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Kritik an EU-Coronahilfen als Zuschüsse
"Das wird dazu führen, dass Europa in Schulden versinkt"

Die von der Bundesregierung und Frankreich in der Coronakrise vorgeschlagenen Hilfen der EU für vor allem südeuropäische Länder stoßen in der CDU weiter auf Kritik. Der Wirtschaftspolitiker Klaus-Peter Willsch lehnt einen Einstieg in eine Verschuldungsmöglichkeit der EU ab.

Klaus-Peter Willsch im Gespräch mit Christiane Kaess | 26.05.2020
Der CDU-Abgeordnete Klaus-Peter Willsch.
Der CDU-Abgeordnete Klaus-Peter Willsch. (imago/Sven Simon)
Die Debatte über Hilfen für von der Corona-Pandemie besonders betroffene Länder spaltet derzeit die Europäische Union. Der Vorschlag aus Berlin und Paris, die europäische Wirtschaft nach der Coronakrise mit einem 500 Milliarden Euro schweren gemeinsamen Fonds wieder aufzubauen, stößt in Wien, Den Haag, Kopenhagen und Stockholm auf Widerstand. Diese Länder stören sich daran, dass die EU nach dem Vorschlag von Bundeskanzlerin Angela Merkel und des französischen Präsidenten Emmanuel Macron auch Zuschüsse vergeben soll, für die die EU-Kommission an den Kapitalmärkten Anleihen aufnehmen könnte. Für deren Rückzahlung müssten dann alle Mitgliedsländer gemeinsam einstehen. Die vier Länder können sich hingegen als Hilfen allenfalls Kredite vorstellen, die allein von den Ländern, die davon profitieren, wieder zurückgezahlt werden müssten.
Der österreichische Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) auf der Pressekonferenz "Urlaub in Österreich"  
Kurz: "Die volle Vergemeinschaftung von Schulden verhindern"
Der EU-Hilfsfonds für die von der Coronakrise besonders betroffenen Staaten sei grundsätzlich gut, sagte der österreichische Bundeskanzler Sebastian Kurz im Dlf. Es müsse diskutiert werden, was davon Kredite oder Zuschüsse sein sollten.
Der CDU-Wirtschaftspolitiker Klaus-Peter Willsch begrüßt diese Haltung, "weil er die eigene Verschuldungsmöglichkeit der EU nicht einführt, was ja einer der größten Makel am Vorschlag von Merkel und Macron ist". Willsch befürchtet, dass eine Verschuldungsmöglichkeit der EU künftig für alle möglichen Zwecke genutzt werden könnte, "ob einen heißen Sommer, ob einen kalten Winter, ob irgendeine Überschwemmung". In Europa gebe es keinen Mangel an Schulden und an Liquidität. "Wir haben einen Mangel an soliden Wirtschaften", sagte Willsch im Dlf.
French President Emmanuel Macron speaks while German Chancellor Angela Merkel listens during a joint video press conference at the Elysee Palace, on May 18, 2020, in Paris.
Ökonom sieht Merkel-Macron-Vorschlag kritisch
Beim vorgeschlagenen 500-Milliarden-Hilfsplan für Europa sei vieles noch unklar, sagte Wirtschafts- und Finanzwissenschaftler Bert Van Roosebeke im Dlf. Man werde "höllisch aufpassen müssen", dass man am Ende nicht doch bei Eurobonds lande.

Das Interview in voller Länge:
Christiane Kaess: Haben Sie sich gefreut über den Einspruch der sogenannten "sparsamen Vier"?
Klaus-Peter Willsch: Ja, in der Tat, und es betrübt mich ein wenig, dass wir nicht mehr in diesen Kreis gerechnet werden in der europäischen Öffentlichkeit. Es gab Zeiten, da waren wir stolz darauf, die am solidesten wirtschaftenden und sparsamsten zu sein in Europa, weil es ja immer um Steuerzahlergeld geht. Es geht ja nicht darum, Menschen zu quälen, sondern es geht darum, darauf zu achten, wo das Geld herkommt, und da auch die eigenen Steuerzahler nicht aus dem Blick zu verlieren.
A view taken on May 12, 2020 in Venice shows a deserted Grand Canal near the Rialto bridge, during the country's lockdown aimed at curbing the spread of the COVID-19 infection, caused by the novel coronavirus. With the tourism sector reeling, the European Commission was on May 13, 2020 to present a rescue plan for the sector. Vincenzo PINTO / AFP
Bewältigung der Coronakrise - Italiens Not und Europas Geld
"Erst starben die Menschen, jetzt stirbt die Wirtschaft": So hört man es aus Italien. Regierung und Bürger hoffen auf europäische Solidarität und milliardenschwere Hilfszahlungen. Die Rechtspopulisten aber haben eine eigene Agenda.
Kaess: Das heißt aber auch, Herr Willsch, den Vorschlag der sogenannten "sparsamen Vier", den finden Sie durchaus akzeptabel? Es geht ja um diesen Unterschied: Kriegen die geschwächten Länder Zuschüsse oder Kredite.
Willsch: Der ist vor allen Dingen deshalb gut, weil er die eigene Verschuldungsmöglichkeit der EU nicht einführt, was ja einer der größten Makel am Vorschlag von Merkel und Macron ist. Das war für uns immer ein wichtiger Lehrsatz für die Frage der Integration in Europa, dass wir Europa, das keine eigenen Steuerquellen hat - und das halten wir für richtig so, weil es kein vollwertiges Parlament gibt wie auf nationaler Ebene -, dass wir dort keine eigene Verschuldungsmöglichkeit machen. Ich kann Ihnen jetzt schon voraussagen: Es wird alle möglichen wichtigen Zwecke geben, ob einen heißen Sommer, ob einen kalten Winter, ob irgendeine Überschwemmung, die dieses Rad weiterdrehen, und das wird dazu führen, dass Europa in Schulden versinkt.
Keine Verschuldungsmöglichkeiten der EU einführen
Kaess: Da vermuten Sie, Herr Willsch, doch den Anfang von gemeinsamen Schulden, manchmal auch bezeichnet als Corona-Bonds, die Sie ablehnen wie viele andere auch. Aber diese Zuschüsse aus dem Fonds, die wären ja projektgebunden und sie wären zeitlich befristet, und Deutschland trägt wie jedes andere Land auch nur begrenzte Haftung. Das ist etwas ganz anderes!
Willsch: Das ist richtig, dass quotal gehaftet wird, nach Wirtschaftskraft der jeweiligen Volkswirtschaft. Allerdings ändert das nichts daran, dass es erstmalig eine Verschuldungsmöglichkeit für die EU wäre, und dass das abzulehnen ist, ist für mich selbstredend. Wir haben in Europa doch keinen Mangel an Schulden und an Liquidität. Wir haben einen Mangel an soliden Wirtschaften. Wenn man in eine Krise hineingeht wie Italien mit einem Schuldenstand von 133 Prozent am Volkseinkommen, am jährlichen, mehr als doppelt so viel, deutlich mehr als doppelt so viel wie erlaubt ist nach den Maastricht-Kriterien, und keinerlei ernsthafte Bemühungen, das anzupassen in den letzten zehn Jahren, feststellbar waren, dann darf man …
Kaess: Diese Sparbemühungen gab es ja, Herr Willsch. Aber ich frage da noch mal nach.
Willsch: Nein, nein, nein, nein, nein! Da müssen Sie schon mal ein bisschen genauer gucken. Was gab es denn für Sparbemühungen? Das ist ja immer wieder von den schnell sich abwechselnden Regierungen dann kassiert worden. Da gab es dann Steueramnestien, das ist dann doch nicht nachverfolgt worden. Dann ist diese Rentenreform wieder abgeräumt worden, es gibt nach wie vor ein Renteneintrittsalter von 65 für Männer und 60 für Frauen in Italien. Sie können das in vielen Bereichen durchdeklinieren. Und Fakt ist auch, dass die italienischen Bürger, was das Milliarden-Vermögen anbelangt, fast dreimal so viel haben wie die Deutschen.
Keine Kontrollmöglichkeit durch das deutsche Parlament
Kaess: Herr Willsch! Lassen Sie uns noch mal bei den Kriterien dieses Fonds bleiben, und ich frage da noch mal nach. Mit den Stimmen von Unions-Fraktionsmitgliedern - es gibt einen Brief, den kennen Sie, von CDU/CSU-Fraktionsvize Andreas Jung und dem haushaltspolitischen Sprecher der Union, Eckhardt Rehberg, an die Unions-Abgeordneten, also von zwei Leuten, die wahrlich nicht im Verdacht stehen, da übermäßig schnell und locker Geld zu verteilen. Es heißt in diesem Schreiben, in dieser absoluten Notsituation halte man eine Schuldenaufnahme durch die EU ausnahmsweise für vertretbar, um mit einem befristeten Fonds besonders betroffenen Regionen und Sektoren bei ihrer wirtschaftlichen Erholung mit zweckgebundenen Zuschüssen zu unterstützen. Und es gehe eben nicht darum, der Europäischen Union eine dauerhafte Verschuldung zu ermöglichen. – Da müssten doch, Herr Willsch, auch für Sie alle Kriterien erfüllt sein, um diese Zweifel auszuräumen.
Willsch: Da sage ich nur: Die Worte höre ich wohl, allein mir fehlt der Glaube. Letzte Woche war es genau zehn Jahre her, dass der EFSF gegründet wurde, damals in der Finanzkrise, diese vorläufige und provisorische und vorübergehende Verschuldungsmöglichkeit bei der EZB. Davor hatten wir alternativlos und einmalig und streng konditioniert und sich nicht wiederholend Griechenland-Hilfen beschlossen. Das war das Wording damals und das gleiche kommt jetzt wieder. Wer das noch glaubt - es wird dann wieder, wenn die Krise ist, gerufen werden: Gib mir Geld, sonst nenne ich Dich Nazi, und dann wird wieder bezahlt werden.
Kaess: Jetzt sagt aber auch Ihr Fraktionschef, der Unions-Fraktionschef Ralph Brinkhaus zu den Kritikern, wie Sie einer sind, man könne zwar auf Formalismus beharren, aber wenn alles zusammenbreche, dann stehe man am Ende sehr allein da.
Willsch: Formalismus - das hat nichts Formalistisches, was ich hier vorschlage. Das sind die Grundprinzipien, auf denen die Europäische Union und auch die gemeinsame Währung aufgebaut sind. Wir sind als deutsche Haushaltsgeber, als deutsches Parlament natürlich besonders berufen, das Geld, was wir bei den Bürgern mit Zwangsmaßnahmen einziehen, die Steuern sorgfältig zu verwenden. Und da sich hinzustellen und zu sagen, das kann für diese und jene Zwecke eingesetzt werden, und wir haben nicht mal nachher die Kontrolle als deutsches Parlament, das kann nicht richtig sein. Schauen Sie sich die europäischen Rechnungshofsberichte oder die Berichte von OLAF an. Dann sehen Sie, wie toll das ist mit der strikten Zweckbindung innerhalb der Europäischen Union.
"Bin nicht bereit, Staaten einfach Geld zu überweisen"
Kaess: Aber, Herr Willsch, das Argument der Gegenseite ist ja diese Frage, kann denn der Widerstand wirklich im deutschen Interesse sein. Denn kaum ein Land ist so abhängig von Exporten wie Deutschland und ein Großteil dieser Exporte geht in den EU-Binnenmarkt. Daher diese Worte von Ralph Brinkhaus: Was bringt uns das, wenn alles zusammenbricht.
Willsch: Wissen Sie, die Diskussion haben wir nun auch schon öfter geführt. Natürlich will ich auch nicht, dass alles zusammenbricht. Aber ich bin nicht bereit, ohne klare Vorgaben, was die Angebotsseite und die Wettbewerbsfähigkeit der Märkte anbelangt, Staaten hier einfach Geld zu überweisen für ein höheres Maß an Sozialleistungen, was sie sich für ihre Bevölkerung erwünschen.
Die Spanier wollen ein Grundeinkommen, ein bedingungsloses, einführen. Das sind alles Dinge, die nicht zusammenpassen. Man kann das natürlich national machen, wie man es für richtig hält, aber dann kann man nicht sagen, wir machen das jetzt mal hier so, soziale Wohltaten, und die Rechnung schicken wir euch. Es ist richtig, dass wir Staaten im innereuropäischen Handel sind, aber das Prinzip zu sagen, ich gehe jetzt mal irgendwo in eine Stadt, bevor der Markt öffnet, als Bauer und ich verteile jetzt Geld, damit die nachher meine Kartoffeln kaufen, das kann man so nicht machen.
Kaess: Nur, Herr Willsch, diese Kredite, die Ihnen vorschweben für Italien und Spanien, die bringen diesen Ländern überhaupt nichts, sondern die bringen die einfach nur in einen weiteren Teufelskreis. Denn Kredite haben die schon genug!
Willsch: Mit der gleichen Argumentation könnten wir natürlich die ganzen Liquiditätsverstärkungsmaßnahmen, die wir gerade für unsere eigene Wirtschaft machen, einfach sein lassen. Denn denen fehlt gerade Liquidität und deshalb tun wir das, weil wir die Struktur erhalten wollen. Die Kredite, da haben Sie recht, haben die eher schon zu viel. Aber wenn Sie jetzt in aktueller Not sind - wie groß die ist, kann man sich auch fragen, wenn Italien das Angebot, 35 Milliarden aus dem ESM für eine schnelle Reaktion auf die Unzulänglichkeiten im Gesundheitssystem zu bekommen, schnöde ablehnt, weil sie lieber das Geld geschenkt haben wollen. Dann muss man sich schon fragen, ob man da nicht fremde Melodien pfeift.
Lufthansa-Rettung: Steuerzahlergeld muss sorgfältig eingesetzt werden
Kaess: Und, Herr Willsch, differenzieren Sie denn bei Ihrer Ablehnung von diesen Milliarden für die EU zu den Milliarden für die nationale wirtschaftliche Rettung, die Sie gerade auch kurz schon angesprochen haben? Die Bundesregierung und die Lufthansa, das ist jetzt das Neueste, wo Geld hinfließt. Die haben sich auf ein neun Milliarden schweres Rettungspaket für den Konzern geeinigt – auch Geld der Steuerzahler. Was halten Sie davon?
Willsch: Als Welthandelsnation brauchen wir natürlich Verbindungen in die ganze Welt und brauchen einen nationalen Carrier. Das habe ich von Anfang an hier so gesagt. Und genau wie wir versuchen, Einzelhändler, Gastronomen und was weiß ich was alles zu halten, wegen eines externen Schocks, der ja Branchen unverschuldet getroffen hat - die Lufthansa war ein kerngesundes Unternehmen vorher – und dort die Liquidität völlig zusammen hat brechen lassen, dass wir dort unterstützen und helfen. Ich glaube, so wie ich das gelesen habe in der Einigung von gestern, ist ein einigermaßen ordentliches und ausgewogenes Paket zustande gekommen.
Wichtig ist, dass wir nicht in einen Wahn verfallen, jetzt als Politik zu meinen, wir wären die besseren Unternehmenslenker, und da mit Mikrosteuerung vorgehen. Ich glaube, das ist genau wie in anderen Bereichen der Volkswirtschaft auch ein wesentlicher Punkt, ein systemkritischer Pfad, dass wir Luftverkehr haben bei uns, und deshalb muss Lufthansa weiter fliegen können, und wir müssen darauf achten, dass das Steuerzahlergeld dort sorgfältig eingesetzt wird und nicht für überzogene Boni oder Dividenden ausgeschüttet wird.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.