Dienstag, 19. März 2024

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Kritik an Kurz
"Alle Grenzen der politischen Unverschämtheit überschritten"

Der Bruch mit der FPÖ sei der richtige Schritt von Österreichs Kanzler gewesen, sagte der Politiker Peter Pilz (Liste Jetzt). Aber Sebastian Kurz hätte sich nie mit den Rechten "ins Bett legen" dürfen. Ihm ginge es nur um Machtausbau, so Pilz, dessen Partei das Misstrauensvotum eingebracht hat.

Peter Pilz im Gespräch mit Philipp May | 22.05.2019
Der Politiker Peter Pilz (Liste JETZT) am 07. Mai 2019, anl. einer Sitzung im Parlament in Wien.
Laut Peter Pilz geht es Kanzler Sebastian Kurz immer nur um die eigene Macht (picture alliance / dpa / APA / Georg Hochmuth)
Philipp May: Am Telefon in Wien ist jetzt der Nationalratsabgeordnete Peter Pilz von der Liste JETZT, der den Misstrauensantrag gegen den österreichischen Kanzler vorgebracht hat. Guten Morgen, Herr Pilz!
Peter Pilz: Guten Morgen.
May: Der Bruch mit der FPÖ von Sebastian Kurz, war das für Sie keine vertrauensbildende Maßnahme?
Pilz: Das war schon der richtige Schritt und da hat es eigentlich wirklich keine Alternative gegeben. Nur der richtige Schritt oder der noch richtigere Schritt hätte ja eineinhalb Jahre früher stattfinden müssen, nämlich sich einfach nicht mit der FPÖ ins Bett zu legen. Alle in Österreich, die irgendetwas mit Politik zu tun haben – und das sagt man ja auch Herrn Kurz nach -, wissen: Die FPÖ ist nicht nur eine Partei der extremen Rechten, sondern bis auf die Knochen korrupt. Das ist nichts Neues. Wir verdanken der ersten schwarz-blauen Regierung Korruptionsfälle, die wir noch bis etwa 2025 aufarbeiten werden, mit einem Gesamtschaden von etwa 20 Milliarden Euro.
Jetzt hat Kurz spät, aber doch diese Reißleine gezogen, und dann hat er etwas getan, wofür wir überhaupt kein Verständnis haben, nämlich gesagt, lasst uns doch weiter zusammensitzen, lasst uns doch zusammen bleiben. Strache muss gehen und wenn ihr uns jetzt noch das Innenministerium gebt, dann können wir einfach so weitermachen. Und er hat so getan, als hätte er dann eine andere Freiheitliche Partei, nur weil seine eigene Partei die Macht ausbaut und das Innenministerium übernimmt.
Diese Bereitschaft, mit den Freiheitlichen einfach weiterzumachen, das hat alle Grenzen der politischen Unverschämtheit und Verantwortungslosigkeit überschritten. Wir haben bei Kurz nicht die Garantie, dass er sich nie wieder mit solchen Leuten ins Bett legt, sondern wir haben bei ihm die Garantie, dass er das nächste Bett sucht, wo wieder Freiheitliche drin liegen. Jetzt ist einmal der Punkt, dass das Parlament sagt, schauen wir uns die wirklich verheerende Bilanz von Kurz an.
May: Wenn ich eine kurze Zwischenfrage stellen könnte? – Neuwahlen, die hätte es doch in jedem Fall gegeben?
Pilz: Ja, das ist schon richtig. Aber es gibt einen großen Unterschied, ob es jetzt bis zu den Neuwahlen ein Wahlkampfkabinett Kurz gibt, wo nur noch für die ÖVP Wahlkampf betrieben wird, oder ob es ein Kabinett mit unabhängigen Expertinnen und Experten gibt, die im Gegensatz zur Regierung Kurz das Wohl der Republik Österreich im Auge haben. Die Qualität der Regierung, wenn wir jetzt eine reine Experten- und Expertinnen-Regierung haben, …
"Es ist ständig nur um Machtübernahme und Machtausbau gegangen"
May: Wieso glauben Sie, dass Sebastian Kurz nicht das Wohl der Republik Österreich im Auge hat? Vielleicht definiert er es einfach nur anders.
Pilz: Nein, da bin ich mir eigentlich ganz sicher. Wenn Sie sich die letzten Jahre anschauen, dann ist es ständig nur um Machtübernahme und Machtausbau gegangen. Keine einzige Reform, von der Klimapolitik bis zur Gerechtigkeitspolitik, ist auch nur ernsthaft angegangen worden.
May: Immerhin hat die Koalitionsregierung, die ÖVP-FPÖ-Koalition einen ausgeglichenen Haushalt präsentiert, was die Große Koalition über Jahre vorher nicht hinbekommen hat.
Pilz: Davon ist gesprochen worden. Aber wir sehen jetzt schon, dass das Ganze nur hält, wenn es eine extrem gute Konjunktur gibt. Das sind Versprechungen in die Zukunft. Ich bin selbst Ökonom. Wenn Sie dermaßen ein Budget erstellen und sagen, die Zahlen, die ich dem zugrunde lege, sind allertollste Hochkonjunktur, und wenn es nur einigermaßen normal läuft, dann geht das Budget komplett schief. So dürfen Sie Budgets nicht gestalten und so ist die gesamte Politik gestaltet worden.
Jetzt sind wir in der seltsamen Situation: Von den Sozialversicherungen bis in alle staatsnahen Gesellschaften hat die Partei die Macht übernommen, hat sie die Macht den Gewerkschaften, den Interessensvertretungen weggenommen. Jetzt stellt sich Herr Kurz hin und sagt: Nachdem ich jede Art von politischem Misstrauen begründet habe, nachdem es im Parlament außer meiner eigenen Partei niemanden mehr gibt, der mir traut, niemanden mehr gibt, der mit mir ernsthaft verhandeln will, weil es kein Grundvertrauen mehr gibt. Nachdem er die zweite Regierung an die Wand gefahren hat, stellt er sich jetzt plötzlich hin und sagt: Okay, ihr misstraut mir alle, also sprecht mir bitte das Vertrauen aus. Und das kann wohl schwer funktionieren.
May: Immerhin kann man Kurz zugutehalten, er hat die FPÖ geschrumpft. Das haben doch immer alle anderen politischen Parteien gewollt. Gebührt ihm da nicht auch ein Lob?
Pilz: Na ja. Ehrlich gesagt, da haben "Spiegel" und "Süddeutsche Zeitung" einen etwas größeren Beitrag geleistet.
May: Aber die Umfragen für die FPÖ gingen vorher auch schon runter.
Pilz: Nein, eigentlich nicht. Wir sind alle davon ausgegangen, vor dem Ibiza-Video, dass die FPÖ die Europawahlen gewinnt, aber das werden wir nicht mehr überprüfen können. – Schauen Sie, das Grundproblem – und das war das Stichwort Europa – ist: Sebastian Kurz hat die Österreichische Union begonnen, eigentlich aus Europa rauszuführen und in einen Visegrad-Verbund zunehmend autoritärer rechtsregierender Staaten hinein.
"Es gibt enormen Druck auf den ORF, politischen Interventionen nachzugeben"
May: Das würde er bestreiten.
Pilz: Natürlich bestreitet er das, aber es gibt die Fakten. Es gibt die Fakten der beginnenden Machtübernahme sogenannter Investoren in Schlüsselmedien dieser Republik. Es gibt enormen Druck auf den ORF, auf das staatliche Fernsehen, politischen Interventionen nachzugeben. Sie können völlig zu Recht einwenden, ja, politische Interventionen hat es früher auch gegeben, aber nicht den Versuch, Journalisten und Journalistinnen brutal einzuschüchtern und öffentlich zu verfolgen.
May: Aber das war ja nicht von Kurz.
Pilz: Das ist gemeinsam gekommen. Bei Kurz geht es im Stillen mit denselben Investoren. Glauben Sie, die Machtübernahme in "Kurier" und "Kronenzeitung" ist eine Machtübernahme der Freiheitlichen Partei? Lesen Sie diese Zeitungen, dann wissen Sie, für wen sie heute auf Linie gebracht worden sind. Und das geht weiter: Der Verfassungsschutz ist mit Duldung des Kanzlers total umgebaut worden. Das Innenministerium, andere Ministerien und vor allem auch die Sozialversicherung.
Wissen Sie, was das für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer bedeutet, wenn in einer großen sozialen Einrichtung, in der 80 Prozent der Beiträge von Arbeitnehmern und Arbeitnehmerinnen kommen, plötzlich Kurz-nahe Unternehmer die Mehrheit haben und den Ton angeben und eine neue Sozialpolitik dirigieren. Österreich ist weit nach rechts gerutscht und Österreich ist – und das wissen Sie in Deutschland – zu einem unverlässlichen Partner geworden. Und das ist nicht nur unsere Angelegenheit, sondern das ist auch eine deutsche und eine europäische Angelegenheit.
May: Okay, Herr Pilz. Dennoch: Selbst der Bundespräsident, Alexander van der Bellen, wenn ich ihn richtig deute, will offenkundig mit Kurz als Kanzler zumindest bis zu den Neuwahlen weitermachen, der Stabilität zur Liebe. Der kommt, sagen wir mal, aus der ähnlichen politischen Richtung wie Sie. Ist das nicht ein Punkt, dass man sagt, für die politische Stabilität nur bis zu den Neuwahlen macht es einfach Sinn, eine stabile Regierung unter der ÖVP mit Experten zu haben?
Pilz: Ja! Wir brauchen ja dringend nach diesem Chaos der letzten eineinhalb Jahre eine möglichst stabile Übergangsregierung. Alexander van der Bellen – Sie haben darauf hingewiesen -, ich kenne ihn wirklich gut.
May: Sie waren beide zusammen bei den Grünen.
Pilz: Wir waren gemeinsam lange bei den Grünen. Alexander van der Bellen hat ja klare Signale ausgesandt. Er hat nie gesagt, ich will, dass Kurz Bundeskanzler bleibt, sondern er sieht es nicht als seine Aufgabe, dem Bundeskanzler das Misstrauen auszusprechen. Das regelt die österreichische Bundesverfassung ganz klar. Das ist Aufgabe des Parlaments und des Nationalrates. Die Aufgabe des Bundespräsidenten ist es dann, wenn der Nationalrat die Vertrauensfrage geklärt hat, möglichst stabile Verhältnisse herzustellen. Und ich sage Ihnen heute eines: Eine Regierung, die zu 100 Prozent von ÖVP-freien und parteifreien Expertinnen und Experten besetzt wird, wird in der Qualität besser und in der Stabilität verlässlicher sein als das, was Sebastian Kurz uns jetzt politisch hinterlassen hat. Wenn es diese Regierung vom Präsidenten gibt, dann werden wir etwas ruhigere Wahlkampfzeiten haben und dann werden wir ohne ein Wahlkampfkabinett eine saubere politische Entscheidung vorweisen können.
"Österreich ist weit nach rechts gerutscht"
May: Ich versuche, noch zwei Fragen in anderthalb Minuten durchzubekommen. Meine erste Frage: Damit der Misstrauensantrag durchgeht, sind Sie jetzt ausgerechnet auf die FPÖ angewiesen. Die müssen ja auch mit Ihnen mitstimmen. Sie müssen gemeinsame Sache mit den Rechten machen. Ist das nicht genau das, was Sie Kurz vorwerfen?
Pilz: Ja, so ist Parlament. Im Parlament bilden sich freie Mehrheiten und ich kann einem Abgeordneten nicht zurufen, bitte stimme jetzt gegen eine vernünftige Angelegenheit, weil Du nicht gleich denkst wie ich. Das ist nicht sehr gut.
May: Jetzt hat mir mein Regisseur verboten, unter Strafandrohung, Ihnen noch eine Frage zu stellen.
Pilz: Wie hoch ist die Strafe?
May: Zu hoch – zu hoch. Sie wissen nicht, was hier für Sitten beim deutschen öffentlich-rechtlichen Rundfunk herrschen. – Herr Pilz, wir machen hier einen Punkt. Vielen Dank für das Gespräch, bis zum nächsten Mal.
Pilz: Bitte, gerne.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.