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Kritik am Dresdner Kreuzchor
Belastung der Chorknaben und nicht kirchliche Aufgaben

Am Dresdner Kreuzchor haben 96 ehemalige Kruzianer in einem offenen Brief Kritik geübt: Die Chorknaben würden zunehmend durch sängerische Aufgaben abseits des Kerngeschäfts überfordert. Mehr Marketing als Geistliche Musik beim über 800 Jahre alten Traditionschor? Der Kreuzkantor widerspricht der Kritik.

Von Claus Fischer | 17.07.2017
    Der Dresdner Kreuzchor singt in Begleitung durch das Orchester der Dresdner Philharmonie in der Kreuzkirche Dresden .
    Der Kreuzchor beging im vergangenen Jahr sein 800. Gründungsjubiläum. (picture alliance / dpa / Marko Förster)
    Sie genießt Kultstatus, die Sommerreise des Dresdner Kreuzchors, alljährlich zum Abschluss des Schuljahres. Besonders für die Abiturienten markiert sie den endgültigen Abschied. Umso härter traf es fünf von ihnen in diesem Jahr. Sie durften nämlich nicht mitfahren, da sie einige wichtige Proben nicht besucht hatten.
    "Wir hatten intensive Beratungen. Und die Abstimmung auch mit der Schulleitung", teilte Kreuzkantor Roderich Kreile schriftlich mit. Er befindet sich derzeit im Urlaub.
    "Einhelliges Urteil der Pädagogen in Chor und Schule: Hier muss drastisch reagiert werden! Und der Ausschluss von fünf Kruzianern fand ausschließlich Zustimmung."
    In der Folge dieses Beschlusses erklärten sich einige weitere Abiturienten mit den fünf gesperrten solidarisch - und blieben aus Protest zuhause. Für den Ex-Kruzianer Detlev Burghardt, den Vorsitzenden des Freundes des Chors, handelte es sich hier klar um einen Versuch, den Kreuzkantor zu erpressen.
    "Als künstlerischer Leiter kann er nicht erpressbar sein! Und demzufolge haben die damit meiner Meinung nach selber das Urteil gesprochen, dass es eben nicht geht."
    Offener Brief von 96 ehemaligen Kruzianern
    Der Ausschluss zog jedoch Kreise. So wurde wenige Tage später ein offener Brief veröffentlicht, unterzeichnet von 96 ehemaligen Kruzianern. Über die sozialen Netzwerke im Internet hatten sie sich zusammengefunden und heftig über den Vorfall diskutiert.
    "Das waren natürlich in erster Linie die Jahrgänge der letzten 20 Jahre, die alle unter Kreile gesungen haben", sagt Wolf-Georg Winkler, der Sprecher der Gruppe, der in Leipzig Jura studiert.
    "Deswegen sind unter den 96 Unterzeichnern die Jahrgänge 2016 bis 1999 vertreten."
    Im Brief artikulieren die Unterzeichner ihre Besorgnis über den Zustand des Kreuzchors. Der Ausschluss der fünf Abiturienten von der Sommerreise ist ihrer Meinung nach nur ein Symptom, die eigentlichen Probleme lägen tiefer: Die Jungs würden zunehmend mit sängerischen Aufgaben überfordert, die nicht sozusagen zum Kerngeschäft, also den Gottesdiensten und Konzerten in der Kreuzkirche gehören. Wolf-Georg Winkler stellt fest:
    "Da wäre etwa der Auftritt beim Semperopernball, der Auftritt bei den Salzburger Osterfestspielen, ein Kurztrip nach St. Petersburg für zwei Tage – alles Dinge, die natürlich mit erheblicher Reisetätigkeit und dem Durchbrechen des normalen Rhythmus verbunden sind."
    Kreuzkantor Roderich Kreile kann diese Kritik nicht nachvollziehen und teilt per Brief mit:
    "Haben wir Sponsoren, so wollen wir auch gemeinsame Projekte mit ihnen durchführen. Diese Art von oftmals weltlichen Konzerten ist keineswegs irregulär, sondern offiziell."
    Kerngeschäft des Kreuzchors: Geistliche Musik
    Doch die ehemaligen Kruzianer sehen hier Grenzen überschritten. Sie stellen die Frage, ob der Chor wirklich zum Beispiel bei der Gala eines Hochglanzmagazins für Herrenmode auftreten sollte. Durch solche Termine sehen sie seinen Kernauftrag, nämlich Geistliche Musik zu singen, tangiert. Zudem sei dadurch im letzten Schuljahr die Belastung der Jungs häufig zu hoch gewesen, betonen die 96 Unterzeichner des offenen Briefes. Es würde vorkommen:
    "Dass Auftritte bis nach 22 Uhr stattfinden, dass keine ausreichenden Ruhezeiten mehr zwischen chorischen Veranstaltungen eingehalten werden können."
    Kreuzkantor Kreile betont, dass das Einzelfälle gewesen seien und dass in Zukunft so etwas nicht mehr vorkommen solle.
    "Neuerarbeitete Modi zur Jahresplanung führen auch zu keiner Mehrbelastung, umsetzbar ab Schuljahr 18/19."
    Seit etwa vier Jahren haben die externen Termine der Kruzianer immer stärker zugenommen, betonen die 96 Unterzeichner des offenen Briefes an den Kreuzkantor. Die Folgen: Viele Jungs schaffen das Abitur nicht, bzw. werfen schon vorher das Handtuch. Von den Knaben die 2007 ihre Ausbildung im Chor gestartet haben, sagt Wolf-Georg Winkler, haben am Ende nur drei im Jahr 2016 ihr Reifezeugnis bekommen.
    "Da sind Leute in der 9. Klasse sitzengeblieben, einer nach der 10. Klasse rausgeflogen. In der 11. Klasse mussten zwei nach der 11. Klasse den Chor verlassen aus schulischen Gründen. Und 2016 im Jubiläumsjahr haben dann nochmal zwei ihr Abitur im ersten Anlauf nicht bestanden."
    Detlev Burghardt, der Vorsitzende des Chor-Freundeskreis, der als Ehemaliger den offenen Brief nicht unterzeichnet hat, sieht diese Statistik nicht als Alarmsignal.
    "Es war auch zu meiner Zeit so, dass keineswegs alle das Abitur gemacht haben. Es gab auch durchaus Klassen, wo nur vier bis sieben das Abitur gemacht haben."
    Stellungnahme vom Kreuzkantor Roderich Kreile
    Die Sponsoren-Konzerte und die vermehrten Tournee-Auftritte bedeuteten, so betont Kreuzkantor Roderich Kreile in seiner Stellungnahme immer wieder, keine dauerhafte Mehrbelastung für die Jungs. Und sie seien nötiger denn je, denn die Stadt Dresden spanne den finanziellen Rahmen für den Chor, der als deren Eigenbetrieb geführt wird, immer enger.
    "Dies bedeutet unter anderem, dass Mehrbedarfsanträge im Bereich Bildung abgelehnt wurden, und wir – wie andere Kulturinstitute auch – auf den Stand von 2014 reduziert wurden. Meine Aufgabe ist jedoch, langfristig Stabilität herbeizuführen, was langfristig gesehen unerlässlich ist."
    Andere Knabenchöre in Deutschland sind schon wesentlich länger auf Sponsoren angewiesen, etwa der Windsbacher Knabenchor.
    "Grundsätzlich sind die Windsbacher eine eigenständige Anstalt des öffentlichen Rechts", sagt deren Internatsdirektor Thomas Miederer.
    "Das heißt, wir müssen uns erstmal selber finanzieren. Wir bekommen dafür großzügige Zuschüsse der Kirche – die müsste sie nicht geben, wir sind dafür dankbar. Diese Zuschüsse decken etwa 40 Prozent des Haushalts. Wir haben Internatsgebühren, die deutlich höher liegen als bei den anderen Knabenchören. Unsere Eltern zahlen zwischen 560 und 650 Euro pro Monat. Und dann bekommen wir noch Zuschüsse vom Freistaat Bayern, vom Bezirk und vom Landkreis, bzw. dann der Stadt Windsbach."
    Windsbacher Knabenchor
    Durch dieses Finanzierungsmodell ist der Windsbacher Knabenchor gezwungen, außerhalb der Andachten und Gottesdienste im Internat rund 70 Konzerte im Jahr zu geben, das sind 20 mehr als derzeit der Kreuzchor. Dennoch führt diese Belastung dort nicht zu solchen Kontroversen wie derzeit in Dresden. Hat Kreuzkantor Kreile also mit seinen Argumenten Recht, dass keine Überforderung besteht? Die 96 Unterzeichner des offenen Briefes haben da ihre Zweifel, ihrer Meinung nach bestehe dringender Diskussionsbedarf. Das räumt auch Freundeskreis-Vorsitzender Detlev Burghardt ein, dennoch sieht er den Brief der 96 Ehemaligen kritisch.
    "Ich würde das nicht unbedingt alles in der Öffentlichkeit machen, sondern ich würde erst einmal miteinander reden – und dann kommen ja sicher Ergebnisse – und die kann man ja vorstellen."
    Die fünf Kruzianer, die Roderich Kreile von der Sommerreise ausgeschlossen hatte, durften immerhin dann doch an deren Abschlusskonzert in Wittenberg teilnehmen. Die Debatte um die Belastung der Jungs und um deren nicht kirchliche Aufgaben wird, das ist sicher, im kommenden Schuljahr weitergeführt werden.