Mittwoch, 24. April 2024

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Kritik an Björn Höcke
"Diesen Personenkult lehnen wir ab"

Der stellvertretende AfD-Parteivorsitzende, Kay Gottschalk, hat die Kritik am Thüringer AfD-Chef Björn Höcke bekräftigt. Er sehe Höcke nicht als Rassisten, aber es passe nicht mehr in die Zeit, Fähnchen schwenkend martialisch aufzutreten. Die AfD wolle eine moderne Partei sein und lehne Personenkult ab.

Kay Gottschalk im Gespräch mit Tobias Armbrüster | 11.07.2019
Björn Höcke auf dem Landesparteitag der AfD Thüringen am 3.11.2018.
Björn Höcke, Fraktionsvorsitzender und Sprecher der AfD Thüringen. 2015 gründete er die rechtsnationale AfD-Gruppierung "Der Flügel" mit. (picture alliance/Bodo Schackow/dpa-Zentralbild/dpa)
Tobias Armbrüster: Bei der AfD tobt seit einigen Tagen ein heftiger Streit. Im Zentrum steht der Thüringer AfD-Landeschef Björn Höcke, seit vielen Jahren ein Rechtsaußen-Vertreter in der Partei. Seine Anhänger haben sich in einer eigenen Gruppierung zusammengefunden, dem sogenannten "Flügel".
Jetzt schlägt Björn Höcke und dem Flügel allerdings immer mehr Widerstand entgegen, auch weil viele in der AfD fürchten, der Flügel wolle die Partei regelrecht übernehmen. Gestern haben mehr als 100 AfD-Politiker einen Appell unterschrieben, in dem sie den Personenkult um Björn Höcke kritisieren und ihn auffordern, sich künftig nur noch auf seine Aufgaben als Landesvorsitzender zu konzentrieren. Mit unterzeichnet hat diesen Appell der AfD-Politiker Kay Gottschalk, Bundestagsabgeordneter und stellvertretender Bundesvorsitzender. Schönen guten Morgen, Herr Gottschalk.
Kay Gottschalk: Guten Morgen, Herr Armbrüster. Ich grüße Sie.
Armbrüster: Herr Gottschalk, warum haben Sie da unterschrieben?
Gottschalk: Oh, das hat viele Gründe, warum ich da unterschrieben habe. Aber letztlich ist für mich zu diesem Flügeltreffen - und da bin ich sehr dankbar, dass Sie das mal eingespielt haben - eine Grenze überschritten worden, und ich glaube, man hat in den letzten Monaten, darauf werden wir ja vielleicht auch zu sprechen kommen, über sehr oft viele Dinge hinweggesehen. Und ich glaube, auch die Ereignisse in Nordrhein-Westfalen, die Ereignisse in Bayern, die Ereignisse in Baden-Württemberg spielen hier eine Rolle.
Man kann das nicht nur singulär auf das sogenannte Flügeltreffen jetzt sehen, sondern man muss ganz einfach eine Reihe von Dingen, die auch in der Europawahl passiert sind, ein sogenanntes Südflügeltreffen, parallel fast zu unserem Vorsitzenden Jörg Meuthen, das muss man alles mal in Reihe sehen. Und ich sage mal: Die Geister, die man rief, die schlagen jetzt insoweit auch mal zurück, und ich glaube, darüber müssen wir im Interview verschärft sprechen.
"Offene Kritik an der Führung geht gar nicht"
Armbrüster: Welche Grenze hat Björn Höcke denn da überschritten?
Gottschalk: Ich sage es mal mit seinen eigenen Worten. Ich spreche mal mit seiner Rhetorik. Das kann ich nämlich auch. Offene Kritik an der Führung geht gar nicht, wenn man sich im Krieg befindet. Soll heißen, im Wahlkampf. Zunächst mal hat Herr Höcke hier den Stein ins Wasser geschmissen. Es sind auch diverse Gespräche vorher unter vier Augen geführt worden, auf die ich gar nicht näher eingehe - ein letztes am Freitag in der letzten Plenarwoche.
Es ist einfach so, dass anscheinend gute Gespräche und eine gute Beziehung und auch das Handreichen alleine nicht hilft, und insoweit musste man jetzt nach diesem Treffen auch mit Pathos, der Pathos, der dort abgehalten wurde - ich habe es, glaube ich, auch in mehreren Interviews gesagt - Ich glaube, das passt alles nicht mehr in die Zeit und wir dürfen uns mit Fähnchen und Ordensverleihung und alles, was da vorgenommen worden ist, dieser supermartialische Einmarsch, dann irgendwie am Ende des Tages vielleicht auch nicht wundern, dass wir bei den U30-jährigen nicht mal fünf Prozent Anteil haben.
Das muss ich dann als Bundesvorstand mitverantworten und dann mache ich irgendwann auch meinem Ärger darüber Luft. Mir tut es natürlich leid um die Kollegen, die jetzt sich gerade im Wahlkampf befinden, aber da sollten sie sich vielleicht bei Herrn Höcke bedanken, der hier den Stein ins Wasser geschmissen hat.

"Als Rassist sehe ich Höcke nun wahrlich nicht"
Kay Gottschalk (AfD) spricht in einer Plenarsitzung im Deutschen Bundestag
Kay Gottschalk (AfD) spricht in einer Plenarsitzung im Deutschen Bundestag (dpa / Michael Kappeler)
Armbrüster: Herr Gottschalk, jetzt gibt es viele, die sagen schon seit Jahren, dass Björn Höcke ein Rassist ist und dass eigentlich niemand in einer Partei, die irgendetwas auf sich hält, mit so jemandem etwas zu tun haben möchte. Warum kommt die AfD erst jetzt dazu, so kritisch gegen Björn Höcke Stellung zu beziehen?
Gottschalk: Da muss ich jetzt auch Björn Höcke mal verteidigen. Als Rassist sehe ich ihn nun wahrlich nicht. Da muss die Fairness an der Stelle einfach mal auch zum Ausdruck gebracht werden. Aber was ich sehe ist, dass er sich mit dem Flügel in die Westbelange ganz massiv einmischt.
Ich habe kein Problem damit, wenn jeder Landesvorsitzende in seinem Bundesland arbeitet, aber der Flügel ist eine bundesweit agierende Gruppierung. Das muss man schon so sagen. Sie hat gewisse Strukturen. Da gibt es Landesbeauftragte.
Armbrüster: Herr Gottschalk! Entschuldigen Sie, wenn ich Sie da unterbreche. Wenn ich Sie richtig verstehe, dann stören Sie bei Björn Höcke vor allen Dingen Stilfragen? Sie stört sein Auftreten und wie er mit den Parteistrukturen umgeht?
Gottschalk: Ja. Einen Personenkult brauchen wir nicht.
Armbrüster: Inhaltlich haben Sie mit ihm kein Problem?
Gottschalk: Inhaltliche Themen, die können wir auf Parteitagen lösen. Ich sehe viele Dinge sicherlich in Nuancen anders. Ich bin aber zum Beispiel in der Rentenfrage - da sind sogar Dinge von mir wie ein Rentenstabilisierungsfonds aufgenommen worden -, sind wir gar nicht so weit auseinander - in einigen anderen Dingen schon.
Nur das ist eine Frage, die können wir auf programmatischen Parteitagen hier diskutieren. Wir verwechseln viel zu oft in unserer Partei Sachthemen, die dann mit Personalthemen verwoben sind. Da ist der Flügel auch sehr geschickt. Gerade der Rentenparteitag, den wir abgesagt haben, da sollte wieder zu einer Ost-West-Causa aufgeblasen werden.
Auch da habe ich gebeten, bitte, lasst uns da mal sachlich bleiben. Es gab andere Gründe. Mich stört Pathos, das passt einfach nicht mehr in die Zeit. Wir wollen eine moderne, wirklich konservative Partei sein, aber da brauche ich keine Ordensverleihung etc. und Fahnengeschwenke. Das ist mal das eine.

"Dieser wirkliche Personenkult, den lehnen wir ab"
Björn Höcke am 30. April 2016 in Thüringen.
Den Personenkult um Björn Höcke lehnt Gottschalk ab, sagte er im Dlf. (Thomas Lohnes/Getty Images)
Armbrüster: Herr Gottschalk! Entschuldigen Sie die weitere Unterbrechung. Aber in Ihrer Partei sind nun mal die Grenzen zwischen konservativ und rechtsaußen, vielleicht sogar rechtsradikal, diese Grenzen sind in Ihrer Partei nun mal fließend. Ist es da nicht verwunderlich, dass so jemand wie Björn Höcke genau bei Ihnen ein Zuhause findet?
Gottschalk: Also noch mal: Für mich gehört der Flügel und alle Strömungen in diese AfD hinein, um das erst mal festzustellen. Die zweite Frage - und die ist richtig - ist: Wo nehmen wir eine Grenzziehung vor? Die kann an dieser Stelle tatsächlich eigentlich bisher – und ich glaube, das ist auch oft genug gesagt worden – Björn Höcke vornehmen, als auch andere Vertreter. Die sind nicht vorgenommen worden bisher, die fehlen.
Aber am meisten stört mich dann schon, wenn dann auch noch bei gelebter Toleranz, die wir haben, der Bundesvorstand und unabhängige Institutionen – und darum geht es – in unserer Partei angegriffen werden. Ich bin bestimmt mit manchem Urteil des Schiedsgerichtes auch nicht einverstanden, aber da werde ich mich nicht öffentlich zu äußern. Und dann noch dieser wirkliche Personenkult, und den lehnen wir ab. Das ist kein Gen der Gründungs-AfD, dass wir hier auf einmal wieder Personenkult pflegen.
Armbrüster: Warum entsteht denn dieser Personenkult um Björn Höcke? Was ist da Ihre Erklärung?
Gottschalk: Darüber habe ich mir keine Gedanken gemacht. Das müsste vielleicht Herr Höcke und die Kollegen, die dann dort entsprechend in Bierzeltlaune ihm zujubeln, klären. Ich sage mal ganz einfach: Für mich passt das nicht mehr in die Zeit. Für mich gehört es nicht zu unserer Partei. Offene Kritik, wenn wir einen Wahlkampf haben, am Bundesvorstand, der aus meiner Sicht hervorragend die Partei durch viele Probleme in den letzten beiden Jahren gebracht hat und sich durch Handlungsfähigkeit und sehr solidarische Arbeit ausgezeichnet hat, die halte ich für völlig unangebracht.
Wir müssen auch in diesem Zusammenhang, warum die Verbitterung so groß ist, auch mal über Nordrhein-Westfalen sprechen. Hier könnte der Flügel ja die Geister, die er rief, entsprechend auch versuchen, mal in den Griff zu bekommen, und das ist ein weiteres Kernproblem, was ich ansprach, dass ich glaube, …
Armbrüster: Verzeihen Sie, Herr Gottschalk. Die Geister, die Sie riefen, warum haben Sie die erst jetzt auf dem Schirm?
Gottschalk: Weil wir bisher wirklich immer versucht haben, in vielen, vielen Gesprächen im Hintergrund Dinge einfach proaktiv zu lösen. Es gab zum Beispiel im Vorfeld auch zu Nordrhein-Westfalen, um mal auf meinen Landesverband, den größten Landesverband unserer Partei zu sprechen zu kommen, viele Bemühungen, hier eine einvernehmliche Lösung herzustellen, und ich glaube, es ist zweifelsfrei, dass die drei Kollegen, die jetzt sitzen geblieben sind, Flügelvertreter sind und der Flügel hat diese Leute und seine eigenen Geister nicht im Griff und die fassen 62 Prozent Abwahlvotum, wenn auch juristisch 4,6 Prozentpunkte fehlten, als Vertrauensvotum auf. Das bringt unseren Landesverband durchaus in unruhige Zeiten und dann muss man sich auf der anderen Stelle nicht wundern, wenn man diese Führungsproblematik hat, und die muss der Flügel klären.
"Der Flügel hat auch ein Führungsproblem"
Armbrüster: Haben Sie den Eindruck, Sie können in der AfD mit dem Flügel diskutieren, Sie können über Positionen mit diesen Leuten reden und erzielen dann auch eine Einigung?
Gottschalk: Ja, definitiv! Es gibt, nochmals, ganz viele Menschen, die ich aus dem Flügel kenne, die ich sehr schätze und mit denen wir in Berlin sehr gut zusammenarbeiten. Da stehen Sachthemen im Vordergrund. Da fällt einem nämlich auf, in vielen Dingen, in Sachthemen liegen wir gar nicht so weit auseinander.
Armbrüster: Das heißt, Sie sind zuversichtlich, auch Björn Höcke können Sie wieder einfangen?
Gottschalk: Das weiß ich nicht. Das liegt an Björn Höcke. Und nochmals: Der Flügel und die Flügelvertreter müssen ihr Führungsproblem, was eklatant ist, lösen. Wir haben es in Bayern jetzt ähnlich wieder. Das muss man sich mal vorstellen, dass dort Vertreter des Flügels für ein Misstrauensvotum gegen den Vorstand einerseits sammeln.
In Bayern haben wir eine sehr schwierige Situation, auch mit Frau Ebner-Steiner. Das kann man offen so ansprechen und die Geschichte kennen, glaube ich, auch die meisten. Wir hatten in Baden-Württemberg, da durfte ich selbst beiwohnen, Ende Februar beim ersten Parteitag eine Problematik, und in NRW ist sie auch offen zu Tage getreten.
Nochmals: Der Flügel gehört in die Partei, aber wenn der Flügel und Flügelvertreter außerhalb der Partei, über der Partei stehen, über Gremien, über Landesverbände hinwegdefinieren, dann haben wir ein Problem. Das ist für mich auch ein Führungsproblem und das kann nur der Flügel für sich klären. Ich jedenfalls sehe dem Bundesparteitag sehr gelassen entgegen und bin mal gespannt und hoffe auch, dass dort dann mal klare Mehrheiten entsprechend solchen Ansagen, die völlig unnötig und zur Unzeit gekommen sind, eine Absage erteilen.
Armbrüster: Könnte es sein, dass Björn Höcke diesen Personenkult auch deshalb so erfolgreich hinbekommen hat, weil er inhaltlich so dermaßen umstrittene Thesen formuliert?
"Höcke operiert immer eher mit Schlagworten und Phrasen"
Gottschalk: Inhaltlich arbeiten heißt ja nicht nur für mich Parolen raushauen. Nochmals: Für mich gehört zur Führung auch dazu, Sacharbeit zu leisten, Sachthemen nach vorne zu stellen. Ich habe jetzt Björn Höcke in vielen Debatten immer eher mit Schlagworten und Phrasen operieren sehen.
Aber nochmals: Inhaltliche Fragen, die stellen sich in der Bundesprogrammkommission, die werden sich auf Programmparteitagen stellen und da werden unsere Mitglieder dann Entscheidungen treffen, die selbstverständlich dann auch durchzuführen sind. Hier geht es um das Miteinander und ob tatsächlich eine Gruppierung, die sich vornehmlich in die Westverbände einmischt - wir können auch Bremen nehmen - und dort eine Schneise der Verwüstung hinterlässt, in dieser Form ein Führungsproblem hat und wie sie das jetzt zu lösen gedenkt.
Da werden wir auch nicht nachlassen, bis dieses Führungsproblem gelöst ist und es klare Zeichen auch von Nordrhein-Westfalen gibt, dass man die Leute, die sich zum Flügel zugehörig fühlen, im Griff hat. Ich möchte auch lieber Wahlkampf machen.
Armbrüster: Herr Gottschalk, eine kurze Frage noch. Die Zugehörigen - aktuelle oder offizielle Zahlen gibt es dazu nicht, aber die meisten Leute sagen, das sind irgendwas zwischen 30 und 40 Prozent der Mitglieder. Können Sie die wirklich alle vor den Kopf stoßen?
Gottschalk: Ich glaube nochmals, auch bei den Flügelleuten gab es viele, das ist mir berichtet worden, die mit einem gewissen Schockzustand die Rede, die Kampfansage zur Kenntnis genommen haben. Und nochmals: Das muss der Flügel jetzt intern klären, ob Herr Höcke noch zeitgemäß als Flügelvertreter und Führungsfigur des Flügels ist. Das ist nicht meine Aufgabe. Meine Aufgabe ist es, die Bundespartei zu führen.
Armbrüster: Das heißt, Sie im Bundesvorstand wollen da gar nicht eingreifen?
Gottschalk: Wenn hier bestimmte Grenzen überschritten werden und wir uns im Bundesvorstand einig sind, dann werden wir sicherlich auch weitere Schritte wählen. Aber nochmals: Hier liegt der Ball tief in der Hälfte des Flügels zu sagen, da sorgen wir jetzt für bestimmte klare Zeichen, auch in Richtung Nordrhein-Westfalen. Und dann können wir alle zusammen Wahlkampf machen.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.