Donnerstag, 28. März 2024

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Kritik an Ex-SPD-Chef Gabriel
Mattheis (SPD): Wir müssen uns stärker mit Lobbyfragen beschäftigen

Der frühere Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel steht wegen einer Beratertätigkeit für den Fleischkonzern Tönnies in der Kritik. Die SPD-Politikerin Hilde Mattheis forderte im Dlf unter anderem eine Ausdehnung der Karenzzeit für den Wechsel ehemaliger Regierungsmitglieder in die Wirtschaft.

Hilde Mattheis im Gespräch mit Jonas Reese | 02.07.2020
Die SPD-Politikerin Hilde Mattheis spricht im Bundestag
Die SPD-Bundestagsabgeordnete Hilde Mattheis gehört zum linken Flügel ihrer Partei (Imago/ Metodi Popow)
Der frühere Bundeswirtschaftsminister und Ex-SPD-Chef Sigmar Gabriel war für den Fleischkonzern Tönnies als Berater tätig. Daran gibt es Kritik aus seiner Partei, weil seit einem Coronavirus-Ausbruch im Tönnies-Stammwerk im Kreis Gütersloh über die prekären Arbeitsbedingungen in dem Schlachtbetrieb diskutiert wrid. Als Bundeswirtschaftsminister hatte Gabriel vor fünf Jahren selbst die Ausbeutung in der deutschen Fleischindustrie angeprangert - schon damals ging es um die oft desolaten Arbeits- und Wohnbedingungen der osteuropäischen Werkvertragsarbeitnehmer, die auch jetzt wieder in der Kritik stehen. Gabriel bestätigte, dass es eine dreimonatige Zusammenarbeit von März bis Mai 2020 mit Tönnies gegeben hat. Er habe für das Unternehmen handelsrechtliche Fragen klären sollen. Für die Tätigkeit erhielt er offenbar 10.000 Euro pro Monat.
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Jonas Reese: Frau Mattheis, Essen Sie gerne Fleisch?
Hilde Mattheis: Ich bin sehr zurückhaltend, was Fleisch essen anbelangt. Vor allen Dingen esse ich kein Schweinefleisch.
"Mehr als ein Geschmäckle"
Reese: Warum ist es dann aber verwerflich, für einen Fleischproduzenten zu arbeiten wie Sigmar Gabriel?
Mattheis: Sie wissen ja, dass es natürlich ein Geschmäckle hat, mehr als ein Geschmäckle, wenn jemand, der wirtschaftspolitisch so aktiv war in seiner politischen Zeit, jetzt für ein großes Unternehmen mit Milliardengewinnen und Millionengewinnen dann als Außenkurier tätig ist. Das heißt, alle Kontakte mitnimmt und versucht, auf dem chinesischen Markt oder auf dem afrikanischen Markt die Tür zu öffnen für jemanden, der in Niedersachsen seinen Betrieb hat. Das, finde ich, ist schon ein bisschen schwierig.
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Reese: Aber Tönnies, der Konzern macht ja nichts Verbotenes. Es ist ein legales Unternehmen. Und laut der Auftragsbeschreibung sollte Gabriel da neue Transportmöglichkeiten mit der Eisenbahn nach China eruieren. Das heißt, im Endeffekt hätte er sich für den Erhalt deutscher Arbeitsplätze eingesetzt.
Mattheis: Er hat 10.000 Euro dafür bekommen und in der gleichen Firma, in dem gleichen Unternehmen haben Menschen gearbeitet, die zu unsäglichen Bedingungen gearbeitet haben und zu einer wahnsinnig schlechten Bezahlung und ihre Gesundheit ruiniert haben. Das ist natürlich etwas, was Sigmar Gabriel in seiner Zeit als Wirtschaftsminister gewusst hat. Das ist etwas, wo ich glaube, dass es auch gegen einen Kodex verstößt, dass man nicht in einem Unternehmen ist, das man zu politisch aktiven Zeiten aufgefordert hat, seine Arbeitsbedingungen anders auszugestalten. Ich finde, das ist schon eine schwierige Kommunikation, wenn man das rechtfertigen will.
"Stärker mit Lobbyfragen beschäftigen"
Reese: Wäre es weniger verwerflich, wenn Gabriel jetzt im Aufsichtsrat bei VW sitzen würde, wie Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil, ebenfalls SPD?
Mattheis: Ihre Frage war anders angelegt. Deswegen habe ich die so beantwortet. Ich glaube, dass es einen Kodex für Abgeordnete geben muss, und das haben wir ja auch schon nicht nur für Abgeordnete, sondern für vor allen Dingen Leute, die ein Regierungsamt bekleidet haben, dass nicht nur nach 18 Monaten Karenz sie in Wirtschaftsunternehmen einsteigen können, sondern dass diese Karenzzeit durchaus etwas ausgedehnt gehört. Und ich glaube auch, dass man genau festlegen muss, in welchen Bereichen sie dann tätig sein sollten als ehemalige Regierungsmitglieder. Wenn ein ehemaliger Wirtschaftsminister wirtschaftspolitische Aufgaben aus einem Unternehmen erhält, ist das etwas, was natürlich diesen Tätigkeitsbereich in der Politik berücksichtigt beziehungsweise nutzen soll, und das finde ich schon sehr schwierig.
Reese: Gabriel hat aber die Karenzzeit abgewartet. Da frage ich mich: Wenn Tönnies jetzt nicht wegen dieser Coronainfektion in der Kritik stände, gäbe es dann nicht so einen großen Aufschrei?
Mattheis: Doch, ich glaube schon. Ich glaube, dass es jetzt nicht nur um Sigmar Gabriel ist, sondern ich glaube, es ist gerechtfertigt bei allen Fällen. Wir haben ja im Wochentakt aus anderen Fraktionen ebenfalls auch Verbindungen in die Wirtschaft hinein – sei es in aktiver Zeit, sei es nach aktiver Zeit. In aktiver Zeit hatten wir den Fall Amthor jetzt und ich glaube, es ist dringend geboten, dass wir nach anderen Staaten wie zum Beispiel Kanada oder Spanien sehr stärker auch uns mit solchen Lobbyfragen beschäftigen und klare Regeln aufstellen, was Parlamentarierinnen und Parlamentarier transparent offenlegen müssen, welche Nebeneinkünfte auf jeden Fall nicht gehen. Das schaffen andere Länder und das sollten wir auch schaffen.
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"Klare Regeln aufstellen"
Reese: Wer bestimmt denn in der SPD, was richtig ist und was falsch, was angemessen ist und was nicht?
Mattheis: Sie wissen, dass wir eine demokratische Partei sind, und das sind Mehrheitsentscheidungen, und ich glaube, dass wir uns auf letzten Parteitagen durchaus auch mit diesem Thema beschäftigt haben.
Reese: Im Grundwerteprogramm der SPD steht auch, Freiheit bedeutet die Möglichkeit, selbstbestimmt zu leben, und man sollte die Chance haben, seine Fähigkeiten zu entfalten. Das passt doch auf den Fall Gabriel ganz gut.
Mattheis: Freiheit bedeutet ja durchaus auch, solange ich die Freiheit anderer nicht einschränke, und sobald ich andere Werte beschneide, die die Gesellschaft und die Allgemeinheit betreffen, ist das mit der Freiheit schon nicht mehr ganz so, wie Sie das darstellen, und das finde ich auch richtig.
Reese: Frau Mattheis, ab Juli soll Gabriel möglicherweise in den Aufsichtsrat bei Siemens Energy gewählt werden. Ist das auch verwerflich?
Mattheis: Wissen Sie, ich finde, dass wir uns zu allererst einmal um diejenigen bemühen müssen, die in der aktiven Politik sind, und da klare Regeln aufstellen. Ich will jetzt an dem Fall Sigmar Gabriel gar nicht so groß rauf und runterdiskutieren. Ich bin der Meinung, dass wir alle in der Politik auch nach der aktiven Zeit dazu beitragen müssen, dass das nicht, was als Vorurteil in unserer Gesellschaft sich ja schon längst in die Köpfe gesetzt hat und wo es ja auch darum geht, die Demokratie zu verteidigen, dass nämlich Parlamentarier und Parlamentarierinnen nicht das Interesse der Bevölkerung vorrangig im Kopf haben, sondern nur ihre eigenen Interessen, dass wir das mit jeder Faser immer wieder widerlegen und nichts tun, was diese Vorurteile, auch diese populistischen Argumente von auch rechtsextremen Parteien unterstützt. Das sollten wir wirklich alle vermeiden und da bin ich schon dafür, dass da jeder seine eigene Verantwortung trägt.
"Nichts produzieren, was der Demokratie schadet"
Reese: Ist Sigmar Gabriel ein echter Sozialdemokrat?
Mattheis: Ich habe ihn nie als anderen gesehen und ich finde auch, wir Sozialdemokraten müssen uns immer fragen, ob das, was wir tun, tatsächlich unseren, ich sage es mal, Werteauffassungen entspricht. Das finde ich auch. Das ist aber ein Anspruch, den ich an alle habe, und ich glaube, das sehen alle auch so.
Reese: Sie haben den Fall Amthor angesprochen. Da schien es mir jetzt so, dass die Union da doch relativ sachlich mit dem Fall umgegangen ist, auch wenn es hart an der Grenze zur Legalität war, oder möglicherweise diese Grenze auch überschritten hat. Jetzt scheint es mir so im Fall Gabriel, dass sich die Sozialdemokraten da ein bisschen zerfleischen, dass diese Debatte da sehr emotional geführt wird.
Mattheis: Das glaube ich nicht, dass wir uns zerfleischen. Wäre auch ein blödes Bild, wenn wir das mit Tönnies in Verbindung bringen. Ich glaube, dass es ein Stück weit auch damit zusammenhängt, dass es für uns natürlich schon ein Punkt ist, wo wir unseren eigenen Anspruch immer wieder mit in die Waagschale werfen. Dieser Anspruch, den ich vorhin ja auch schon formuliert habe, ist, dass wir uns auf jeden Fall mit solchen Regeln bewegen, die auf gar keinen Fall irgendetwas produzieren, was dem Parlamentarismus und letztlich der Demokratie schadet.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.