf Haas sich das ausgedacht, die schöne Nadeshda aus Nischni-Nowgorod kennen. (AFP PHOTO/EVA HAMBACH)
    Trautes Heim, Glück allein: Eigentlich müßte Simon Brenner, Wolf Haas' in Dutzenden Mordfällen gestählter Ermittler, wunschlos glücklich sein, hat er doch endlich, im nunmehr achten Brenner-Roman, sein Herz an eine feste Lebensabschnittspartnerin verloren.
    "Der Brenner ist eigentlich zum ersten Mal in seinem Leben zufrieden. Er hat eine ausgezeichnet zu ihm passende Partnerin gefunden, die Herta, eine pensionierte Gymnasiallehrerin, die pensioniert wurde, weil sie einem Schüler eine betoniert hat, wie es im Buch heißt, und die beiden kommen sehr gut aus miteinander, und der Brenner ist natürlich einer, der das nicht lange aushält, er muss sofort wieder einen Blödsinn anstellen, damit wieder alles durcheinander geht."
    Die schöne Nadeshda aus Nischni-Nowgorod
    Über ein russisches Damenvermittlungsportal im Internet lernt Simon Brenner, so hat Wolf Haas sich das ausgedacht, die schöne Nadeshda aus Nischni-Nowgorod kennen. Der Brenner nichts wie hin in die 1,5-Millionen-Metropole am Wolgastrand, um auch persönlich Bekanntschaft mit der jungen Dame zu schließen – und damit beginnen natürlich die Kalamitäten. Wolf Haas, mit allen satirischen Wassern gewaschen, entwickelt in seinem Buch so etwas wie eine kritische Phänomenologie der russischen Frau:
    "Früher hat man gesagt, die Russinnen. Die sind groß und muskulös wie Hammerwerfer, die arbeiten beim Straßenbau, und unter den Achseln haben sie so viele Haare, dass sich noch ein Toupet für ihren Mann ausgehen würde und ein zweites für den ersten Parteisekretär. Da hat man gesagt, Russinnen sind Mannweiber, und wenn sie ihren Diskus werfen, musst du in Deckung gehen, weil Kraft wie ein Traktor aus Minsk oder aus Krasnodar. Dann hat es auf einmal geheißen, die Russinnen, das sind die dünnsten Fotomodelle, die teuersten Nutten, da musst du als Mann schon ein Hochhaus haben, damit sich so eine überhaupt von dir scheiden läßt, am besten mit einem Privatzoo, weil Beine wie eine Giraffe, Taille wie eine Wespe, Augen wie die Biene Maja."
    Projektionsenergie der russischen Frau
    "An den russischen Frauen hat mich einfach die Projektionsenergie interessiert. Die potenziellen Partnerinnen aus der näheren Umgebung, die kennt man ja, die kann man relativ gut einschätzen. Vielleicht macht man sich mit fünfzehn noch Illusionen über das andere Geschlecht, aber irgendwann kennt man sich dann doch aus damit, aber die exotische Frau ist natürlich eine ideale Projektionsfläche für Wunschvorstellungen und Phantasien, und für einen Detektiv ist das eigentlich höchst gefährlich, denn er sollte ja immer klaren Kopf bewahren, und den verliert der Brenner hin und wieder."
    Erst recht läßt Wolf Haas' Held alle Vorsicht fahren, als Nadeshda ihn bittet, in der Wiener Bordellszene nach ihrer verschwundenen Schwester zu fahnden, die, so scheint's, einem ruchlosen Mädchenhändlerring in die Hände gefallen ist: dem sogenannten Wu-Tan-Clan.
    "Die brutalen Elemente des Kriminalromans interessieren mich ja eigentlich überhaupt nicht. Darum versuche ich immer wieder, mit möglichst wenigen Zeilen das so drastisch wie möglich zu erledigen, damit die Genreregeln des Kriminalromans erfüllt sind."
    Anflug von Melancholie
    Und deshalb läßt Wolf Haas den "Wu-Tan-Clan" in "Brennerova" auch nicht davor zurückschrecken, die Hände missliebiger Zeitgenossen knapp oberhalb des Handgelenkes einfach abzuhacken. Auch Simon Brenner gerät ins Visier der Kriminellen, was den Detektiv indes nicht zu ängstigen vermag. Immerhin hat der Brenner in seinen knapp zwanzig Dienstjahren schon brenzligere Situationen er- und überlebt.
    Er sei, konstatiert Wolf Haas nicht ohne einen Anflug von Melancholie, zusammen mit seinem Detektiv gealtert. Im ersten Brenner-Roman, 1996 erschienen, war Haas' Protagonist noch Mitte vierzig, heute ist der Brenner weit über sechzig. Da kann man, räsoniert der Autor, schon ein wenig nachdenklich werden.
    "Ich glaube, Älterwerden ist für jeden schwierig. Ich konnte es relativ lang hinausschieben, weil ich früher in einer Werbeagentur gearbeitet habe, und da war ich mit 35 schon ein alter Werber, und plötzlich, als ich Bücher zu schreiben begann, war ich wieder Jungautor. Aber das hat auch nicht ewig gewährt. Jetzt gehöre ich komischerweise auch bei den Schreibenden schon nicht mehr zu den ganz so Jungen. Das Schreiben selbst wird natürlich in manchem leichter, weil man ja Erfahrung hat, aber in vielerlei Hinsicht wird's auch schwieriger, weil man nicht mehr ganz so nassforsch ist und sich auch selbst ein bisschen kritischer sieht."
    Schräger Schmäh des Österreichers
    Russland, gibt Wolf Haas zu, interessiert ihn gar nicht besonders. Dass er sich in "Brennerova" der postsowjetischen Lebenswirklichkeit zuwendet, meint der Autor, verdanke sich einem, wie soll man sagen, surrealen Einfall:
    "Ursprünglich habe ich mir einen Ordner im Computer angelegt, wo ich alle Brenner-Dateien reingeschmissen habe, und diesen Ordner habe ich, ohne zu überlegen, "Brennerova" genannt. Das waren Fragmente, die ich nicht mehr weiter bearbeiten wollte. Und der einzige Systemfehler war, dass mir der Name des Ordners dann so gefallen hat. Zuerst war das gar keine Person, sondern nur ein Ordner, bis ich mir eines Tages gedacht habe, das könnte doch eigentlich eine russische Frau vom Brenner sei: Brennerova. Und so hat sich das dann entwickelt, ohne dass ich vorher irgendein spezielles Interesse für Russland hatte."
    Wolf Haas' Bücher sind nicht nach jedermanns Geschmack, vor allem nördlich des Weißwurst-Limes tun sich manche mit dem schrägen Schmäh des Österreichers schwer. Hinterfotziger Humor paart sich auch in "Brennerova" mit bizarrem Sprachwitz und einer ins Aberwitzig-Surreale hinein gesteigerten Thriller-Handlung. Wer frühere Wolf-Haas-Bücher gemocht hat, wird auch an diesem seine Freude haben.
    Wolf Haas: "Brennerova", Roman, Hoffmann und Campe, Hamburg, 240 Seiten, EUR 20,00