Dienstag, 23. April 2024

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Kritikergespräch
Die Kunst der Liebe und die Künstlichkeit des Lebens

Lüge, Irrung, Offenbarung: Verena Roßbachers betreibt in "Ich war Diener im Hause Hobbs" ein komplexes Spiel der Täuschungen - so spannend wie hintergründig. Einfach gebaut ist hingegen Michael Kumpfmüllers neuer Roman "Tage mit Ora" - eine unterhaltsame Roadnovel über zwei Liebende.

Meike Feßmann und Lothar Müller im Gespräch mit Hubert Winkels | 19.12.2018
    Buchcover Verena Roßbacher: „Ich war Diener im Hause Hobbs“ u. Michael Kumpfmüller: „Tage mit Ora“
    Verena Roßbacher: „Ich war Diener im Hause Hobbs“ u. Michael Kumpfmüller: „Tage mit Ora“ (Kiepenheuer & Witsch Verlag )
    "Es war ein schlampiger Tag. Dies ist eine einfache Geschichte." So beginnt eine höchst verzwickte Geschichte, die sorgfältig komponiert ist und von jeder Schlampigkeit denkbar weit entfernt. Zwar dauert es eine Weile in Verena Roßbachers Roman "Ich war Diener im Hause Hobbs", bis man die Spuren zu einem konsistenten Plot zusammen hat, aber dann staunt man nicht schlecht über das hintergründige Kalkül der Romankonstruktion.
    Intellektuelle Räuberpistole
    In der ersten Hälfte des Romans steht alles einigermaßen unverbunden herum, dann zieht ein zweifelhafter, schwacher, halb weggetretener Erzähler alle Elemente nach und nach zu einem komplizierten Muster zusammen. Man könnte die Handlung als intellektuelle Räuberpistole bezeichnen, sie nachzuzeichnen wäre aber auf kurzer Strecke nervtötend wegen Überkomplexität, und außerdem würde man spoilern, selbst bei der Roßbacherschen Kunstprosa.
    Es geht um klassisch detektivische Fragen wie: Wer hat wann mit wem geschlafen? Wer hat wen gezeugt? Wer ist der Sohn von wem (pater semper incertus!)? Wie wurde das verheimlicht und wie wird es wieder offenbart? Wer lügt und wer irrt sich nur? Wer zerstört wen warum? Warum bringen sich zwei zentrale Figuren um? Welche Zeichen und Symbole sind verlässlich (keine!)? Welche Rolle spielt dabei der immer so demütig tuende Erzähler, unsere Informationsquelle Nummer eins? Das alles verwirrt zu Beginn, am Ende sind wir beim strengen Lese-Sudoku, das von den Kritikern geachtet und genossen wird. Eine Drehung weniger im Spiel der Täuschungen hätte Lothar Müller allerdings auch genügt.
    Liebesglück-Roadnovel
    Michael Kumpfmüllers neuer Roman "Tage mit Ora" folgt einem Popsong. Zwei nicht mehr ganz junge Liebende hören ihn unterwegs auf ihrer Reise im Fiat 500 X City Look. Sie fahren die amerikanische Westküste hinunter, grob gesagt von Seattle im Norden bis San Diego an der mexikanischen Grenze, und nach einem Abstecher Richtung Phoenix, Arizona nach Los Angeles zum Flughafen. Diese Reise erzählt der Roman, die Reise möchte er sein. Die Orte, an denen der Ich-Erzähler und seine Geliebte Ora Halt machen, sind nicht die genannten Großstädte, sondern abgelegene Kaffs in der Nähe, die sie nur aus ihrem Lieblingssong kennen: "June on the West Coast" heißt er. Der melancholische Poplyriker Conor Oberst singt darin von Natur, Jahreszeiten, Tod und Liebe in Winnetka, Mesa, Olympia, San Diego.
    Diese Liebesglück-Roadnovel hat - auch durch gute Dialoge, witzige Apercus und gelegentliche Selbstironie - mitreißende Züge. Gut und einfach gebaut ist sie auch: dreizehn Tage, dreizehn Orte/Strecken, dreizehn Kapitel. Manchmal übertreibt sie mit den Motiven transzendenten Sehnens, oft gelingt ihr aber auch der unbedingt gewollte leichte Ton. Wie der düstere Hintergrund der Reise bei beiden gelegentlich zwischengeschoben wird, findet nicht ganz das Gefallen der Kritiker. Meike Fessmann meint sogar, dass es sich gar nicht um eine Liebesgeschichte handelt, sondern eher um einen umwegigen Versuch derselben.
    Verena Roßbacher: "Ich war Diener im Hause Hobbs"
    (Kiepenheuer & Witsch, Köln)
    Michael Kumpfmüller: "Tage mit Ora"
    (Kiepenheuer & Witsch, Köln)