Donnerstag, 18. April 2024

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Kriminalität in Bad Godesberg
Zwei Welten im Konflikt

Die Botschaften sind weg, die Kriminalität ist da: Das Stadtbild des ehemaligen Bonner Diplomatenviertels Bad Godesberg hat sich mit dem Umzug der Regierung nach Berlin stark gewandelt. Der Stadtbezirk hat mit Kleinkriminellen und Jugendbanden zu kämpfen. Viele Anwohner fühlen sich nicht ausreichend geschützt.

Von Vivien Leue | 02.06.2016
    Jugendliche stehen am 20.05.2016 in Bonn (Nordrhein-Westfalen) am Bahnstation des Stadtbezirkes Bad Godesberg. In dem Bonner Stadtteil an einem Rondell in Bahnhofsnähe wurde ein 17-Jähriger auf der Straße totgeprügelt.
    Viele Bad Godesberger finden, dass in den letzten Jahren nicht genug für die Sicherheit der Bürger getan wurde. (dpa/picture alliance/Maja Hitij)
    "Das ist der Stadtpark, der geht da rüber, das ist der Tennisclub, gegenüber ist das Rathaus. Früher hatten wir schräg gegenüber die chinesische Botschaft. Auf der anderen Seite war die spanische Botschaft. Und deswegen war das immer eine absolut sichere Lage."
    Walter Ullrich steht auf der Terrasse seines Kleinen Theaters in Bad Godesberg und zeigt auf die Umgebung. Idyllisch wirkt es hier: Ruhig, grün, friedlich. Die verwinkelte Stadtvilla, die seit fast 50 Jahren sein Theater beherbergt, passt perfekt in diese Umgebung aus alten stuckverzierten Häusern, kleinen begrünten Plätzen und größeren Parks.
    Umzug der Regierung hat alles verändert
    Bad Godesberg ist das ehemalige Diplomatenviertel Bonns – hier residierten Botschafter, Politiker und generell die gut betuchte Elite der ehemaligen Bundeshauptstadt. Mit dem Umzug nach Berlin, der vor etwa 20 Jahren begann, sei dann alles anders geworden.
    "Wenn so viele Leute, 50.000 schätze ich mal, mit den umliegenden Ortschaften, umgezogen sind nach Berlin, dafür müssen natürlich andere herkommen. Dadurch hat es sich ja natürlich sehr verändert. Leider nicht zum Guten. Für mich jedenfalls nicht."
    Das gesamte Stadtbild des ehemals vornehmen Viertels habe sich gewandelt:
    "Es begann damit, dass die schönen Geschäfte, die wir alle hatten - vom Feinkostladen bis zum exklusiven Porzellangeschäft usw. - alle nach und verschwanden, und das ist im Laufe der letzten Jahre immer schlimmer geworden. Wenn Sie heute über die Hauptstraße gehen, sehen Sie nur noch Döner und Ein-Euro-Läden. Also das ist ein richtiger Abstieg."
    Viele Einbrüche, kriminelle Jugendbanden
    Außerdem sei es unsicher geworden, sagt Ullrich. Er schaue sich jetzt dreimal um, bevor er nachts alleine zu seinem Auto gehe. Schon mehrfach sei in das Theaterhaus eingebrochen worden. Tatsächlich hat Bad Godesberg seit Jahren vor allem mit kriminellen Jugendbanden zu kämpfen, auch wenn die Zahl der Einbrüche zurückgegangen ist, erklärt Polizei-Sprecher Frank Piontek:
    "Es ist so, dass wir seit fast einem Jahrzehnt es immer wieder mit Gruppen, mit kleinen Banden tun haben, meist Jugendlicher, die dort in kurzer Zeit sehr viele Taten begehen. Meist klassische Straßenkriminalität: Körperverletzungen, Straßenraubdelikte, Handy-Abziehereien beispielsweise."
    Ist eine Gang gefasst, dauert es nicht lange, bis die nächste kommt. Die Jugendlichen stammen nicht nur aus Bad Godesberg, zum Teil reisen sie auch aus Duisburg oder Köln an. Denn es sei eben auch überregional bekannt, dass in Godesberg noch immer viele Wohlhabende wohnen. Die bei den Anwohnern so beliebten begrünten Plätze und kleinen Parks böten günstige Tatgelegenheiten, berichtet der Polizist.
    Zwei Welten treffen aufeinander
    Vor gut sechs Jahren griff erstmals ein Theaterstück das auf, was vorher in Bonn nur gemunkelt wurde: "Zwei Welten" hieß es und beschrieb ein Viertel, das von reichen Bürgerlichen auf der einen Seite und perspektivlosen Jugendlichen mit Migrationshintergrund auf der anderen Seite bewohnt wird.
    Die Bad Godesberger Bezirksbürgermeisterin Simone Stein-Lücke mag den Gedanken der zwei Welten nicht. Aber sie gibt zu, dass hier ganz verschiedene Menschen wohnen, das habe vor allem mit der besonderen Historie des Stadtviertels zu tun.
    "Also Bad Godesberg hat zu den guten alten Bonner Republik-Tagen, als die Bundesregierung hier noch in der Hauptstadt saß, wie in so einer Schneekugel gelebt. Die ganze Welt tanzte um uns herum. Sehr geschützter Bereich, jedes zweite, jedes dritte Haus hatte Polizeischutz."
    Mittlerweile komme der Stadtteil – und mit ihm die alteingesessene Bevölkerung – in der Realität an:
    "Wir haben ein auf normal zurückgeführtes Polizeiaufgebot. Aber gefühlt - gerade für die älteren Herrschaften - ist das natürlich eine ganz andere Welt geworden."
    Zeiten des intensiven Polizei- und Objektschutzes sind vorbei
    Allerdings gab es auch früher, zu Bonner Regierungszeiten, Viertel im Stadtbezirk, die eher von der unteren Mittelschicht und von ausländischen Gastarbeitern bewohnt waren. Statt opulenter Villen prägen dort mehrstöckige Nachkriegsbauten das Straßenbild. Nur gab es damals so viel Polizei- und Objektschutz, dass sich die Bevölkerungsgruppen nicht mischten, ja kaum in Kontakt kamen. Die Leiterin des örtlichen Jugendzentrums K7, Angelika Mette, hat diese Zeiten noch erlebt. Während damals die hohe Polizeipräsenz wie eine Mauer zwischen den Welten fungierte, müssten diese jetzt eben zusammenleben. Dieser Prozess des Sich-Aneinander-Gewöhnens dauere noch an, sagt Mette:
    "Da sind natürlich viele Dinge, die noch zusammen wachsen müssen. Von daher ist zu wenig Zeit vergangen. Es ist sicherlich Gemeinsamkeit schon gewachsen, aber es muss noch weiter gefördert und ausgeprägt werden."
    Viele Bad Godesberger, wie Theatermacher Walter Ullrich, finden, dass genau das in den letzten Jahrzehnten nicht genug getan wurde: Grenzen aufzeigen und Wege finden, wie ein Zusammenleben klappen kann. Ullrich glaubt nicht mehr an schnelle Veränderungen. Er ist mittlerweile einen Ort weiter gezogen, auch wenn ihm das sehr schwer fiel:
    "Das betrübt mich sehr. Ich habe diesen Ort sehr geliebt."
    Aber diesen Ort, das piekfeine Diplomatenviertel Bad Godesberg, das gibt es nicht mehr. Und das wird es so auch nicht mehr geben.