Dienstag, 16. April 2024

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Kritikergespräch
Doris Knecht: „weg“ und Marion Brasch: „Lieber woanders“

Zweimal erfolgreiche Unterhaltungsliteratur mit Niveau, zweimal urteilen die Kritiker, dass Fragen und Abgründe mit Verve und Buntheit eher überdeckt als sichtbar gemacht werden. Über eine notorische Spaltung in der deutschsprachigen Literatur.

Katharina Teutsch und Tobias Lehmkuhl im Gespräch mit Hubert Winkels | 21.08.2019
Buchcover links: Doris Knecht: „weg“, Buchcover rechts: Marion Brasch: „Lieber woanders“
Kaskaden kurzer Sätze, innere Atemlosigkeit, Schlichtheit bis zur Grobheit - das führt zu scharfer Kritik in der Diskussionsrunde (Hintergrundfoto: Unsplash Filip Mroz, Buchcover links: Rowohlt Verlag, Buchcover rechts: S. Fischer Verlag)
Es gibt eine Art von Auffassungsgabe und Beredtheit, die für das literarische Erzählen nicht zuträglich ist. Sie ist vor allem schnell. Schnell hat sie ihren Gegenstand erfasst, ein Muster identifiziert, daraus eine Erklärung abgeleitet. Schnell wird aus der Einsicht dann wieder neuer Stoff, der sich beispielsweise als Roman geriert und dem Leser die Aufgabe stellt, diesen Prozess rückwärts abzuwickeln, also ähnlich rasch das zugrundeliegende Erkenntnisschema zu fassen. Schnelles Lesen wird so provoziert, unterstützt durch Kaskaden kurzer Sätze, innerer Atemlosigkeit und inhaltlich besonders gern durch Bewegung im Raum, Fahrgerät zu Lande, zu Wasser und in der Luft, durch reißende Ströme, laute Straßen und ziehende Sehnsucht. Viel Film ist darin, ein Hauch von Komödie, auch wenn’s um Schuld und Sühne geht, und vor allem ein klares Verhältnis von Problem und Lösung. Das sind Motive einer Kritik an zwei neuen Romane von bekannten Erzählerinnen: "weg" von der Österreicherin Doris Knecht und "Lieber woanders" von der Berlinerin Marion Brasch.
"weg" erzählt von der Flucht einer Jugendlichen vor ihrer Mutter aus der hessischen Provinz. Sie hat eine psychische Krankheit und sucht Erleichterung und Freiheit in Südostasien. Ihre kleinbügerliche und ordnungsfanatische Mutter reist ihr hinterher, der Vater folgt bald, und es kommt zu einer komplizierten Wiederannäherung. Die Kritiker im Studio, Katharina Teutsch und Tobias Lehmkuhl, sind enttäuscht über die Klischeehaftigkeit der Personen und der Milieudarstellungen, und sie sehen auch in einem halbwegs glücklichen Ende eher einen Kniefall vor dem gut Bekömmlichen.
Doris Knecht: "weg"
Rowohlt.Berlin Verlag, Berlin. 304 Seiten, 22 Euro.
Eher noch schärfer beurteilen beide KritkerInnen den Roman "Lieber woanders" von Marion Brasch, in dem in der Brandenburgischen Provinz ein Rowdie auf dem Weg zu seiner kranken Tochter ins Hospital ist und dabei immer wieder den Weg einer jungen Frau kreuzt, die einen großen Verlust zu betrauern hat. Die Tatsache, dass von Anfang an klar ist, dass beider Schicksale miteinander wesentlich verknüpft sind, und die Schlichtheit und sogar Grobheit, mit der diese Verbindung dann in Szene gesetzt wird, verärgert die beiden KritikerInnen regelrecht.
Marion Brasch: "Lieber woanders"
S. Fischer Verlag, Frankfurt a.M., 160 Seiten, 20 Euro.
Starke Einblicke in nicht gelungene Unterhaltungsromane, so lässt sich das Ergebnis dieses Kritikergesprächs zusammenfassen.