Freitag, 19. April 2024

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Kritikergespräch
Von Gespenstern und Leuchttürmen

Die amerikanische Illustratorin Rebecca Green hat eine Anleitung für Gespensterfreunde geschrieben: Gespenster lieben Witze und Grusel-Spaghetti, man darf sie nicht im Backofen trocknen und mit etwas Glück gewinnt man einen Freund fürs Leben. Vier neue Bücher für junge Leser stehen zur Diskussion.

Sylvia Schwab und Tilman Spreckelsen im Gespräch mit Tanya Lieske | 30.11.2019
Buchcover der 4 besprochenen Bücher im Kritikergespräch
Geister, ein Palast aus Glas, Leuchttürme und der Herbst beschäftigen uns in den besprochenen Büchern (Buchcover Diogenes / Dressler / Gerstenberg / Arctis)
Eine Beziehungsratgeber der schrägen Art: In dem Bilderbuch der amerikanischen Künstlerin Rebecca Green kann man erfahren, wie man die Freundschaft mit einem Gespenst beginnt und wie sie ein Leben lang andauert. Die Bilder in gedeckten Farben erzählen eine eigene Geschichte dazu, und man findet manche Umkehrung, etwa die, dass Gespenster sich fürchten, wenn Menschen ihnen Gruselgeschichten vorlesen. "Freundschaft entsteht dadurch, dass ich mich jemandem zuwende, dass ich ihn toleriere, dass ich ihn respektiere, und dass ich über mein langes Leben lang hinweg auch Kuriositäten akzeptiere" sagt die Kritikerin Sylvia Schwab zu diesem charmanten Debüt.
"Wie integriere ich die Produkte der Phantasie?"
Die deutsche Erfolgsautorin Cornelia Funke hat während ihrer Arbeit an der Spiegelwelt-Reihe eine Pause eingelegt und veröffenlicht eine Sammlung von Kurzgeschichten, in denen man vielen ihrer Figuren wieder begegnet, vor allem ihrem Protagonisten Jacob und der Gestaltwandlerin Fuchs. Die besondere Beziehung der beiden zwischen einem Schatzsucher-Duo, das viele Gefahren besteht, zwischen besten Freunden und gelegentlich Liebenden, zieht sich durch dieses Buch. Der Kritiker Tilman Spreckelsen liest "Palast aus Glas" als eine Allegorie und fragt: "Ich lebe in einer realen Welt, und wie integriere ich die Produkte der Phantasie, man kann auch sagen, wie integriere ich die Literatur in mein Leben und schaffe es trotzem, eine säuberliche Trennung zu machen?"
Dem Undenkbaren ein Gesicht gegeben
"Beinahe Herbst" ist das Debüt der norwegischen Kinderbuchautorin Marianne Kaurin. Es führt in die Zeit der Deutschen Besatzung im Norwegen der 1940-er Jahre und erzählt am Schicksal der Familie Stern, deren Weg in Auschwitz endet, wie es zur Denunziation, Deportation und zur Ermordung norwegischer Juden kam. Es ist ein sorgfältig recherchiertes und in wechselnden Perspektiven geschriebenes Buch. Der Autorin gelingt es gerade wegen ihrer unaufgeregten und zurückgenommenen Sprache, dem Undenkbaren ein Gesicht zu geben. "Ich fand es ganz besonders beeindruckend, wie in Andeutungen Dinge erzählt werden, die man sich dann nur denken kann", so Sylvia Schwab.
Raum für eigene Gedanken
Aus Russland erreicht uns ein Sachbilderbuch über Leuchttürme, in dem man sowohl erfahren kann, wie diese beeindruckenden Bauwerke technisch gestaltet sind, als auch Details über deren Bedeutung in Geschichte und Gegenwart: Der größte Leuchtturm der Antike stand auf der Insel Pharos, deren Name heute noch in einigen europäischen Sprachen "Leuchtturm" bedeutet. Der Autor Roman Beljajew steuert flächige Bilder in den klassischen Leuchtturmfarben Blau, Weiß und Rot bei und lässt seinen jungen und älteren Lesern Raum für eigene Gedanken: "Leuchttürme waren Vorposten im Nichts, das Ende menschlicher Besiedelung und das Zeichen dafür, dass Andere zu diesen Besiedelungen sicher hinfinden", sagt Tilman Spreckelsen.
Rebecca Green: "Wie man sich mit einem Gespenst anfreundet"
Aus dem amerikanischen Englisch übersetzt von Anna Cramer-Klett
Diogenes Verlag Zürich, 48 Seiten, 18 Euro
Cornelia Funke: "Palast aus Glas"
Aus dem Englischen übersetzt von André Mumot
Dressler Verlag, Hamburg, 208 Seiten, 18 Euro
Marianne Kaurin: "Beinahe Herbst"
Aus dem Norwegischen übersetzt von Dagmar Mißfeldt
Arctis Verlag, Hamburg, 24 Seiten, 16 Euro
Roman Beljajew: "Leuchttürme. Wegweiser der Meere"
Aus dem Russischen übersetzt von Thomas Weiler
Gerstenberg Verlag, Hildesheim, 48 Seiten, 15 Euro