Dienstag, 16. April 2024

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Krise in der CDU
Bosbach: "Es ist nicht mehr klar, wofür die Union steht"

Den Bürgern sei derzeit nicht mehr klar, was die Union von der politischen Konkurrenz unterscheide, sagte der CDU-Politiker Wolfgang Bosbach im Dlf. Mit Blick auf die Kanzlerfrage habe er sich immer für den Kandidaten mit den besten Chancen ausgesprochen. Das sei - Stand heute - Markus Söder.

Wolfgang Bosbach im Gespräch mit Dirk-Oliver Heckmann | 29.03.2021
Wolfgang Bosbach, Vorsitzender der Kommission (CDU) spricht bei einer Pressekonferenz anlässlich der Übergabe des Abschlussberichts der Regierungskommission "Mehr Sicherheit für Nordrhein-Westfalen" (Bosbach-Komission) im August 2020.
"Wir können uns nicht permanent mit uns selbst und der K-Frage beschäftigen", sagte der CDU-Politiker Bosbach im Dlf (picture alliance/dpa - Henning Kaiser)
Impfdebakel, Maskenaffäre und katastrophale Ergebnisse bei den Landtagswahlen in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz: In der neuen "Politbarometer"-Projektion der Forschungsgruppe Wahlen verlieren die Unionsparteien sieben Prozentpunkte - sie kommen jetzt nur noch auf 28 Prozent. Einen solchen Absturz hat es in der Geschichte des "Politbarometers" noch nie für eine Partei gegeben. Auch in anderen Umfragen fallen CDU und CSU unter die Marke von 30 Prozent.

Bosbach sieht "ernste Lage" für die CDU

"Wenn wir in wenigen Monaten - ab Dezember, Januar, ab dem Jahreswechsel - so viel an Zustimmung verlieren, dann ist das eine ernste Lage", sagte dazu der CDU-Politiker Wolfgang Bosbach im Deutschlandfunk.
In einem Interview mit der Journalistin Anne Will verteidigte Kanzlerin Angela Merkel (CDU) zwar die bisherigen Corona-Maßnahmen der Bundesregierung, wies aber auch auf Schwachstellen hin und zeigte Verständnis für den Unmut in der Bevölkerung. Bund und Länder würden dem Infektionsgeschehen nicht in der gebotenen Geschwindigkeit begegnen. Sie zeigte sich unzufrieden mit der Kooperationsbereitschaft einiger Bundesländer.
Lobbyismus-Vorwürfe: Eine echte Krise für die Union? (30:38) Drei Bundestagsabgeordnete der CDU/CSU sind innerhalb einer Woche wegen Lobbyimus-Vorwürfen zurück getreten. Einfach nur dumm gelaufen oder eine echte Krise für die Union?
Mit Blick auf die Kanzlerfrage sagte Bosbach: "Ich bin immer für den gewesen, mit dem wir die besten Chancen haben. Das ist Stand heute nach allen Umfragen eindeutig Markus Söder. Ich habe aber keine Zweifel daran, dass Armin Laschet Kanzlerkandidat werden will."
Dirk-Oliver Heckmann: Hat Sie der Auftritt der Kanzlerin gestern Abend überzeugt?
Wolfgang Bosbach: Ja, durchaus. Ich fand die Analyse, die ich gerade gehört habe, auch sehr treffend. Sie war sehr ernst. Sie war auch sehr klar. Es gibt nur einen Punkt. Da glaube ich nicht, dass die Länder mitziehen werden, denn wir haben ein sehr unterschiedliches, nicht gleichförmiges Infektionsgeschehen in unserem Land. Da gibt es Landkreise, die deutlich über 200 liegen. Da gibt es Landkreise, die haben nur 10, 15 Prozent dieser Zahl. Deswegen sind differenzierte Lösungen durchaus angebracht, und ich bin mir nicht sicher, ob die Länder tatsächlich zustimmen werden, und zwar alle oder die Mehrheit, wenn man ihnen Kompetenzen wegnimmt.
Heckmann: Jetzt haben ja viele schon gesagt, Angela Merkel hat sich durch diesen Fehler, der in der letzten Woche gemacht worden ist, den Sie sich ja selber zugeschrieben hat, und durch ihre Entschuldigung auch im Prinzip mehr oder weniger selbst aus dem Spiel genommen. Sie hat keine Handlungsfähigkeit mehr. Haben Sie auch den Eindruck, dass das in diese Richtung geht?
Bosbach: Nein, diesen Eindruck habe ich nicht, denn mir ist jemand lieber, der sich korrigiert, einen Fehler eingesteht, als wenn jemand im Irrtum beharrt, so nach dem Motto, Hauptsache ich behalte recht, auch wenn ich kein Recht habe. Ich habe das als sympathisch empfunden, dass sie sich entschuldigt hat. Sie hat ja sogar die Verantwortung alleine übernommen, obwohl es 17 waren, die an der Schaltkonferenz sich beteiligten, Angela Merkel und 16 Ministerpräsidenten. Ich glaube nicht, dass sie an Autorität eingebüßt hat.

"In der Politik geht es im Kern um Vertrauen"

Heckmann: Herr Bosbach, die Union hat in den jüngsten Umfragen, die wir gesehen haben, in den letzten Tagen und Wochen einen regelrechten Absturz erlebt. Auch bei den Landtagswahlen. Die Forschungsgruppe Wahlen sieht Ihre Partei, die CDU/CSU bei 28 Prozent, in der jüngsten Umfrage, in der "Bild am Sonntag erschienen", sogar nur bei 25 Prozent. Bundeskanzlerin Merkel sagte zu Beginn der Pandemie mit Blick auf Corona, es ist ernst, nehmen Sie es auch ernst. – Wie ernst nehmen Sie die Entwicklung bei der Union?
Bosbach: Ich nehme das sehr, sehr ernst, weil es in der Politik im Kern um Vertrauen geht. Es geht natürlich insbesondere in Wahlkämpfen um Programme, um Persönlichkeiten, die an der Spitze stehen, aber in der Wahlkabine geht es um Vertrauen. Wem vertraue ich persönlich, den Kandidatinnen und Kandidaten. Das betrifft das Thema Integrität. Und wem rechne ich die höchste Sachkompetenz zu. Wem traue ich es zu, das Land in eine gute Zukunft zu führen. Wenn dieses Vertrauen verloren geht, ist es sehr, sehr schwer, das wieder zurückzugewinnen.
Natürlich sind alle Umfragen Momentaufnahmen und bis zur Bundestagswahl ist es noch ein halbes Jahr. Aber wenn wir in wenigen Monaten ab Dezember/Januar, ab dem Jahreswechsel so viel an Zustimmung verlieren – zehn Prozentpunkte sind ja fast 25 Prozent an Zustimmung, die man verliert -, dann ist das eine ernste Lage.
Impfungen und Priorisierung - Das ändert sich, wenn die Hausärzte impfen Nach Ostern sollen die niedergelassenen Ärzte in die Corona-Impfstrategie eingebunden werden. Auch die Impfpriorisierung soll aufgeweicht werden. Betriebsärzte arbeiten ebenfalls an einer Lösung. Ein Überblick.
Heckmann: Auf die Ursachen, weshalb dieses Vertrauen geschwunden ist, können wir gleich noch näher eingehen. Markus Söder hat gesagt, es kommt ganz offensichtlich eine Wechselstimmung im Land auf. Es sei nicht selbstverständlich, dass die Union das Kanzleramt behält. Hat er recht mit seiner Mahnung?

"Ziel: deutlich über 30, 35, 36 Prozent kommen"

Bosbach: Selbstverständlich hat er recht mit dem Hinweis, dass es nicht selbstverständlich ist, dass die Union Wahlen gewinnt. Aber jedenfalls mir hätte er das nicht erklären müssen. Ich kenne auch keinen, der in der Union Verantwortung trägt und der jetzt mal geweckt werden müsste, weil er die Ernsthaftigkeit der Lage nicht versteht.
Selbstverständlich müssen wir darum ringen, dass wir die stärkste politische Kraft bleiben. Es hat dem Land gut getan, dass wir über 70 Jahre hinweg zwei große Volksparteien hatten, die auch bei allen politischen Wechseln dafür gesorgt haben, dass wir Maß und Mitte halten, dass die Radikalen nie eine Chance haben, die politische Macht in Deutschland an sich zu reißen.
Heckmann: Und jetzt ist die zweite Volkspartei dabei, sich ebenfalls zu verzwergen.
Bosbach: Ja. Wenn wir deutlich unter 30 Prozent notiert werden, dann wird es schwierig, den Begriff Volkspartei noch für sich zu reklamieren. Deswegen muss es unser Ziel sein, deutlich über 30, 35, 36 Prozent zu kommen, also da, wo wir beim Jahreswechsel waren.

"Masken-Affäre ist nicht der wichtigste Punkt"

Heckmann: Vertrauen ist ein hohes Gut, haben Sie gerade auch noch mal betont. Weshalb hat die Union denn so massiv an Vertrauen eingebüßt? Was sind die wichtigsten Punkte?
Bosbach: Der wichtigste Punkt ist sicherlich nicht die Masken-Affäre. Das hat uns den Rest gegeben, weil - ich muss jetzt mal so sagen - diese Typen, um die es hier geht, sämtliche Vorurteile gegenüber Parteien und Politikern bestätigt haben. Das kam nur on top dazu. Zuvor hatten wir das Impfdebakel auch im internationalen Vergleich, als die Bürgerinnen und Bürger gesehen haben, wieso können wir als eine der stärksten Wirtschaftsnationen der Welt, wo man traditionell sagt, organisieren können die Deutschen gut, das nicht schaffen, was Israel, England, USA schon seit Monaten schaffen. Und jetzt mal parteipolitisch betrachtet: Es ist nicht mehr so klar, wofür die Union steht und was uns von der politischen Konkurrenz unterscheidet.
Was sind unsere großen Pläne und Projekte für die nächsten Jahre? Da fallen zwar immer wieder Stichworte wie zum Beispiel Digitalisierung, aber das mit Inhalten zu füllen, um die Frage zu beantworten – darauf kommt es ja im Wahlkampf an -, warum soll ich bei der Bundestagswahl CDU wählen und nicht die politische Konkurrenz, die Arbeit liegt noch vor uns.
Heckmann: Das Regieren ist ja auch eine Kernkompetenz, die der Union ja von vielen zugeschrieben wird. Der Rückzieher von Angela Merkel und ihre Entschuldigung in der letzten Woche wird ja von vielen als sehr honorig angerechnet. Aber am Ende bleibt der Eindruck, es herrscht Chaos und die Sache ist nicht im Griff.
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Der Tag - Was will Laschet? (21:39) Armin Laschet macht in diesen Tagen beides: Parteifreunde vor den Kopf stoßen und sie gleichzeitig umarmen. Was heißt das für seine mögliche Kanzler-Kandidatur?
Bosbach: Ja, dieser Eindruck kann entstehen. Sobald die Schaltkonferenzen zu Ende sind, kommt es zu der üblichen Pressekonferenz mit Frau Merkel, Herrn Söder, Herrn Müller. Da hat man den Eindruck, jetzt ziehen wir nicht nur an einem Strang, sondern auch alle am selben Ende eines Strangs. Spätestens am nächsten Morgen geben aber die Ministerpräsidenten zu Protokoll, dass sie sich für ihr Bundesland doch anderes vorstellen können. Es ist ein gewaltiger Flickenteppich. Und die berühmte Frage, können Sie eigentlich noch alle Regeln auswendig hersagen, die zurzeit gelten, da kann ich nur sagen, ich versuche, es bei mir zuhause zu verstehen, bundesweit völlig unmöglich.

"Kein Zweifel", dass Laschet Kanzlerkandidat werden will

Heckmann: Was heißt das Ganze, Herr Bosbach, jetzt für die Kanzlerkandidatur? CDU-Vize Thomas Strobl hat sich gestern für Armin Laschet ausgesprochen. Sie auch?
Bosbach: Ich bin seit 48 Jahren in der CDU. Ich bin immer für den gewesen, mit dem wir die besten Chancen haben, die Bundestagswahlen zu gewinnen.
Heckmann: Und wer ist das?
Bosbach: Das ist, Stand heute, nach allen Umfragen eindeutig Markus Söder. Ich habe aber keinen Zweifel daran, dass Armin Laschet Kanzlerkandidat werden will. Er hat doch nicht nur kandidiert, um die CDU zu führen, sondern auch, um Kanzlerkandidat zu werden. Und wenn er es werden will, dann wird er es auch, weil ich mir nicht vorstellen kann, dass Markus Söder und die CSU sagen, ja, ja, Herr Laschet, Sie wollen zwar, aber wir wollen auch, und dass er ihn dann beiseiteschiebt. Das glaube ich nicht.
Biographie über CSU-Chef - "Wer Markus Söder verstehen will, muss die Provinz verstehen können"
Wer wird im Herbst deutscher Bundeskanzler? Einer, der im März die Hand dafür heben könnte, ist CSU-Chef Markus Söder. In ihrer Biografie des Politikers zeichnet die Journalistin Anna Clauß nach, wie und mit welchen Mitteln Söder seine jetzige Position erreicht hat, obwohl viele ihn genau dort nicht sehen wollten.
Heckmann: Weshalb ist Markus Söder der bessere Kandidat?
Bosbach: Jetzt sage ich etwas, was sich vielleicht gar nicht so überzeugend anhört, aber das habe ich in der Politik schon oft erlebt. Markus Söder kann kurze Sätze, klare Botschaften. Es ist ja nicht so, dass die Zahlen in seinem Bundesland überragend besser wären als in anderen Bundesländern, überragend besser wären als in Nordrhein-Westfalen, aber er zeigt Führungsstärke. Er hat immer ganz klare Aussagen und Ansagen und an ihm kann man sich orientieren. Das imponiert vielen.
Auf der anderen Seite Armin Laschet, der mit einer Stimme Mehrheit im Landtag von Nordrhein-Westfalen mit der FDP hervorragende Arbeit macht. Das spricht für ihn.

"Es geht weniger um Qualität als um Performance"

Heckmann: Diese Führungsqualitäten vermissen Sie dennoch ein wenig bei Armin Laschet, wenn ich Sie richtig verstehe? 66 Prozent halten ihn nicht für einen geeigneten Kanzler.
Bosbach: Es geht weniger um Qualität als um die Frage der Performance. Wie trete ich nach außen auf? Habe ich eine klare Sprache, verständliche Botschaften? Und da muss ich sagen, Respekt, das kann Markus Söder, kurze Sätze und Formulierungen, die sich einprägen.
Heckmann: Muss die Entscheidung jetzt schnell fallen?
Bosbach: Ja! Wir können uns nicht weiter permanent mit uns selber und mit der K-Frage beschäftigen. Ich hoffe, nicht nur nach Ostern, sondern zeitnah nach Ostern, damit die Menschen draußen auch das Gefühl haben, die beschäftigen sich nicht mit sich selber, sondern mit den Problemen meines Lebens, mit der Zukunft des Landes.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.