Donnerstag, 25. April 2024

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Kritik an Maria 2.0
„Ich glaube nicht, dass Gleichberechtigung in Ämtern kommt“

Maria werde instrumentalisiert, wenn ihr Name mit Forderungen nach der Priesterinnenweihe verbunden werde, sagte Ursula Harter von der Initiative Pontifex im Dlf. Aktionen wie Maria 2.0 setzten Ämter mit Macht gleich - und stützten damit ein falsches Verständnis von Macht in der Katholischen Lehre.

Ursula Harter im Gespräch mit Christiane Florin | 20.09.2019
Ein Transparent zeigt Maria, die Mutter Gottes, mit einem Pflaster auf dem Mund anlässlich eines Gottesdienstes unter freiem Himmel. Katholische Frauen und verschiedene Frauen-Initiativen aus mehreren deutschen Bistümern beteiligen sich am Kirchenstreik "Maria 2.0".
Frauen im Priesteramt bringen die Katholische Kirche nicht weiter, glaubt Ursula Harter von der Initiative Pontifex im Dlf (dpa / Friso Gentsch)
Christiane Florin: An diesem Sonntag wird der Kölner Dom umarmt. Das tun die Bewohner der Domstadt, ob katholisch oder nicht, verbal und vokal ohnehin dauernd. Aber übermorgen soll eine Menschenkette um die Kathedrale gebildet werden. Aufgerufen dazu hat die Initiative Maria 2.0 – eine Gruppe, die sich unter anderem für Gleichberechtigung von Frauen in der katholischen Kirche einsetzt, wir haben es im vorangegangen Beitrag gehört. Bundesweit bekannt wurde Maria 2.0 durch eine Aktionswoche im Mai dieses Jahres, als engagierte Katholikinnen in einen Kirchenstreik traten.
Maria 2.0 bekommt viel Unterstützung, aber auch Widerspruch. Das sei eine Instrumentalisierung, lautet ein Vorwurf, eine Instrumentalisierung der Gottesmutter Maria. Bei mir im Studio ist nun eine Kritikerin, nämlich Ursula Harter von der Initiative Pontifex. Das ist ein Netzwerk junger Katholikinnen und Katholiken, die treu zum Papst und zur überlieferten Lehre der Kirche stehen. Da das für Mitglieder der katholischen Kirche offenbar nicht selbstverständlich ist, wird das im Selbstverständnis der Initiative besonders betont. Guten Morgen, Frau Harter.
Ursula Harter: Guten Morgen.
Florin: Frau Harter, welches Bild von Maria haben Sie?
Harter: Maria ist für mich eine richtige "Wonder Woman". Sie ist für mich das Bild einer Frau, in der sich Himmel und Erde verbinden. Es gibt drei Attribute, die das für mich total gut beschreiben: Sie ist die Mutter Gottes, die Königin des Himmels und die Mittlerin der Gnaden. Und das Faszinierende finde ich daran, dass hinter diesen riesigen Attributen eben die Geschichte einer einfachen Frau steht, die ganz gegen alle Kategorien, die es in unserer Welt gibt, einfach komplett auf Gott gesetzt hat.
Florin: Was bedeutet das für Sie als junge Frau? Ist Maria ein Vorbild?
Harter: Ja. Für mich ist sie ingenau dieser Hinsicht ein Vorbild, dass man wirklich ganz konkret auf Gott vertrauen kann und dass dieses Vertrauen mein Hier und Jetzt verändern kann. Und zwar so, dass es vielleicht in weltlichen Kategorien nicht nach einer Erfolgsgeschichte aussieht, aber so, dass eben am Ende – wie wir bei Maria als der Königin des Himmels sehen – Gott alles zum Großen und Guten führt.
"Nicht nur für Frauen, auch für Männer Vorbild"
Florin: Wir haben vorhin im Beitrag gehört, die lehramtliche Sicht auf Maria ist noch um einige Facetten reicher. Da ist es nicht nur die, die auf Gott vertraut, sondern da soll sie ein Vorbild sein für Frauen in dem Sinne, dass Frauen demütig sein sollen, dass sie opferbereite Mütter sein sollen. Sehen Sie das auch so?
Harter: Ich denke, Maria ist nicht nur für Frauen Vorbild, sondern auch für Männer – weil sie ist quasi als der ideale Mensch die, die vorgelebt hat, dass man eben ganz im Vertrauen auf Gott ein ganzes Leben radikal ändern kann und dadurch das Größtmögliche möglich machen kann.
Florin: Wenn Maria benutzt wird, umeine bestimme Rollenerwartung zu formulieren – und die gilt besonders für Frauen -, ist das nicht auch eine Instrumentalisierung?
Ursula Harter, Lehramtsstudentin aus Bonn, engagiert sich in der Initiative Pontifex.
Ursula Harter engagiert sich für die Initiative Pontifex. (privat)
Harter: Ich denke, es ist immer eine Instrumentalisierung, wenn man nur über Maria spricht und sie nicht als Person für voll nimmt – und nicht mit ihr spricht. Ich glaube aber, dass wir natürlich Maria als Frau auch für uns als Frauen als Vorbild nehmen können; und zwar in der Hinsicht, dass genau dieses spezifisch Weibliche eben nicht nur mit einem "nur" konnotiert wird und immer einen Unterordnungs-Beigeschmack hat, sondern indem diesesWeibliche eben als Ehrentitel, zum Beispiel der Mutterbegriff als Ehrentitel anerkannt wird.
"Gegen die Entwicklung der letzten 2.000 Jahre"
Florin: Aber wenn Sie jetzt sagen, das "spezifisch Weibliche" – und vorhin aber gesagt haben, sie soll auch Vorbild für Männer sein? Wie passt das zusammen?
Harter: Das passt beides zusammen. Maria ist eben als der ideale Mensch Vorbild für uns alle Christen, als die erste, die Christus vollkommen nachgefolgt ist. Aber eben als Frau kann sie natürlich auch besonders als Identifikationsfigur für uns Frauen dienen.
Florin: Wir haben gerade gehört: Es gab über die Jahrhunderte verschiedene Bilder von Maria – auch wirklich im konkreten Sinne, also bildliche Darstellungen von Maria. Was stört Sie daran, dass jetzt eine Gruppe von Katholikinnen sagt: Wir lesen zum Beispiel aus dem Magnificat, aus dem großen Mariengebet, etwas anderes als nur das der demütigen Mutter, als nur spezifische Rollenerwartungen. Was stört Sie daran?
Harter: Mich stört daran, dass eben das Magnificat nicht mit Maria gebetet wird, dass nicht mit Maria Gott gepriesen wird, sondern dass daraus Maria in irgendeiner Form interpretiert wird. Dadurch nehmen wir Maria die Möglichkeit, selbst für sich zu sprechen und instrumentalisieren sie für irgendein Anliegen. Und ich denke, gerade das Anliegen von Maria 2.0, was entgegen der Entwicklung der letzten 2.000 Jahre steht, muss sich auch an dieser Entwicklung messen und nicht einfach nur dagegenstellen.
Florin: Ist Gleichberechtigung eine Entwicklung der letzten 2.000 Jahren? Es hat ein bisschen gedauert, bis so etwas wie Gleichberechtigung gesellschaftlich einigermaßen erreicht war. Ist das für Sie nur eine Zeitgeist-Erscheinung?
Harter: Ich denke, gerade Maria zeigt uns, dass Gleichberechtigung nicht nur jetzt ein Thema ist, sondern dass gerade im Christentum Frauen eben als gleichwertig, als Ebenbild Gottes – genau wie der Mann – gesehen werden. Aber Maria zeigt auch, dass das nicht heißt, dass wir gleich sind. Wir sind gleichwertig, aber wir sind verschieden. Wir haben verschiedene Aufgaben, und genau das sieht man bei Maria.
Florin: Aber Männer sind doch untereinander auch verschieden? Warum ist das Geschlecht das entscheidende Kriterium? Warum bestimmt das Geschlecht (Ihrar Ansicht nach) offenbar die gesamte Identität?
Harter: Weil damit anscheinend verschiedene Aufgaben verbunden sind. Also Gott ist in Jesus, dem Mann, Mensch geworden - und durch die Mutter Maria. Und so hat jeder verschiedene Aufgaben.
"Demut ist das erstrebenswerteste Gut"
Florin: Aber wenn jetzt Frauen sagen – zum Beispiel die von Maria 2.0: Wir haben eine andere Aufgabe als zum Beispiel die Mutterschaft oder die des demütigen Dienens oder des Empfangens - sozusagen der Mann sendet – die Frau empfängt. Warum ist das für Sie so ein Problem?
Harter: Das Problem ist für mich, dass da wieder ein "nur" steht. Das ist wieder "nur" das demütige Empfangen. Maria hat gezeigt, dass Demut im christlichen Kontext nicht ein "nur" ist. Das christliche Verständnis von Macht, von Amt, ist komplett auf den Kopf gestellt. Wir reden von "Dienst", wenn wir von "Amt" sprechen. Und Demut ist für uns das erstrebenswerteste Gut, das wir uns vorstellen können. Dadurch, dass Maria so demütig ist, dass sie gesagt hat: Mir reicht das, Magd des Herrn zu sein, dadurch konnte Gott uns alle erlösen. Maria zeigt, nicht wir sind es, die handeln, sondern wir sind es, die Gott Raum geben, um zu handeln.
Florin: Aber wenn man die Lehre der katholischen Kirche ernst nimmt, dann beharrt die auch auf dem "nur". Dann lässt man die Pluralität nicht zu. Sie sagt: "So war Maria – und so sollt auch ihr sein."
Harter: Die Lehre der katholischen Kirche sagt überhaupt nicht: "So war Maria – so sollt ihr sein." Sie sagt in einigen wenigen Punkten der Mariendogmen: "So war Maria – das sind die Leitplanken." Dazwischen kann man eine eigene Frömmigkeit ausbilden. Und sie sagt auch nicht: So haben Frauen zu sein.
Florin: Na ja, aber es gibt Päpste, die daraus ein bestimmtes Rollenbild abgeleitet haben: Johannes Paul II. zum Beispiel.
Harter: Genau, ja. Aber dieses Frauenbild zum Beispiel bei Johannes Paul II. ist eben eines, was nicht sagt: Hier ist eine Unterordnung von euch Frauen gegenüber den Männern zu sehen. Sondern: Hier ist die Rolle, die ihr notwendig übernehmen könnt. Diese Rolle, die wir Frauen, oder die alle Christen nach dem Vorbild Mariens übernehmen können, wirklich Christus nachzufolgen, wirklich Gott in unserem Leben wirken zu lassen. Diese Rolle ist notwendig zu übernehmen. Genauso wie es notwendig ist, dass es eben Priester in Ämtern gibt, die die Sakramente vermitteln.
Florin: Im Magnificat heißt es: "Er stürzt die Mächtigen vom Thron." Wer sind die Mächtigen in der katholischen Kirche?
Harter: In der Kirche, das ist total spannend, ist dieser ganze Begriff von Macht und Mächtigen auf den Kopf gestellt. Jesus sagt: "Wer der Erste unter euch sein will, soll der Letzte sein." Die Mächtigen in der Kirche sind die Heiligen im Grunde. Und heilig werden kann jeder auf seine Art und Weise.
"Papstamt - ein riesiger Dienst"
Florin: Das heißt, in dieser hierarchischen Institution katholische Kirche gibt es Ihrer Ansicht nach keine Macht, sondern nur Dienst?
Harter: Es gibt Dienst und Verantwortung. Und gerade, wenn wir im weltlichen Sinne von Macht reden, dann reden wir natürlich auch von Verantwortung den Menschen gegenüber. Im kirchlichen Sinne reden wir aber, wenn wir über Macht reden, auch über Verantwortung gegenüber Gott. Und in dieser Verantwortung steht gerade der Mächtigste, wenn Sie sich den Papst vorstellen, für wie viele Millionen Menschen er Verantwortung trägt, dann sieht man, wenn er sich vor Gott verantworten muss, was für ein riesiger Dienst das ist.
Florin: Verantwortung ist ein gutes Stichwort. Es wurde vor einem Jahr eine Studie vorgestellt zur sexualisierten Gewalt in der katholischen Kirche, die sogenannte MHG-Studie. Und die enthält einen Empfehlungskatalog. Unter anderem steht darin, dass auch kritisch über Machtverhältnisse in der Institution Kirche gesprochen werden müsste. Aber wenn ich Sie richtig verstehe, gibt es an den Machtverhältnissen nichts zu kritisieren?
Harter: Doch. Ich würde auf jeden Fall kritisieren, dass das Amt, was ausgeführt wird, als die Macht verstanden wird. Und das ist auch was, wo ich denke, dass Maria 2.0 das noch mehr befeuert, weil sie sagen: Jetzt wollen wir auch zu den Ämtern zugelassen werden. Das stützt aber das Bild, dass das Amt Macht hätte – und nicht Dienst ist. Und das heißt immer, egal ob jetzt Frauen oder Männer diese Macht haben, werden immer die anderen, die diese Macht nicht haben, immer untergeordnet sein. Und dieses schiefe Machtverhältnis, das müssen wir sprengen.
"Kriterium der Heiligkeit!"
Florin: Aber die MHG-Studie kritisiert nicht Maria 2.0, sondern sie kritisiert Amtsinhaber, die ihre Macht falsch verstanden haben, die ihre Machtposition ausgenutzt haben.
Harter: Genau. Und diese Amtsinhaber, die ihre Macht falsch verstanden und auf schändlichste Weise ausgenutzt haben, kritisiere ich auch in dieser Ausnutzung. Ich kritisiere aber auch, dass wir genau dieses Verständnis nicht befeuern dürfen, indem wir weiter sagen: Ja, okay, jetzt wollen wir halt alle diese Macht haben. Sondern ich würde sagen: Wir müssen ganz dringend sagen: Es gibt in der Kirche nicht nur Ämter und Macht, es gibt auch Leute, die nicht Ämter haben. Und das Kriterium ist, ganz gegen die Welt, das Kriterium der Heiligkeit, dessen: Wie wirkt Gott? Wo wirkt Gott? Wo wird geglaubt? Wo schaffen wir es, Welt und Kirche, Glaube und Wirklichkeit zu verbinden?
Florin: Sie studieren auf Lehramt – da ist auch ein Amt drin. Und ich nehme an, Sie würden es nicht akzeptieren, wenn die Uni Bonn in Ihrem Fall sagen würde: Sie sind eine Frau, Sie dürfen keine akademischen Weihen haben, kein Staatsexamen oder keinen Doktor. Und in der Kirche, warum akzeptieren Sie das da?
Harter: Weil es völlig vertauschte Kategorien sind. Als Lehramtlerin erarbeite ich mich durch meine Kompetenz eben das Examen. Der Priester erarbeitet sich nicht irgendeine Fähigkeit, sondern er wird beschenkt. Auch der Priester ist nicht der, der handelt, sondern er ist das Werkzeug, durch das Gott handelt. Und das kann jeder. Das kann ich auch ohne Weihe.
"Denken in falschen Kategorien"
Florin: Und das können Sie so trennen für sich? Also Sie können sagen: Da ist die Welt und da ist die Kirche; und da gelten unterschiedliche Kriterien?
Harter: Ja, na klar. Weil, wenn wir das nicht trennen, dann haben wir der Welt auch nichts Neues zu sagen. Ich glaube, wir haben, gerade, wenn wir über Macht und Dienst sagen, der Welt sehr notwendig was zu sagen.
Florin: Angenommen, die Forderungen von Maria 2.0 würden sich durchsetzen, es gibt da jetzt so einen synodalen Weg, einen Reformprozess vielleicht, und es gäbe eine Gleichberechtigung zu allen Ämtern der Kirche. Was würden Sie dann tun?
Harter: Ich glaube nicht, dass es soweit kommt, dass eine Gleichberechtigung in den Ämtern kommt. Wie gesagt, ich denke, da denkt man in falschen Kategorien. Und das ist auch nicht konstruktiv.
Florin: Aber austreten würden Sie auch nicht?
Harter: Ich glaube nicht, wie gesagt, dass es soweit kommt. Und ich würde weiterhin ein Kind der katholischen Kirche bleiben, weil sie der Leib Christi ist, wo ich sehr froh bin, auch Teil dessen zu sein.
Florin: Sagt Ursula Harter von der Initiative Pontifex, die der Aktion Maria 2.0 eine Instrumentalisierung der Gottesmutter vorwirft. Danke für das Gespräch, Frau Harter.
Harter: Danke.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.