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Kritik an Welt-Anti-Doping-Agentur WADA
Untätig, abhängig, überfordert?

Mit 70 Angestellten und einem Jahresbudget von 30 Millionen Dollar hat die Welt-Anti-Doping-Agentur WADA eine undankbare Rolle. Sie wäre nur dann effektiv, wenn sie als Polizei fungiert, um die im Schatten eines umfassenden Test-Systems existierenden Leistungsmanipulationen aufzudecken. Doch es gibt Gründe, weshalb das nicht passiert.

Von Jürgen Kalwa | 17.07.2016
    Der neue WADA-Generalsekretär Olivier Niggli beklagt den systematischen Widerstand des russischen Sports gegenüber Dopingkontrollen.
    Die WADA beklagt systematisches Doping in Russland - steht aber auch selbst stark in der Kritik. (AFP - Adrian Dennis)
    Der Vorsitzende des Ausschusses für Wirtschaft, Wissenschaft und Verkehr im amerikanischen Senat ist ein Mann, der sich schon immer mehr für Sport interessiert hat als andere Politiker.
    Er war einst ein ambitionierter Amateur-Basketballer, erzählte John Thune vor einer Weile in einer Ausschusssitzung. Und er habe dabei herausgefunden, welche Werte der organisierte Sport Aktiven vermittelt.
    So durfte es nicht überraschen, dass Thune Ende Juni einen langen Brief aufsetzte. Zu einem Thema, das in die Zuständigkeit seines Ausschusses fällt: die Arbeit der Welt-Anti-Doping-Agentur WADA. Denn die wird vom amerikanischen Steuerzahler mit fast zwei Millionen Dollar pro Jahr finanziell unterstützt. Das Geld bewilligt sein Ausschuss, was Thune in die Position versetzt, dafür Rechenschaft zu verlangen. Und zwar nicht nur, was die - so wörtlich - "Verzögerung" angeht, "sich um die Beschuldigungen eines staatlich gesponserten russischen Dopingsystems zu kümmern”. Sondern er wies auch noch auf einen eventuellen Interessenskonflikt hin: Der Schotte Craig Reedie, der seit 2014 als WADA-Präsident amtiert, ist in Personalunion Vize-Präsident des Internationalen Olympischen Komitees.
    Erst seit 2015 eigene Ermittlungen möglich?
    Es dauerte zwei Wochen, bis er eine Antwort bekam. In der beharrte Reedie einmal mehr darauf, dass die Anti-Doping-Organisation erst seit 2015 aufgrund einer Regeländerung die Möglichkeit besitzt, eigene Ermittlungen anzustellen. Also Untersuchungen wie jene möglich zu machen, deren Ergebnis Richard McLaren morgen in Toronto vorlegen wird. Es geht um die Antwort auf die Frage: Wurde im russischen Dopinglabor während der Winterspiele 2014 in Sotschi tatsächlich mit Hilfe des russischen Geheimdienstes betrogen, wie das der ehemalige Labordirektor behauptet?
    Man könne der WADA nicht vorwerfen, sich zurückzulehnen und nichts zu tun, sagte Reedie neulich zum wiederholten Mal und wies den Verdacht eines Interessenkonflikts zurück. Es ist eine seiner Lieblingsformulierungen.
    Tatsächlich ist aber auch inzwischen vielen aufgefallen, dass die WADA immer erst richtig aktiv wird, wenn ausführliche Medienrecherchen wie die des ARD-Dopingexperten Hajo Seppelt Licht ins Dunkel bringen. Sehr zum Ärger von jemandem wie dem ehemaligen Kopf von BALCO, Victor Conte, der sich mittlerweile gegen Doping angegiert. Der hatte der WADA ohne Erfolg Informationen über bessere Testmethoden angeboten:
    "Ich glaube, dass die IAAF, das IOC und WADA von oben bis unten korrupt sind. Sie können mehr Sportler überführen. Aber sie schauen lieber weg.”
    WADA-Gründungspräsident Pound: "Man hat versagt"
    Oder schauen möglicherweise nicht genau genug hin. Wie beim Fall des ehemaligen Präsidenten des Weltleichtathletikverbandes IAAF und seiner Entourage, die Bestechungsgelder von positiv getesteten russischen Athleten angenommen haben sollen. Eine solche Organisation erfülle gar nicht mehr die Normen des WADA Codes, sagt Travis Tygart, Chef der amerikanischen Anti-Dopingagentur USADA. Eigentlich müsse die WADA durchsetzen, dass die gesamte IAAF gesperrt wird.
    Nicht wenn es nach Richard Pound geht, dem Gründungspräsidenten, der seit vielen Jahren die Philosophie der WADA prägt: "Man hat versagt. Und das ist nicht gut. Aber sollte man deshalb verlangen, dass eine ganze Sportart dafür büßen soll? Das hat sich uns nicht aufgedrängt.”
    Mangel an Konsequenz kann zu Glaubwürdigkeitsproblemen führen. Manchmal sogar trotz guter Absichten. Das zeigt sich seit Anfang des Jahres, als die WADA eine Substanz namens Meldonium auf die Liste der verbotenen Mittel setzte. Seitdem produzierten Tests über 300 positive Befunde. Aber irgendwann stellte sich heraus: Niemand der Verantwortlichen wusste, wie lange Spuren des Arzneimittels im Körper nachweisbar bleiben, wenn es abgesetzt wurde. Nun werden wohl - weil wissenschaftliche Grundlagen fehlen - viele positiv getestete Sportler rehabilitiert werden. Aus formaljuristischen Gründen.
    Wer kontrolliert die Kontrolleure?
    Die Fallbeispiele summieren sich. Weshalb die Jamaikanerin Renee Anne Shirley zu der Auffassung gekommen ist: Eigentlich gehört die ganze WADA auf den Prüfstand. Shirley war 2012 auf der Karibikinsel für das nationale Anti-Doping-Programm verantwortlich und enthüllte dort die vorgefundene laxe Test-Politik. Sie spricht zwar nur selten mit Journalisten, aber schreibt pointierte Kommentare auf Twitter:
    "Wir sind an einer Wegkreuzung angekommen, wo es darum geht, eine unabhängige (nicht aus dem Sport kommende, nicht von WADA-Kumpanen) Bewertung anzustrengen, um die Effektivität der WADA und ihrer Rolle als Aufseher zu überprüfen.”
    Wer aber kontrolliert die Kontrolleure? Die Aktion von US-Senator John Thune zeigt, dass sich darum womöglich jene kümmern müssen, die die WADA finanziell ausstatten. Politiker in zahlreichen Ländern hätten durchaus Grund, diese Transparenz einzufordern. Der Zuschuss an die WADA aus Deutschland zum Beispiel liegt bei umgerechnet 700.000 Euro pro Jahr.