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Krisengipfel in Berlin
"Griechenland muss sich bewegen"

Die von Griechenland geforderten Reformen seien kein Gefallen an Brüssel, sondern für das eigene Land, sagte der CDU-Europapolitiker Gunther Krichbaum im DLF. Wenige Tage vor Ablauf einer neuen Zahlungsfrist bemühen sich die internationalen Kreditgeber um Lösungen für die griechische Finanzkrise.

Gunther Krichbaum im Gespräch mit Jasper Barenberg | 02.06.2015
    Gunther Krichbaum, CDU, Vors. des Europaausschusses im Bundestag.
    Gunther Krichbaum (CDU) sieht die Griechenland-Gespräche in einer Sackgasse. (picture alliance / dpa / Zipi)
    Der Vorsitzende des Bundestags-Europa-Ausschusses betonte, es gehe darum, dass Land wieder wettbewerbsfähig zu machen. Man stehe derzeit in einer Sackgasse, weil es dem Kabinett von Ministerpräsident Tsipras an Kooperationsfähigkeit fehle, kritisierte der Europa-Experte. Krichbaum sprach von einem "extremen Entgegenkommen" Europas: "Griechenland wurde oft Hilfe angeboten, nicht nur von deutscher Seite."
    Auch Griechenland habe sich auf einem sehr positiven Weg befunden - die linksradikale sowie rechtspopulistische Regierung habe es jedoch binnen weniger Wochen geschafft, "die Fortschritte wieder einzureißen".
    "Es fehlt oft am Grundsätzlichen"
    Griechenland muss dem IWF bis Freitag eine Kreditrate in Höhe von 300 Millionen Euro zurückzahlen und benötigt in Kürze weitere finanzielle Unterstützung. Das bestehende Hilfspaket von EU, EZB und IWF läuft Ende des Monats aus.
    Wenige Tage vor Ablauf der Zahlungsfrist bemühen sich die internationalen Kreditgeber um Lösungen für die griechische Finanzkrise. In Berlin empfing Bundeskanzlerin Merkel gestern Abend Frankreichs Präsident Hollande, EU-Kommissionschef Junker sowie EZB-Präsident Draghi und IWF-Chefin Lagarde. Nach Informationen der Zeitung "Die Welt" ging es darum, Griechenland ein allerletztes Angebot zu machen. Konkrete Ergebnisse wurden nicht bekannt.


    Das Interview in voller Länge:
    Jasper Barenberg: Die erste Juni-Woche ist entscheidend, so hat es Jean-Claude Juncker schon nach dem letzten EU-Gipfel ausgedrückt. Und die Geldgeber machen dieser Tage klar, bis Ende der Woche muss Athen Reformen verbindlich zusagen. Schließlich müssen die zuständigen Gremien beim IWF und in den Euroländern noch zustimmen, einige nationale Parlamente auch. Die Zeit läuft ab und so hat es schließlich Valdis Dombrovskis formuliert, der Grieche und Vizepräsident der Brüsseler EU-Kommission.
    Am Telefon ist der CDU-Politiker Gunther Krichbaum, Vorsitzender im Europaausschuss des Bundestages. Wir erreichen ihn in Lettlands Hauptstadt Riga. Schönen guten Morgen dorthin.
    Gunther Krichbaum: Schönen guten Morgen, Herr Barenberg.
    "Wieder in einer gewissen Sackgasse"
    Barenberg: Herr Krichbaum, ist es an Athen, ein Angebot vorzulegen, oder doch an den Geldgebern, wie wir gerade aus Berlin gehört haben, denn darüber wurde ja augenscheinlich gestern Abend diskutiert?
    Krichbaum: Nein. Es ist in der Tat so, dass sich Griechenland hier bewegen muss, die Athener Regierung bewegen muss. Wir reden ja sehr über Vereinbarungen und Verhandlungen. Man darf auch bei alledem nicht vergessen: Wir hatten Vereinbarungen, auch mit der Vorgängerregierung, und Griechenland befand sich grundsätzlich auf einem sehr positiven Weg. Wir hatten drei Quartale Wirtschaftswachstum hintereinander, wir hatten wieder einen Primärüberschuss, aber die linksradikale und rechtspopulistische Regierung hat es binnen weniger Wochen auch geschafft, die Fortschritte wieder einzureißen, und wir stehen jetzt hier auch in einer gewissen Sackgasse.
    Barenberg: Und doch muss man nicht sehen, dass die Probleme Griechenlands immer mehr zu den Problemen in den vergangenen Monaten der Gläubiger, also der Geldgeber geworden sind? Denn Griechenland selber hält kaum noch Schuldscheine, aber die Schuldscheine sind jetzt alle in den europäischen Partnerländern. Sitzt Griechenland nicht am längeren Hebel? Muss nicht also der Westen, müssen nicht die Geldgeber ein Angebot vorlegen?
    "Da ist bislang überhaupt nichts geschehen"
    Der Containerhafen von Piräus vor Athen, aufgenommen am 17.06.2012. Der Hafen steht unter dem Management des chinesischen Hafenbetreibers COSCO. 
    Containerhafen von Piräus in Griechenland: Privatisierung durch fehlendes Katasterwesen erschwert. (picture alliance / dpa / Emily Wabitsch)
    Krichbaum: Nein. Es geht ja auch darum, das Land wieder wettbewerbsfähig zu machen, das Land zukunftsfähig aufzustellen, und die Reformen - und das muss man in Athen endlich einmal begreifen - werden natürlich auch nicht zum Gefallen von Brüssel, Berlin oder Paris gemacht, sondern sie werden natürlich zum eigenen Gefallen gemacht und zum eigenen Fortschritt, und die Frage stellt sich ja, welche Zukunft gibt man hier auch einer jungen Generation.
    Was die von Ihnen angesprochene finanzielle Situation angeht: Man darf auch nicht vergessen, dass hier bereits im Jahre 2012 ein massiver Schuldenschnitt stattgefunden hat, der Griechenland mit über 100 Milliarden Euro entlastet hat. Es findet aktuell überhaupt gar kein Kapitaldienst statt. Das setzt erst ab 2020 und 2022 an. Deswegen ist auch Europa, die Europäische Union und nicht zuletzt die Eurogruppe Griechenland extrem entgegengekommen. Aber man muss sich eben auch bewegen mit Reformen. Das fängt auf dem Arbeitsmarkt an, geht über die Pensionssysteme weiter fort und da ist bislang natürlich überhaupt nichts geschehen.
    Barenberg: Da sagt aber die griechische Regierung, sie hat schon große Zugeständnisse an die Partner gemacht. Sie hat Privatisierungen zugestimmt, die sie nicht machen wollte, sie hat eine Reform der Mehrwertsteuer auf den Weg gebracht, ist bereit zu einer Reform des Rentensystems. Warum ist all das nicht genug?
    Krichbaum: Wir hatten beispielsweise jetzt, was die Privatisierungen angeht, bereits im ersten Griechenland-Paket einen Erlös von 50 Milliarden Euro angesetzt. Davon ist ein nicht mal zweistelliger Betrag bis heute realisiert worden. Das zeigt einfach das Tempo. Dann hat danach die linksradikale Tsipras-Regierung gesagt, sie wolle keine weiteren Privatisierungen mehr durchführen. Das allein zeigt natürlich, wie zäh hier der ganze Weg ist. Es fehlt allerdings auch oft am Grundsätzlichen. Beispielsweise wenn ein Hafen von Piräus privatisiert werden soll und man hat kein verlässliches Katasterwesen, dann kann man natürlich auch potenziellen Investoren nicht sagen, der fängt irgendwo da hinten an und hört irgendwo da vorne auf, sondern man braucht natürlich ein Grundbuch, aus dem auch verlässlich die Grundstücksgrenzen hervorgehen. Das zeigt, wie sehr auch tatsächlich die Probleme im Detail liegen. Aber Griechenland wurde hier sehr oft auch Hilfe angeboten von deutscher Seite, aber nicht nur von deutscher Seite, und man muss auch hier kooperativer sein, und genau an dieser Kooperationsfähigkeit fehlt es.
    Barenberg: Aus den USA heißt es jetzt vor allem im Vorfeld des G7-Gipfels, alle Seiten müssten sich bewegen. Wo hat sich denn die Seite der Geldgeber, der europäischen Partner bewegt?
    Krichbaum: Dazu ist zunächst zu sagen, dass hier die Vereinigten Staaten vielleicht Europa auch nicht ausreichend kennen. Da schließe ich auch den amerikanischen Finanzminister ein. Er weiß vielleicht etwas zu wenig, inwieweit hier Europa in den letzten Monaten und Jahren Griechenland bereits unter die Arme gegriffen hat. Ich darf beispielsweise auch daran erinnern, dass Griechenland bereits seit 1981 Mitglied der Europäischen Union ist, von Anbeginn von den Kohäsionsfonds, von den Infrastrukturfonds profitierte in einer Größenordnung von roundabout 100 Milliarden Euro bis heute. Das alles hat dem Land auch in der Vergangenheit durchaus geholfen. Aber es geht natürlich auch nicht alleine nur um Geld, sondern es muss auch eine politische verlässliche Führung da sein, und genau daran hat es gefehlt, und das beobachtet man vielleicht in Amerika etwas zu wenig und sieht die europäischen Länder mehr unter geostrategischen Gesichtspunkten.
    "Grexit heute besser als vor vier Jahren zu verkraften"
    Ungewisse Zukunft Griechenlands: nachdenkliche Manager Figuren stehen vor griechischer Flagge und griechischem Euro mit Schriftzug Grexit
    Was wäre, wenn das NATO-Mitglied Griechenland aus der EU ausscheiden würde? (imago)
    Barenberg: Nun hat Jean-Claude Juncker, der EU-Kommissionspräsident gesagt, Griechenland muss im Euro bleiben, während die IWF-Chefin, Christine Lagarde andeutet, ein Grexit wäre kein Beinbruch. Zu welcher der beiden Positionen neigen Sie?
    Krichbaum: Christine Lagarde ist sicherlich insoweit Recht zu geben, als dass ja nicht nur Reformen von Athen verlangt wurden in den letzten Jahren, sondern maßgeblich auch Reformen in der Eurozone selbst bewerkstelligt wurden. Wir haben uns nicht nur stabilisiert, wir haben uns immunisiert gegen Ansteckungsgefahren solcher Finanzkrisen. Während hingegen vor vier Jahren, vor fünf Jahren noch die große Gefahr bestanden hätte, dass Griechenland andere Länder mit in den Abgrund gezogen hätte, so ist diese Gefahr heute weitestgehend gebannt. Wäre der Fall der Fälle da, dann müsste man sicherlich sehr intensiv nach Zypern schauen, aber das würde man auch über Rettungsschirme und andere Maßnahmen aufgefangen bekommen. Das sind sicherlich die Überlegungen von Christine Lagarde vor diesem Hintergrund und deswegen würde ich auch zu ihrer Auffassung neigen.
    Barenberg: Während Jean-Claude Juncker ja sagt, dass ökonomisch ein Austritt Griechenlands möglicherweise verkraftbar wäre, politisch aber auf keinen Fall. Fürchten Sie das nicht?
    Krichbaum: Das ist eine Frage letztlich der Glaubwürdigkeit, und ich glaube, die internationale Gemeinschaft kann mittlerweile sehr genau differenzieren und sehr feinsinnig differenzieren, dass es hier sicherlich nicht an der Solidarität der Europäischen Union gefehlt hat oder hätte. Wir haben ja keinen Grexit, wir haben keinen Grexident, der aber hier der wahrscheinlichere Fall wäre. Sicherlich ist es aber auch so, dass hier der Euro ein Bekenntnis in die Richtung war, dass das ganze irreversibel ist. Aber wie gesagt, es geht alles nur, wenn alle Seiten mitmachen, und das gilt in der Europäischen Union ganz besonders.
    Barenberg: Immerhin wäre es auch ein NATO-Partner, der dann nicht mehr Teil der Europäischen Union wäre.
    Krichbaum: Wir haben auch andere NATO-Partner, die nicht Mitglied der Europäischen Union sind. Da muss man die beiden Bündnisse auch ein wenig unterscheiden. Die Europäische Union ist eine politische Union mit einem politischen Anspruch. Hier ist es in der NATO mitunter einfacher. Hier könnten auch und können Länder Mitglied sein, die die Standards der Europäischen Union bei weitem nicht erfüllen würden.
    Barenberg: Gunther Krichbaum, der CDU-Politiker und Vorsitzende im Europaausschuss des Bundestages. Danke für das Gespräch heute Morgen, Herr Krichbaum.
    Krichbaum: Ich danke Ihnen, Herr Barenberg.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.