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Kritik an der EKD
Wolffsohn: "AfD wagt sich ganz offen an heiße Eisen"

Die AfD auszugrenzen, bringt nichts. Davon sind der Historiker Michael Wolffsohn und der EKD-Kulturbeauftragte Johann Hinrich Claussen überzeugt. Es schaffe nur Märtyrer, sagte Wolffsohn im Dlf. Claussen kritisierte die Entscheidung, Vertreter der AfD nicht zu Podien des Deutschen Evangelischen Kirchentags einzuladen.

Michael Wolffsohn und Johann Hinrich Claussen im Gespräch mit Andreas Main | 12.06.2019
Johann Claussen, Kulturbeauftragter der EKD und Michael Wolffsohn, Historiker und Publizist
Johann Claussen, Kulturbeauftragter der EKD und Michael Wolffsohn, Historiker und Publizist (Deutschlandradio)
Wolffsohn und Claussen kritisierten ein kirchenpolitisches Papier, das die AfD anlässlich des 37. Deutschen Evangelischen Kirchentages in Dortmund vorgelegt hatte. Wolffsohn bezeichnete die Kritik der AfD als "überzogen", Claussen sagte, es werde "ein Zerrbild der kirchlichen Lage gezeichnet". Verschiedene AfD-Landtagsfraktionen hatten in ihrem Papier "Unheilige Allianz – Der Pakt der evangelischen Kirche mit dem Zeitgeist und den Mächtigen" der EKD vorgeworfen, einseitig zu politisieren.
Die "Politisierung der evangelischen Kirche" beschäftige die deutsche Öffentlichkeit seit den 1960er-Jahren, "also lange bevor es die AfD gab", sagte Wolffsohn. Sie sei "ein Dauerthema auch für uns selbst", ergänzte Claussen. Er fände es "schade", wenn Kritik an der Evangelischen Kirche in Deutschland künftig verhaltener ausfallen würde - aus Angst, in die AfD-Ecke gestellt zu werden. "Das wäre langweilig. So viel Macht wollen wir der AfD nicht geben, dass wir nur noch auf Fußspitzen umeinander rumschleichen. Wir brauchen die Debatte." Kritik müsse aber fair sein.
"AfD hat den Mut, heißen Eisen aufzugreifen"
Wolffsohn bezeichnete die Vorgehensweise der AfD als "sehr geschickt". Sie greife Themen auf, die die Menschen beschäftigen, sei es Islam, Antisemitismus, Israel, Migration. "Da wagt sich die AfD ganz offen an heiße Eisen, sie gibt ihre Antworten, mit denen wir nicht einverstanden sind, aber viele in der Gesellschaft, in den Medien und auch in den traditionellen Parteien haben nicht den Mut, diese heißen Eisen aufzugreifen." So lange die heißen Eisen der AfD überlassen blieben, werde sie punkten. Wolffsohn plädierte für eine "Gegenoffensive".
Zudem kritisierte Wolffsohn, die Kirchen würden sich in der Wahrnehmung breiter Kreise zu wenig um Seelsorge kümmern. Geburt, Hochzeit, Trauer, Beerdigung, das Existenzielle. Viele Geistliche "versuchen die bessere Politik zu betreiben." In Abwandlung eines Jesus-Wortes forderte Wolffsohn: "Gebt der Kirche, was der Kirche ist! Betreibt weniger Politik!"
Seelsorge sei seine "Lebensaufgabe", widersprach Claussen, die den größten Teil seiner Arbeitszeit als Pastor ausmache. "Wir leiden darunter, dass unsere eigentlichen Themen nicht an die Öffentlichkeit dringen." Zu viele Menschen kämen mit Religion, Glaube, Kirche nur durch Medien vermittelt in Kontakt." Das seien nur politische "Aufregerthemen".
"Propagandaerfolg, den AfD dem Kirchentag zu verdanken hat"
Zur Nicht-Einladung von AfD-Vertretern zum Evangelischen Kirchentag sagte Wolffsohn: "So schafft man Märtyrer." Dies sei "ein großartiger Propagandaerfolg, den die AfD der EKD zu verdanken hat oder den Organisatoren des Kirchentags. Man müsse auch mit Anhängern der AfD kommunizieren: "Wir wollen die ja weglocken von diesen Rattenfängern." Claussen berichtete, dass der Ausschluss auch in der EKD "sehr strittig diskutiert" werde: "Ich fand diesen Beschluss auch nicht gut, viele andere auch nicht. Aber da ist der Kirchentag eine eigenständige Organisation." Auf der anderen Seite wolle man aber auch bei solchen großen und wichtigen Veranstaltungen "keine Holocaust-Relativierer auf die Bühne bitten".
Der Deutsche Evangelische Kirchentag findet vom 19. bis zum 23. Juni in Dortmund statt. Im Unterschied zum Kirchentag in Berlin 2017 und zum Katholikentag 2018 in Münster sind AfD-Vertreter diesmal nicht eingeladen.