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Kritische Stimmen der Literatur
Den Profiteuren der Angst begegnen

Angst vor Flüchtlingen oder vor Globalisierung: Auf der Buchmesse in Frankfurt sprechen Autoren über die neue Macht der seelenzerfressenden Angst, die sich dem Rechtspopulismus zuwendet. Und sie kommen zu dem Schluss: Der Angst vor dem Fremden müsse man mit publizistischer Mut und Offenheit begegnen.

Von Ludger Fittkau | 13.10.2017
    Proteste auf der Frankfurter Buchmesse gegen den rechtsgerichteten Antaios Verlag.
    Bei der Buchmesse in Frankfurt gab es Proteste gegen den den rechtsgerichteten Antaios Verlag (pa/dpa/Roesler)
    "Angst essen Seele auf" – so lautet der Titel eines Films von Rainer Werner Fassbinder aus der ersten Hälfte der neunzehnhundertsiebziger Jahre. Im Film geht es um die Ressentiments, die eine Ehe zwischen der jüngeren Marrokaner Ali – gespielt von El Hedi Ben Salem - und der älteren Putzfrau Emmi – verkörpert von Brigitte Mira – im "biodeutschen" Umfeld auslöst. 45 Jahre später ist sie wieder da – die Angst die die Seele auffrisst. In Gestalt des Neo-Nationalismus überall in Europa, die Angst vor den Flüchtlingen, vor Verlust des Vertrauten durch die Globalisierung. Überall auf der Buchmesse wurde in dieser Woche über diese neue Macht der seelenzerfressenden Angst gesprochen, die sich dem Rechtspopulismus zuwendet. Aber auch darüber, dass man sich schließlich doch nicht bange machen soll. Ludger Fittkau berichtet.
    Wladimir Putin wird im nächsten Jahr wieder zum Präsidenten Russlands gewählt werden. Das ist sonnenklar, sagt während der Buchmesse die kritische russische Publizistin Irina Scherbakowa. Der Grund ist die Angst. Die Angst der Menschen vor allem in der russischen Provinz. Die Furcht davor, dass ohne Putin alles noch schlimmer werden könnte. Vielleicht so schlimm, wie viele die 1990er Jahre empfunden haben. Nach dem Fall des Eisernen Vorhangs zerfiel auch das sowjetische Imperium, Russland drohte auf das Niveau eines Drittweltlandes zurückzufallen. Auch wenn es den Menschen in der Provinz heute nicht gut gehe, weil die Wirtschaft stagniert, wählen sie Putin als einen vermeintlichen "Sicherheitsgaranten" , so Irina Scherbakova:
    "Es geht den Menschen dort wirklich, würde ich sagen, ums Durchhalten. Aber das ist das Komplexe und dieser Widerspruch, dadurch gewinnt ja Putin. Weil, man hat ja solche Angst vor Veränderungen, man hat ja solche Angst vor Reformen."
    Es gibt nicht nur in Russland die Profiteure der Angst vor Veränderung. Es gibt sie auch hierzulande und sie sind auf der Buchmesse vertreten. Einer der zurzeit prominentesten Angstmacher aus dem rechtsextremen Spektrum ist Götz Kubitschek. Gerne würde er wie die antike griechische Mythen-Figur Antaios als bärenstarker Riese mit völkischem Gedankengut Angst und Schrecken verbreiten, deshalb hat er seinen Verlag "Antaios-Verlag" genannt:
    "Das Establishment sieht glaube ich mit großem Schrecken, dass die Geschichte keineswegs zu Ende ist und der Diskurs auch keineswegs irgendwie zu einem Ende gebracht werden konnte in den letzten 20 Jahren, sondern das es von vorne los geht."
    Publizistischer Mut und Offenheit gewünscht
    Das nationalistische und fremdenfeindliche Denken nämlich, dass sich aus Blut- und Boden-Mythen nährt. Wie auch Antaios, der seine Kraft immer wieder neu aus dem Erdboden zieht, auf dem er steht. Besiegt wurde der Riese schließlich von Herakles, der den Riesen in die Höhe hob und ihn damit von seinen Kraft-Wurzeln trennte.
    Eine angstlose Herakles- Strategie für den Umgang mit büchermachenden Neo-Nationalisten – wie kann die konkret aussehen? Rechte Verlage einfach von der Buchmesse auszuschließen, obwohl sie nicht verboten sind, sei falsch, sagt jedenfalls Buchmessen-Chef Jürgen Boos. Man müsse " die besseren Narrative zur Verfügung stellen, in denen nicht über kulturelle Reinheit phantasiert" werde:
    "Denn es sind doch wir Büchermenschen, und VerlegerInnen, Buchhändler, LeserInnen, Geistesmenschen mit liberal-demokratischer Haltung, diejenigen, die diese Idee zu thematisieren und mit Gegenentwürfen zu beantworten haben."
    Die Gegenentwürfe gegen Angst vor dem Fremden und gegen Ressentiments sind publizistischer Mut und Offenheit – auch für die, die politisch oder kulturell ganz anders ticken. Aber wenn alles nicht mehr hilft, weil Diktatoren und Autokraten kritische Schriftsteller und Journalisten jagen, einsperren oder sogar töten – dann müssen sie hierzulande Exil bekommen.
    Einzelgeschichten vom Schicksal verfolgter Autoren erzählen
    Die Schriftstellerin Tanja Kinkel engagiert sich im Vorstand des deutschen PEN-Zentrums in einem Stipendienprogramm für verfolgte Kolleginnen und Kollegen aus dem Ausland. Sie versuche immer wieder, anhand von Einzelgeschichten das Schicksal verfolgter Autoren und Journalisten zu veranschaulichen und nicht anhand von Zahlen, betont Kinkel:
    "Wenn ich ihnen sage, in Mexiko werden mehr Autoren umgebracht als sonst irgendwo, dann bleibt ihnen das vielleicht irgendwie im Gedächtnis, aber vielleicht vergessen sie es auch, weil es einfach eine Behauptung ist und sie verbinden damit nichts. Wenn ich ihnen aber jemand wie unsere frühere Stipendiatin Ana Lilia Perez vorstelle, die erlebt hat, wie eine Kollegin mit dem Mauskabel von der Schreibtisch-Tastatur ermordet vorgefunden wurde und die selbst, bevor sie Mexiko verlassen hat, um zu uns zu kommen, nur noch mit dem Rücken an der Wand – wortwörtlich – aus ihrem eigenen Haus gehen konnte, weil sie Angst hatte, die aber trotzdem wieder den Mut hatte, zurückzugehen, weil sie sagt, ich kann nicht außerhalb von Mexiko über Mexiko schreiben, dann verbinden sie ein Einzelschicksal damit."
    Ana Lilia Pérez ist besonders mutig. Sie recherchiert und schreibt über die mexikanischen Drogenkartelle. Doch auch für Autoren und das Lese-Publikum in vielen anderen Ländern gilt das, was Irina Scherbakova während der Buchmesse am Ende einer Diskussionsrunde zur Lage kritischer Schriftsteller und Journalisten angesichts der Übermacht im Kreml sagt:
    "Klar sehen, keine Angst haben, sich nicht beängstigen lassen, das gilt sowohl für uns als auch für die Menschen im Westen. Keine Mythen glauben. Und ich glaube, Angst ist ganz wichtig. Denn von dieser Angst nährt sich ja unsere Macht. Und dem entgegenstellen können wir nur: Einfach weitermachen!"