Freitag, 29. März 2024

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Kritik am Kohleausstieg
"Wir werden sämtliche Klimaschutzziele reißen"

Die vereinbarten Kohlekraftwerk-Abschaltungen kämen viel zu spät, sagte der Ingenieurwissenschaftler Volker Quaschning im Dlf zum Kohleausstiegs-Beschluss. Zudem erfolge der Ausbau der Solar- und Windenergie in Deutschland so langsam, dass es nicht gelingen werde, die Kohlekraftwerke zu ersetzen.

Volker Quaschning im Gespräch mit Stefan Römermann | 17.01.2020
Braunkohlenkraftwerk von RWE in Neurath in NRW, davor Strommasten.
In den nächsten zwei, drei Jahren werden die Emissionen vielleicht wieder ansteigen - davon geht Volker Quaschning aus (picture alliance / Chromorange)
Stefan Römermann: Das Ziel ist klar: Wenn Deutschland seine selbst gesteckten Klimaziele irgendwie erreichen will, dann müssen die CO2-Emissionen so schnell wie möglich sinken. Eine wichtige Rolle dabei spielen Kohlekraftwerke. Um deren Abschaltung wurde lange gerungen. In einer langen Nachtsitzung wurde dann gestern in den frühen Morgenstunden der Fahrplan dafür festgeklopft. Das erste Kraftwerk soll noch in diesem Jahr abgeschaltet werden. Was das für die Energiewende bedeutet, darüber spreche ich jetzt mit Volker Quaschning. Er ist Professor für regenerative Energien an der Hochschule für Technik und Wissenschaft in Berlin und prominentes Gesicht der Initiative Scientists for Future. Herr Quaschning, das erste Kraftwerk, ich habe es gerade gesagt, bis Jahresende soll es abgeschaltet werden, das allerletzte dann 2038. Ist das ein gutes Signal für Klimaschutz und für die Energiewende?
Volker Quaschning: Die Kohleverstromung macht in Deutschland um die 30 Prozent der Treibhausgas-Emissionen aus. Das heißt, es ist ein Baustein, einer unter vielen. Wir müssen natürlich auch im Verkehr das entsprechend reduzieren oder auch im Wärmebereich. Aber bei der Kohleverstromung geht es natürlich am einfachsten. Man muss einige hundert Kraftwerke abschalten und ersetzen, dann hat man in diesen Bereich eingespart. Im Verkehrsbereich geht es um 40 Millionen Autos, das ist natürlich ungleich schwerer. Das zeigt aber auch, dass man diese einfachen Aufgaben eigentlich deutlich schneller erledigen müsste. Wir wissen, dass wir in Deutschland bis 2040 eigentlich komplett klimaneutral sein müssten. Wenn wir dann 2038 erst die einfachen Aufgaben erledigt haben, wie lange brauchen wir dann noch für die komplexen Aufgaben? Kommt viel zu spät und wird dazu führen, dass wir sämtliche Klimaschutzziele damit dann auch in Deutschland reißen.
Abschaltungen kommen "viel, viel zu spät"
Römermann: Man könnte aber doch sagen, zumindest steigt jetzt durch diesen Fahrplan der Druck, dass wir die erneuerbaren Energien zumindest mal ausbauen. Oder wie sehen Sie das?
Quaschning: Na ja. Erst mal geht ja noch ein neues Kohlekraftwerk ans Netz. Das hat man ja auch vereinbart. Es wird immer nur darüber gesprochen, dass wir jetzt welche abschalten; dafür kommt ein Neues dazu. Das heißt, am Anfang ändert sich erst mal noch gar nicht so viel. Die wirklichen Abschaltungen, die vereinbart sind, die kommen relativ spät in diesem Fahrplan, viel, viel zu spät, und gar kein Bestandteil der Vereinbarung war ja, wie man das Ganze ersetzen soll. Das heißt, man hat zwar einen Abschaltplan, aber gar keinen Einschaltplan parallel dazu erarbeitet. Das heißt, der Ausbau der Solar- und Windenergie erfolgt in Deutschland so langsam, dass es nicht mal gelingen wird, die wegfallenden Kernkraftwerke, die ja auch noch abgeschaltet werden, zu ersetzen, geschweige denn die Kohlekraftwerke. Da bräuchten wir irgendwo den Faktor vier- bis fünfmal mindestens beim Zubau, und darüber wurde ja gar nicht geredet. Das heißt, wir haben jetzt einen Abschaltplan. Wir werden die ersten Kraftwerke abschalten, dann auch relativ spät, aber es kommt gar nichts dazu an Solar- und Windenergie, zumindest nichts in nennenswertem Umfang, und dann wird es natürlich auch wirklich schwierig, irgendwelche CO2-Ziele einzuhalten. Wir gehen sogar davon aus, dass in den nächsten zwei, drei Jahren die Emissionen vielleicht sogar wieder ansteigen.
"Ausbau der Solar- und Windenergie deutlich nach oben schrauben"
Römermann: Wo stockt es denn besonders beim Ausbau der Erneuerbaren?
Quaschning: Erst mal hat man im Gesetz für erneuerbare Energien Ziele festgelegt, die einfach über einen Dreisatz ausgerechnet viel zu niedrig sind, um überhaupt das ersetzen zu können, was wegfallen wird bei der Kohle und beim Atomenergieausstieg. Das heißt, wenn ich etwas wegstreiche, muss ich natürlich in der gleichen Menge dann irgendwas Neues dazu bauen, damit es irgendwo passt. Das erste, was man machen müsste, ist erst mal ehrlich sein und sagen, okay, wir müssen diese Zahlen dringend anpassen, das heißt den Ausbau der Solar- und Windenergie auch vom Ziel her erst mal deutlich nach oben schrauben. Und dann haben wir im Bereich der Solarenergie einen Haufen Hürden und Hemmnisse. Wir haben letztes Jahr eine Studie herausgebracht, wo wir 50 gesetzliche Hürden und Hemmnisse definiert haben, die den Solarenergiezubau niedrig halten. Im Windenergiezubau hat man die Gesetze so gemacht, dass man auch die Akzeptanz beschädigt hat für den Ausbau der Windenergie. Das heißt, da ist es immer schwieriger, auch Windkraftanlagen zu errichten. Diese Baustellen, die ist man gar nicht angegangen. Das heißt, wir haben es weiterhin schwer, Solar- und Windräder aufzubauen, wollen aus der Kohle aussteigen, und das passt nicht zusammen.
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Römermann: Sie haben gerade schon mal ganz kurz die Kernkraftwerke angesprochen. Der sächsische Ministerpräsident Michael Kretschmer hat jetzt im Zusammenhang mit dem Kohleausstieg ja auch die Atomkraft wieder ins Gespräch gebracht. Wäre das denn nicht in Sachen Klimaschutz auch eine mögliche Lösung, oder zumindest eine Notlösung? Über die Risiken der Kernkraft müssen wir jetzt hier gar nicht groß reden, aber die machen ja tatsächlich keine CO2-Emissionen.
Quaschning: Das ist wieder so ein schöner, nicht zu Ende gedachter Vorschlag. Die Kernenergie deckt derzeit in Deutschland noch drei Prozent des Energieaufkommens. Um die 80 Prozent ist Öl, Kohle und Gas, fossile Energien. Das heißt, diese 80 Prozent müssen wir ersetzen. Da werden uns drei Prozent Kernenergie nicht wirklich weiterhelfen. Wenn die Kernenergie eine Lösung sein sollte, dann müssten wir 30, 40 neue Kernkraftwerke bauen, dann möglichst in Bayern, weil da haben wir natürlich die schöne Situation, dass da die Mindestabstände für Kernkraftwerke kleiner sind als für Windräder. Und mal gucken, was dann der Herr Söder da zubaut. Ich glaube, das ist ein rein populistischer Vorschlag, der nicht wirklich ernst gemeint ist.
"Wir werden sämtliche Klimaschutzziele reißen"
Römermann: Drohen denn jetzt, so wie Sie das sehen, tatsächlich auch Versorgungslücken? Müssen wir tatsächlich damit rechnen, dass es vielleicht Stromausfälle gibt, weil wir gar nicht genug Strom haben werden.
Im Vordergrund sind Blumen zu sehen, an einer Wiese führt eine Straße ins Dorf Kuckum hinein, von dem einige flache Häuser im Hintergrund zu sehen sind. Die Bäume tragen noch kein Laub. Das Dorf soll dem Braunkohletagebau Garzweiler II weichen.
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Quaschning: Momentan natürlich erst mal nicht. Wir haben in Deutschland ja derzeit viel zu viel Strom. Wir exportieren sehr große Strommengen ins Ausland. Das heißt, wenn jetzt etwas wegfällt, dann werden erst mal die Exporte ins Ausland zurückgehen. Deswegen wäre ich die nächsten Jahre relativ entspannt. Nur wenn man 2030/35 große Mengen abschalten will und wenn wir bis dahin weiterhin die Energiewende so langsam machen, dann wird das einfach nicht funktionieren. Das heißt, es wird keinen Stromausfall geben, sondern dann wird man vielleicht irgendwann diskutieren und sagen, okay, wir können leider nicht abschalten, weil wir es nicht hinbekommen haben, Windenergie in Deutschland aufzustellen, und dann können wir natürlich sämtliche Klimaschutzversprechungen überhaupt noch mehr in die Tonne treten wie bisher. Das heißt, das müssen wir lösen, und zwar möglichst schnell, wenn wir Klimaschutz erreichen wollen. Die Lichter werden nicht ausgehen, aber wir werden sämtliche Klimaschutzziele reißen und uns weltweit wirklich lächerlich mit dem machen, was wir hier tun.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.