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Kroatien, die EU und der Balkan

Kroatien tritt zum 1. Juli der EU bei. Das ist nicht nur für das Land selbst, sondern die ganze Region wichtig. Der Kosovo hofft auf eine Assoziierung, Serbien auf Beitrittsverhandlungen mit Brüssel, und auch Mazedonien und Montenegro könnten langfristig vor der EU-Tür stehen.

Von Ralf Borchard | 27.03.2013
    Die Menschen in Kroatien reagieren keineswegs euphorisch auf das endgültige Beitrittssignal der EU. Viele leiden unter der Wirtschaftskrise. Sie wissen, dass auch im Nachbarland Slowenien, das längst EU-Mitglied ist, die Krisenstimmung dominiert. In einer Blitzumfrage eines Radiosenders in Zagreb äußerten nur 25 Prozent der Befragten die Erwartung, es werde ihnen nach dem EU-Beitritt besser gehen, 75 Prozent erwarten das nicht. In der Regierung dominiert das Gefühl, sehr große Anstrengungen für die Beitrittsreife unternommen zu haben. Premier Zoran Milanovic:

    "Kroatien ist ein einer Intensität geprüft und kontrolliert worden, wie es bisher kein anderes Neumitglied hat über sich ergehen lassen müssen, und obwohl uns das manchmal auf die Nerven gegangen ist, uns sogar hier und da an den Rand der Verzweiflung getrieben hat, war es am Ende gut, weil für ein gutes Ziel."

    Dies ist ein zentraler Punkt, auf den auch die EU immer wieder hinweist: all die Fortschritte, die Kroatien in den vergangenen Jahren gemacht hat - bei der wirtschaftlichen Wettbewerbsfähigkeit, in der Korruptionsbekämpfung, in der Aufarbeitung von Kriegsverbrechen - hat es unter dem Druck der EU-Annäherung gemacht. Auch wenn es in all diesen Punkten weiter Defizite gibt, wie der jüngste EU-Bericht festhält. Der Reformdruck wird aber anhalten, meint Regierungschef Milanovic. Kroatien will möglichst bald Mitglied der Schengen-Zone ohne Grenzkontrollen werden:

    "Was bei uns in den nächsten zweieinhalb Jahren ansteht, ist etwas, das den Fortschritt genau messbar macht, es ist die Erfüllung der Schengenkriterien."

    EU-Erweiterungskommissar Stefan Füle hat bei seinem Besuch in Zagreb betont, Kroatiens Reformen für die EU-Beitrittsfähigkeit seien nicht nur für das Land selbst, sondern für die gesamte Region wichtig. Wenn mit Kroatien das erste direkt in die Balkankriege der 1990er-Jahre involvierte Land der EU beitritt, hat dies Signalwirkung etwa auch auf das Nachbarland Serbien, das seinerseits im Bemühen um EU-Beitrittsfähigkeit möglicherweise etwa zu Zugeständnissen beim Thema Kosovo bereit ist.

    "Es gibt Entwicklungen auf dem westlichen Balkan, bei denen wir alle vom Engagement Kroatiens profitieren können", so Füle.

    Der EU-Erweiterungskommissar betonte auch, gerade zu Zeiten der Finanz- und der Zypernkrise sei es wichtig, nicht Erweiterungsmüdigkeit an den Tag zu legen, sondern sich die weiter bestehende Anziehungskraft der Europäischen Union bewusst zu machen:

    "Zu einer Zeit innerer Schwierigkeiten der Europäischen Union ist es zum einen wichtig, sich dafür zu engagieren, dass die Erweiterung fortgeführt wird. Und es ist wichtig zu betonen, dass es eine glaubwürdige Erweiterungspolitik ist, wenn dem Kandidatenland geholfen wird, in vollem Umfang der Reformverantwortung gerecht zu werden, die aus einem Beitritt resultiert."

    Könnten nach Kroatien also bald schon Serbien, Mazedonien, Montenegro vor der EU-Tür stehen - am Ende auch Albanien, Bosnien, Kosovo? Würde Deutschland das unterstützen? Bei seiner letzten Westbalkan-Reise Ende Februar hat Bundesaußenminister Guido Westerwelle genau das versprochen:

    "Deutschland steht zu der europäischen Perspektive der Staaten des westlichen Balkans. Auf dem Weg zu einem Beitritt in die Europäische Union ist natürlich noch mancher Schritt zu gehen. Die dafür geltenden Regeln sind für alle gleich. Es wird keine Abstriche geben, keine Nachlässe. Aber es werden auch keine zusätzlichen Hindernisse aufgebaut. Deutschland steht zu seinem Wort."

    Das heißt: Weitere Beitritte stehen zwar nicht kurz-, wohl aber langfristig auf der Tagesordnung. In den betroffenen Ländern ist dazu immer wieder zu hören: Es ist nicht so wichtig, wann genau wir der EU beitreten können, aber die Perspektive muss erhalten werden, sonst erlahmt der Wille zu Reformen. Krise hin oder her: Für viele Länder im Südosten Europas bleibt die EU der Hoffnungsanker.