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Kritische Journalisten nicht erwünscht

Während des Sommers wurden in Marokko im Zweiwochentakt unabhängige Journalisten verhaftet und verurteilt, wurden kritische Publikationen gleich von der Druckerei weg in kompletter Auflage beschlagnahmt. Internationale Journalistenorganisationen halten die Vorwürfe für unhaltbar politisch motiviert. Mustafa Hurmatallah wurde zu acht Monaten Gefängnis verurteilt. Der Vorwurf: Geheimnisverrat an potenzielle Terroristen.

Von Martina Sabra | 03.09.2007
    Am 14. Juli 2007 veröffentlicht die unabhängige marokkanische Zeitung "Al Watan Al An", zu Deutsch "Die Heimat jetzt", ein Dossier, Titel: "Geheimberichte über den Alarmzustand in Marokko". Der Inhalt ist auf den ersten Blick brisant, denn Teile des Artikels basieren auf Dokumenten des marokkanischen Geheimdienstes DGST. In den internen Rundschreiben fordert die Leitung des Geheimdienstes alle Sicherheitseinrichtungen im Land auf, besonders wachsam zu sein, "da eine Terrorgruppe im Internet per Video zum Dschihad gegen die maghrebinischen Regime aufgerufen habe, insbesondere Marokko". Der Rechtsanwalt der verurteilten Journalisten, Khalid Sufiani, kann die Aufregung um die Veröffentlichung trotzdem nicht nachvollziehen.

    "Die Zeitung hat nichts veröffentlicht, was der Innenminister oder ausländische Politiker nicht auch schon festgestellt hätten, oder was nicht schon im Internet gestanden hätte. Diese Dokumente wurden von den Journalisten für einen analytischen Artikel genutzt, um ein klares Bild der Lage in Marokko zu vermitteln, und um auf die Notwendigkeit hinzuweisen, den Terror zu bekämpfen. Es wurde absolut nichts Neues veröffentlicht."

    Doch die marokkanischen Behörden sehen das offenbar anders. Am 17. Juli werden die beiden Verfasser des Artikels, der Journalist Mustafa Hurmatallah und der Zeitungschef Abderrahim Ariri, verhaftet, ihre Wohnungen und Autos durchsucht. Parallel nimmt die Militärpolizei acht Angehörige der marokkanischen Armee fest. Ein Militärgericht in Rabat verurteilt die Militärs am 8. August wegen angeblichen Geheimnisverrats zu Gefängnisstrafen zwischen sechs Monaten und fünf Jahren. Details des Prozesses bleiben geheim. Die beiden Journalisten werden unterdessen wegen angeblicher "Hehlerei mit auf kriminellem Weg erhaltenen Dokumenten" in Casablanca vor ein ziviles Gericht gestellt. Am 15. August verurteilt die erste Strafkammer von Casablanca den Herausgeber der Zeitung, Abderrahim Ariri, zu sechs Monaten Haft auf Bewährung plus Geldbuße. Ariris Kollegen Hurmatallah trifft es härter: Er wird gleich von der Anklagebank weg für acht Monate hinter Gitter geschickt. Hohe Strafen, die nicht nur Menschenrechtsverteidiger im Ausland überrascht haben, sondern auch die kritische Öffentlichkeit und erfahrene Rechtsanwälte in Marokko selbst. Khalid Al-Sufiani, der Anwalt von Ariri und Hurmatallah:

    "Die Veröffentlichung von Dokumenten durch Journalisten beziehungsweise eine Zeitung kann eigentlich nur im Rahmen des Pressegesetzes verfolgt werden. Wenn man sich ansieht, worum es hier inhaltlich geht, sind aber nach dem Pressegesetz weder eine Verhaftung noch ein Prozess angemessen. Wir waren davon ausgegangen, dass das Gericht die Angeklagten freisprechen würde."

    Doch die erste Instanz des Strafgerichtes von Casablanca hat anders entschieden, trotz mannigfacher Kritik. "Reporter ohne Grenzen" hatte im Vorfeld der Verurteilung mehrfach gegen die verlängerte Untersuchungshaft der beiden Journalisten protestiert und einen eigenen Prozessbeobachter nach Casablanca entsandt. Nach der Verurteilung zeigte sich die Menschenrechtsorganisation mit Hauptsitz in Paris "entsetzt und konsterniert" über die hohe Haftstrafe. Dabei hatte die Organisation in ihrem jüngsten Jahresbericht Marokko durchaus auch einige Fortschritte in Sachen Meinungsfreiheit bescheinigt. Elke Schäfter, Geschäftsführerin der deutschen Sektion von "Reporter ohne Grenzen" in Berlin, schränkt allerdings ein:

    "Vor allem unabhängige und kritische Journalisten geraten unter Druck. Ihnen drohen nicht nur Gefängnis, sondern auch horrende Geldstrafen. Und es kommt immer wieder zu Zwangsschließungen von Zeitungen. In 2007 hatten wir bereits sieben Fälle. Die Überarbeitung der Pressegesetze, auch eine Forderung von 'Reporter ohne Grenzen', hat leider gar nichts ergeben. In diesem Jahr hat sich die Situation gravierend verschlechtert, vor allem nach den Terroranschlägen im April in Casablanca. Zurzeit herrscht in Marokko die höchste Terrorwarnstufe, und das gibt Druck auf die Medien."

    Viele Marokkaner glauben, dass die aktuelle Unterdrückungswelle der unabhängigen Presse in Marokko mit der bevorstehenden Parlamentswahl am 7. September zu tun habe. Aber der Druck auf die unabhängigen Medien nimmt schon länger zu. Und nicht nur das: Es gibt auch Indizien, dass in diesem Konflikt die islamistische Gefahr instrumentalisiert wird. Als die renommierte Casablancaer Wochenzeitung "Le Journal Hebdomadaire" Anfang 2006 die Mohammed-Karikaturen abdruckte, wurden die Redaktionsräume regelrecht belagert. Der Mob skandierte auf offener Straße antisemitische Gesänge und schlug auf Zeitungsmitarbeiter ein, ohne dass die daneben stehende Polizei einschritt. Der Chefredakteur der Zeitung hat Marokko verlassen. Abderrahim Ariri, der zu sechs Monaten auf Bewährung verurteilte Publikationsleiter von "Al Watan Al An", will sich dennoch nicht unterkriegen lassen.

    "In Marokko muss man auf alle Arten von Angriffen immer vorbereitet sein, denn kritische Journalisten sind in Marokko nicht erwünscht. Wer mit solchen Attacken nicht fertig wird, kann diesen Beruf nicht ausüben. Wir werden in die Berufung gehen."