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"Krise wird von den kleinen Leuten bezahlt"

Es sei absurd, dass die Banken, die mit Staatsgeldern gerettet wurden, der Politik den Vorwurf machen, sie hätten Schulden angehäuft. Die Wurzel des Übels sei die Riesenspekulation auf den Finanzmärkten. Das Geld für die Bankenrettung müsse sich die Politik von den Profiteuren holen, fordert Attac-Aktivist Detlev von Larcher.

Detlev von Larcher im Gespräch mit Martin Zagatta | 15.10.2011
    Martin Zagatta: Ein Bericht von Mischa Brüssel de Laskay, und mit zugehört hat Detlev von Larcher vom bundesweiten Koordinierungskreis von Attac, der frühere SPD-Politiker, der vor drei Jahren aus seiner Partei ausgeschlossen worden ist. Guten Morgen, Herr von Larcher!

    Detlev von Larcher: Schönen guten Morgen!

    Zagatta: Herr von Larcher, mit Ihrem Protest heute, machen Sie da jetzt dasselbe wie die deutsche Finanzwelt – nehmen Sie sich auch Amerika zum Vorbild?

    von Larcher: Wir nehmen uns nicht nur Amerika zum Vorbild, sondern diese Bewegung begann ja in Spanien, schon im Mai letzten Jahres haben die ja dazu aufgerufen, am 15. Oktober eine ... also im Mai dieses Jahr sind wir, am 15. Oktober einen weltweiten Aktionstag zu machen, und so passiert es auch. Es wird in über 700 Städten auf der ganzen Welt heute Aktionen und Proteste geben.

    Zagatta: Glauben Sie, dass das in Deutschland zieht, dass solche Proteste in Deutschland ein Erfolg werden können? Denn wir haben doch völlig andere Verhältnisse als beispielsweise in Spanien oder in den USA, uns geht es doch wesentlich besser.

    von Larcher: Ja, zum Teil, aber wenn wir zwei beiden jetzt darüber sprechen, dass es uns besser geht, dann müssen wir auch sehen, dass wir zu den Leuten gehören, denen es wirklich besser geht. Es gibt natürlich auch in Deutschland viele Leute, denen es sehr schlecht geht. Ich habe gerade heute als Schlagzeile in meiner Provinzzeitung: "500.000 Kinder in Deutschland hungern".

    Zagatta: Das ja, aber Herr von Larcher, wenn Sie zum Beispiel sehen, Jugendarbeitslosigkeit in Spanien, eine Jugendarbeitslosigkeit von fast 50 Prozent – da haben wir doch verglichen damit fast noch rosige Zustände in Deutschland.

    von Larcher: Ich möchte nicht die rosigen Zustände in Deutschland loben. Sie haben natürlich Recht, natürlich gibt es Unterschiede. Das abzustreiten, wäre ja dumm. Aber worum es vor allen Dingen geht, ist, dass eben die Banken zur Bankenrettung immer Geld zur Verfügung steht, und für den sozialen Bereich, für die öffentlichen Belange, da erleben wir immer Kürzungen und Streichungen, und das merken die Leute. Und deswegen sagen die ja in New York zum Beispiel: Wir sind 99 Prozent, und die ein Prozent der Wall Street, die sagen, wo es langgeht, und wir wollen jetzt selber mitreden, und deswegen fordern sie mehr Demokratie und sie fordern die Entmachtung der Banken. Und das ist in Deutschland genauso wichtig wie in New York, in Spanien, Griechenland oder anderswo.

    Zagatta: Glauben Sie, dass das in Deutschland eine echte Protestbewegung werden kann? Wir haben in den Nachrichten oder in unseren Berichten gerade gehört, in Frankfurt, wo die zentrale Demonstration stattfinden soll, werden gerade einmal vielleicht 1000 Leute erwartet.

    von Larcher: Das muss man abwarten. Sie haben ja richtig in der Anmoderation oder im Bericht gesagt, dass man nicht weiß, wie viele kommen, weil das übers Internet sich organisiert. Wir müssen ja sehen, es ist ja ein bisschen was dazugekommen, zu dem Aufruf von Attac zum weltweiten Aktionstag, da ist diese "Occupy"-Bewegung entstanden, und das könnte sein, dass sich da eine neue globale Bewegung bildet, dass sich Basisbewegungen global zusammenschließen und eben die Forderungen der "Occupy Wall Street"-Bewegung übernehmen.

    Zagatta: Glauben Sie nicht oder haben Sie nicht den Eindruck, dass diese Forderungen in die deutsche Politik schon längst auch eingehen? Also wenn man beispielsweise aus Ihrer alten Partei den SPD-Vorsitzenden Sigmar Gabriel jetzt hört, der sagt, wir dürfen die Banken nicht zum zweiten Mal retten, ohne sie zurechtzustutzen – der spricht Ihnen doch aus dem Herzen?

    von Larcher: Das ist genau richtig, diese Forderung von Herrn Gabriel, das sagen wir ja schon lange. Wir haben ja schon bei der ersten Krise gesehen, dass eben ... oder nehmen Sie die Griechenlandkrise zum Beispiel: Wenn Griechenland Geld kriegt, dann wandert das unmittelbar zurück an die Banken und auch an die deutschen Banken – und die Griechen müssen Lohnkürzungen hinnehmen und verschiedene andere unsoziale Maßnahmen. Das heißt, man versucht, die Krise wie auch 2007, 2008 von den Steuerbürgern und von den kleinen Leuten bezahlen zu lassen und nicht von den Profiteuren des Finanzmarktes. Und genau das ist ungerecht, und das empfinden die Leute und die wollen das ändern, und das ist die Forderung von Attac natürlich schon lange.

    Zagatta: Nun ist ja schon Konsens fast darüber erzielt worden, dass private Gläubiger, dass Banken da mit 21 Prozent auch beteiligt werden, dass die das abschreiben müssen. Herr von Larcher, haben wir im Moment nicht eher statt einer Bankenkrise eine Krise der öffentlichen Haushalte? Ist nicht das große Problem im Moment die große Verschuldung der Staaten?

    von Larcher: Die Staatsschulden sind schon sehr schwierig, aber wenn ich in Diskussionen erlebe, dass die Banken jetzt der Politik den Vorwurf machen, sie hätten zu viele Schulden angehäuft und der Vorwurf kommt gerade von den Banken, die mit Staatsgeldern gerettet wurden, dann finde ich das schon ziemlich absurd. Und man muss natürlich sehen, dass die eine Krise immer die andere praktisch hervorruft. Es gibt also praktisch ... Wenn Sie an eine Virenerkrankung beispielsweise denken würden, dann würden Sie sehen können, dass der Virus eben von den Banken zu den Staaten und von den Staaten zu Banken wandert, und die Ursache ist die Riesenspekulation auf den Finanzmärkten, und da ist die Wurzel des Übels, und das muss behoben werden.

    Zagatta: Was konkret fordern Sie da jetzt von der deutschen Politik?

    von Larcher: Von der deutschen Politik fordern wir beispielsweise, dass sie das Geld für Bankenrettung da holt, wo sie es bisher nicht geholt hat, nämlich von den Profiteuren der Finanzmärkte, von den wirklich reichen Leuten, die es ja auch gibt, denken Sie an Vermögensabgabe, an Vermögenssteuer. Dann denken wir, dass die Banken auseinandergenommen werden müssen – also Investitionsbanken und Geschäftsbanken müssen getrennt voneinander werden –, es müssen bestimmte Dinge, die auf den Finanzmärkten gehandelt werden, verboten werden, zum Beispiel die Credity Full Stops und die Leerverkäufe. Dann muss die Finanztransaktionssteuer durchgesetzt werden, da sind wir ja schon ein großes Stück weitergekommen mit unserer Forderung, weil inzwischen auch Frau Merkel und Herr Sarkozy zu den Befürwortern gehören, und man muss Solidarität mit Griechenland üben und zum Beispiel Eurobonds auflegen, dazu gehört allerdings auch, dass Europa sich wirtschaftliche und soziale Standards setzt und eben auch da enger zusammenrückt.

    Zagatta: Was Sie da fordern, das wird ja auf Parteienebene so im Großen und Ganzen von der Linkspartei hier in Deutschland vertreten. Wieso beschert das der Linken eigentlich keinen Zulauf, wenn Sie diese Stimmung jetzt erkennen, dass Sie meinen, Deutschland sei auch reif für solche Proteste?

    von Larcher: Ich weiß nicht, warum die Linken da keinen Zulauf bekommen. Außerdem ist das ja von Wahl zu Wahl unterschiedlich. Ich glaube aber, dass es ganz wichtig ist, dass eben wirklich von außen dieser Druck entsteht, dass die Proteste erfolgen, weil meine Erfahrung ist, dass eben die Politik zu wirklich wichtigen Beschlüssen und Entscheidungen nur dann kommt, wenn von außen Druck ausgeübt wird. Und deswegen ist die außerparlamentarische, außerparteiliche Arbeit mindestens so wichtig wie die innerparteiliche und die parlamentarische Arbeit.

    Zagatta: Hätten Sie da Hoffnung, dass sich unter einer möglichen Koalition, die es nach Umfragen ja geben könnte demnächst im Bund, unter Rot-Grün etwas ändern würde?

    von Larcher: Also Hoffnung hat man immer, auch nach den Erfahrungen allerdings mit der rot-grünen Bundesregierung, die ja die Hartz-IV-Gesetze eingeführt hat, die alle möglichen anderen dummen Sachen gemacht hat, weiß ich natürlich nicht. Also Attac setzt auch nicht auf irgendeine Partei, sondern Attac setzt auf öffentliche Information, auf öffentliche Proteste und auf den Druck auf die Parlamente.

    Zagatta: Und wie ist das mit Ihnen? Bedauern Sie das heute eigentlich noch, dass Sie aus der SPD ausgeschlossen wurden mit diesen Positionen, oder ist das für Sie abgehakt?

    von Larcher: Das ist für mich wirklich inzwischen abgehakt. Es war ja irgendwie eine dumme Geschichte, dieser Ausschluss, glaube ich, eigentlich müsste die SPD bedauern, dass sie mich ausgeschlossen hat.

    Zagatta: Aber freiwillig wären Sie nicht gegangen?

    von Larcher: Puh, freiwillig wäre ich wahrscheinlich nicht gegangen, aber ich habe ja immer zu den Kritikern auch der SPD-Politik gehört, ich habe ja dem linken Flügel angehört. Und dass ich in der zweiten Periode Schröder nicht mehr im Bundestag war, das bedauere ich überhaupt nicht – ich habe ja da auch nicht mehr kandidiert –, weil wenn ich diese Politik hätte mittragen sollen, hätte ich Magengeschwüre bekommen, oder ich hätte eben wirklich im Bundestag immer Opposition gegen meine eigene Partei machen müssen.

    Zagatta: Und im Moment, hätten Sie heute noch eine Heimat in der SPD?

    von Larcher: Ach nein, das Kapitel ist abgeschlossen. Ich habe ja viel Arbeit bei Attac, ich habe ja eben schon gesagt, dass die Arbeit außerparlamentarisch genauso wichtig ist wie innerparlamentarisch. Also ich vermisse das nicht.

    Zagatta: Detlev von Larcher vom bundesweiten Koordinierungskreis vom Netzwerk Attac. Herr von Larcher, ganz herzlichen Dank für das Gespräch!

    von Larcher: Bitte sehr!

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.