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Kühler Nonnenreigen

16 Karmeliter-Nonnen haben sich während der Französischen Revolution geweigert, ihr Ordensgelübde zu brechen. Sie wurden hingerichtet. Der Komponist Francis Poulenc schrieb über diesen Stoff 1957 eine Oper: "Dialogues des Carmélites".

Von Christoph Schmitz | 25.10.2010
    Klar, leicht, licht, farbig, transparent und stimmungsvoll sollte Musik für Francis Poulenc klingen. Er und der kleine Kreis französischer junger Komponisten, dem Poulenc nach dem Ersten Weltkrieg angehörte, sie nannten sich verschwörerisch "Die Sechs", "Les Six", und sie wollten weg von der pastosen Schwere Richard Wagners und von den hyperkomplexen Lichtwolken Claude Debussys. Und so tauchte auch Poulenc seine Nonnen-Dialoge noch zu Beginn der 50er-Jahre in seine melodiöse, dur-moll-treue "Clarté" und stemmte sich gegen das atonale Diktat, vor dem ein Hans Werner Henze in Deutschland nur nach Italien flüchten konnte. Die Düsseldorfer Symphoniker ließen unter ihrem Dirigenten Axel Kober diese "Clarté" im Verlaufe der Premiere zunehmend farbiger aufscheinen.

    Anett Fritsch sang die Rolle der jungen Blanche mit schlankem und seidenmattem Ton. Die Adelige Blanche ist von existenzieller Todesangst geplagt und zutiefst erschrocken vom Hass, der ihr von den Massen der Französischen Revolution entgegenschlägt. Im Kloster der Karmelitinnen hofft sie, Ruhe zu finden und ihre Furcht zu überwinden. Aber die Priorin, Madame de Croissy, ist selbst von Ängsten und Glaubenszweifeln zerrissen, die Welt scheint auch im Kloster aus den Fugen geraten.

    Die 70-jährige Anja Silja, in den frühen 60ern als Senta und Elsa stürmisch in Bayreuth gefeiert, sang die sterbende Priorin leidenschaftlich und ausdrucksstark und vermittelte eindringlich die Qualen einer verzweifelten Frau. Damit gab sie dem Abend etwas, das die Inszenierung über weite Strecken vermissen ließ: Expressivität. Regisseur Guy Joosten und Bühnenbildner Johannes Leiacker lassen Blanches Vater und Bruder in historischen Kostümen vor einer alten Bibliothekswand agieren; die in authentische Gewänder gekleideten Nonnen schreiten streng gezirkelte Bahnen ab, knien sich simultan hin und bekreuzigen sich alle gleichzeitig viel zu oft, was von Joosten aber gar nicht ironisch gemeint ist, er will das Klosterleben nur nüchtern und distanziert, ja klinisch abbilden und überlässt die wahre Empfindung fast ausschließlich der Musik. Dabei hätte Joosten ohne Scheu auf die alltägliche und menschliche Situation des Zusammenlebens in einer Krisenzeit setzen können. Wie wahrhaftig und erfolgreich zugleich das gelingen kann, hat der französische Regisseur Xavier Beauvois in seinem in Cannes prämierten Film "Von Menschen und Göttern" gezeigt, der im Kern dieselbe Geschichte wie Poulencs Oper erzählt: Trappisitenmönche in Algerien werden vor die Entscheidung gestellt, ihr von islamistischen Terroristen bedrohtes Kloster zu verlassen und ihr Leben zu retten oder zu bleiben, weiter zu beten und ihrem Dienst an den Menschen des benachbarten muslimischen Dorfes nachzukommen. Wie Poulencs Karmelitinnen, so entscheiden sich auch die Trappisten zum Bleiben und nehmen das Martyrium auf sich. Das internationale Publikum war in Cannes zutiefst ergriffen von der großen Menschlichkeit des Films, der im Dezember auch in die deutschen Kinos kommt. Die Düsseldorfer Opernpremiere ließ einen eher kühl, bis auf den Schluss. Die Nonnen stehen geschoren in einer Reihe, sie singen das Salve Regina und lassen eine nach der anderen die Arme nach unten fallen, wenn auf dem unsichtbaren Schafott das unsichtbare Beil der Guillotine in der Musik hinunterschlägt.

    Infos:
    Deutsche Oper am Rhein