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Krise, Korruption und Kürzungen
Argentinien kommt nicht zur Ruhe

Argentinien hat eine atemlose Woche hinter sich. Die Landeswährung Peso erlebte einen historischen Absturz, das Vertrauen in die Regierung von Präsident Mauricio Macri ist ebenfalls auf Tiefstand. Gleichzeitig wird das Land von einem Korruptionsskandal erschüttert. Mit drin hängen auch die größten Unternehmen des Landes.

Von Anne Herrberg | 01.09.2018
    Wechselkurse an einer Wechselstube in Buenos Aires, Argentinien
    Wechselkurse an einer Wechselstube in Buenos Aires, Argentinien (AFP / JUAN MABROMATA)
    Trommeln und Protestgesänge gehören schon fast zum konstanten Geräuschteppich im Zentrum von Buenos Aires. Zehntausende waren allein in dieser Woche auf der Straße - Basta mit der Sparpolitik, steht auf den Bannern. Oder: "Nein zum Internationalen Währungsfonds".
    "Es gibt immer weniger Arbeit mehr, alles wird teurer, die Milch kostet fast doppelt so viel wie noch im Januar. Die Armut wird immer größer. Basta mit der Sparpolitik, wo soll das noch hinführen
    "Herrje, diesen Film haben wir doch schon einmal gesehen", seufzt Jorge Monti, er betreibt hier in der City einen Kiosk, auch mit seinen 70 Jahren noch, denn die Rente reicht nicht aus.
    "Der Währungsfonds kommt nie, um zu helfen, eher bedeutet er unser Grab. Das kennen wir doch aus der Krise 2001. Löhne kürzen, Renten kürzen, an der Bildung kürzen und wozu? Am Schluss war das Land trotzdem pleite. Das ist noch gar nicht lang her."
    Eine dramatische Woche
    Nicht nur bei Jorge Monti sind in diesen Tagen Erinnerungen an die schwere Wirtschaftskrise 2001 geweckt worden – denn Argentinien hat eine dramatische Woche hinter sich.
    Die Landeswährung Peso legte eine atemlose Talfahrt hin – ein Dollar kostet heute doppelt so viel wie zu Jahresbeginn. Und das obwohl die Zentralbank sich mit aller Kraft dagegen stemmte, Millionen an Währungsreserven verkaufte und den Zinssatz auf astronomische 60 Prozent anhob – der wohl höchste Wert weltweit. Nun verhandelt die Regierung erneut mit dem Internationalen Währungsfonds, im Mai hatte der bereits einen Hilfskredit in Höhe von 50 Milliarden US-Dollar zugesagt. Argentinien bittet nur um schnellere Auszahlung. Finanzminister Nicolas Dujovne wird sich am Dienstag mit IWF-Chefin Christine Lagarde treffen - die bereits Rückendeckung signalisiert hat.
    "Wir verstehen, dass es heute einen Prozess des Misstrauens in Argentiniens Wirtschaft gibt. Unserer Meinung nach steht sie zwar auf solidem Fundament aber wir erkennen auch an, dass wir dieses Fundament stärken müssen, damit sie widerstandsfähiger gegenüber den Schocks ist, denen wir ausgesetzt sind."
    Es stimmt schon, der globale Kontext ist für Argentinien nicht günstig - viele Anleger ziehen ihr Kapital aus Schwellenländern ab, das trifft auch die Türkei oder Indien. Doch die Schuld allein auf externe Schocks zu schieben, sei zu einfach, sagt Sebastian Lacunza, der als Finanzkorrespondent arbeitet:
    "Diese Krise erreicht uns drei Jahre nachdem mit Mauricio Macri eine besonders marktfreundliche Regierung an die Macht gekommen ist, die große internationale Unterstützung genießt. Die nach Jahren des Protektionismus den Markt öffnete, aber auch enorme Schulden in Rekordzeit aufnahm. Kein Land weltweit hat sich in den letzten Jahren so sehr verschuldet. Es gibt ein enormes Defizit. Die Überzeugung der Regierung Macri war, dass unter ihr die Investoren ins Land strömen würden. Doch das ist nicht passiert. Im Finanzsektor herrscht, was Argentinien betrifft, mittlerweile große Besorgnis."
    Opfer eines Ablenkungsmanövers
    Noch größere Besorgnis herrscht bei den Argentiniern selbst. Die Wirtschaft ächzt unter dem enormen Defizit, der hohe Zinssatz erdrückt die heimischen Unternehmen genauso wie die Inflation von rund 30 Prozent.
    "Diebin, Diebin" – Tausende machen ihrem Frust vor dem Kongress Luft – darunter das Ehepaar Veronica und Jorge Muñoz, sie betreiben ein Möbelgeschäft und stehen kurz vor der Pleite. Dafür machen sie aber die Ex-Regierung verantwortlich – Präsidentin Cristina Fernandez de Kirchner und ihren Vorgänger und Ehemann, den verstorbenen Nestor Kirchner.
    "Millionen und Abermillionen haben sie gestohlen! Das müssen wir uns wiederholen, damit unser Land wieder auf Kurs kommt."
    Denn zu allem wirtschaftlichen Chaos wird Argentinien auch noch von einem gigantischen Korruptionsskandal erschüttert – umgerechnet mehr als140 Millionen Euro Schmiergelder sollen während der zwölf Amtsjahre der Kirchner-Regierung geflossen sein – im Austausch für lukrative staatliche Aufträge. Fernandez de Kirchner, die heute als Senatorin im Kongress sitzt, inszeniert sich als Opfer eines Ablenkungsmanövers.
    "Sieht so aus, als ob bei den anderen die Hütte brennt und so zieht die Justiz gegen uns zu Felde. Glaubt ihr wirklich, dass sich Argentiniens Probleme lösen, wenn sie uns alle ins Gefängnis stecken?"
    "Die gleichen Figuren wie schon eh und je"
    Der Fall erhitzt die Gemüter in einem ohnehin polarisierten Land – dazu ließ er die Aktien von Argentiniens größten Bau-Unternehmen einbrechen, denn sie alle stecken mit drin im Skandal – darunter das Bauunternehmen IECSA. Bis März 2017 Eigentum der Firmengruppe Macri und geleitet von einem Cousin des jetzigen Präsidenten. Dazu sagt Journalist Sebastian Lacunza.
    "Der Fall erzählt viel über das Land. Einmal wirft er Licht auf systematische Korruption, die es sehr wahrscheinlich bei der Vergabe von staatlichen Aufträgen unter den Kirchners gab. Nun ist es aber so, dass der aktuelle Präsident Mauricio Macri aus einer Unternehmerfamilie stammt, die seit der Diktatur in den Siebzigerjahren mit ähnlich staatlichen Aufträgen reich geworden ist. Dazu kommt: Der Richter, der die Ermittlungen aufgenommen hatte, ist eine enorm zwielichtige Gestallt, der mehrfach wegen Parteilichkeit angeklagt wurde. Zu glauben, dass dieser Fall eine wirkliche Aufklärung und damit eine Art ethischen Neuanfang für das korrupte System nach sich ziehen könnte, ist Science Fiction."
    Rund ein Dutzend Unternehmer kooperieren inzwischen als Kronzeugen mit der Justiz – erhalten aber auch weiterhin staatliche Aufträge. Kioskbesitzer Jorge Monti schüttelt noch einmal den Kopf – in die Institutionen vertraut er immer weniger.
    "Das ist ja alles nichts Neues, das sind ja die gleichen Figuren wie schon eh und je, die machen ihre Geschäfte untereinander. Und uns wird man nun sagen, dass wir den Gürtel noch enger schnallen müssen. Wir Argentinier vergessen zu schnell, das haben wir nun davon."
    Bald wird der nächste Protest an seinem Kiosk vorbeiziehen – für Ende September haben die Gewerkschaften zum Generalstreik aufgerufen. Und in drei Monaten ist Argentinien Gastgeber des G20-Gipfels.