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"Kühn über den männlichsten Mut hinaus"

Kulturpolitikerin, Managerin einer international renommierten Akademie und Gründungspräsidentin einer anderen, Leiterin einer Lexikonredaktion und Herausgeberin mehrerer Zeitschriften - das wäre auch heute eine höchst eindrucksvolle Karriere. Ekaterina Daschkowa gelang sie vor mehr als 200 Jahren, als Frau im rückständigen Russland. Dort war damals eine Frau an der Macht, die Vorurteile beiseite fegen konnte: Katharina die Große. Und auch dazu hat die Fürstin Daschkowa beigetragen.

Von Ulrike Rückert | 16.01.2010
    "Glück erfüllte mich, als ich erfuhr, dass Ihre Majestät zur Herrscherin ausgerufen worden war. Ich eilte zum Winterpalast. Soldaten umdrängten den Palast. Plötzlich fühlte ich, wie ich über die Köpfe hinweggetragen wurde bis ins Vorzimmer Ihrer Majestät. Wir fielen einander in die Arme."

    Als Katharina II. 1762 gegen ihren Ehemann putschte und sich selbst zur Zarin machte, war Fürstin Ekaterina Romanowna Daschkowa an ihrer Seite. In Offiziersuniform ritten sie an der Spitze von 12.000 Soldaten von Petersburg nach Peterhof, um den Zaren zur Abdankung zu zwingen. Viele hielten die Fürstin für die Rädelsführerin, und der Präsident der Moskauer Universität schrieb an Voltaire:

    "Eine neunzehnjährige Frau hat die Regierung dieses Landes gestürzt."

    Eigenwillig und impulsiv geriet sie bald in Konflikte mit der Zarin und wurde vom Hof verbannt. Früh verwitwet, ging Ekaterina Daschkowa auf Reisen. Neun Jahre lang streifte sie mit ihren Kindern durch Europa. Die hochgebildete Fürstin, die fünf Sprachen beherrschte, traf Könige, Künstler und Gelehrte. Mit den großen Köpfen der Aufklärung diskutierte sie, wie Diderot vermerkte,

    "über Gesetze, Gebräuche, Regierung, Finanzen, Politik, Sitten, Künste, Wissenschaften, Literatur."

    Als Ekaterina Daschkowa 1782 nach Russland zurückkehrte, empfing die Zarin sie als alte Vertraute. Und ernannte sie zur Direktorin der Akademie der Wissenschaften - unerhört in einer Zeit, in der Frauen von Universitäten und Akademien ausgeschlossen waren.

    "Ihre Überraschung, meine Herren, ist nur mit der zu vergleichen, die ich selbst empfinde."

    Die Akademie, das Forschungszentrum des russischen Reichs, war durch Korruption und Schlendrian fast ruiniert. Ekaterina Daschkowa machte aus dem Akademieverlag ein profitables Unternehmen; mit den Gewinnen modernisierte sie die Labore, legte den botanischen Garten neu an und finanzierte einen Neubau.

    "Die Professoren waren zuvor überlastet mit Dingen, die nichts mit ihren Forschungen zu tun hatten. Nun kann sich jeder von ihnen völlig frei seiner Wissenschaft widmen. Mit allen Fragen wenden sie sich direkt an mich und erhalten eine rasche Entscheidung."

    Noch im selben Jahr, indem sie die Leitung der etablierten Akademie übernahm, wurde sie auch Präsidentin einer neuen.

    "Eines Tages, als ich mit der Kaiserin in ihrem Garten spazieren ging, sprachen wir über die Schönheit und den Reichtum der russischen Sprache. Ich drückte mein Erstaunen darüber aus, dass Ihre Majestät noch keine Russische Akademie eingerichtet hatte."

    Die Aristokratie sprach und las Französisch. Die russische Sprache und eine eigenständige Literatur zu fördern, war das kulturpolitische Projekt der Fürstin.

    "Meine Herren, die erste Gabe, die wir unserer unsterblichen Herrscherin zu Füßen legen, ist eine Grammatik, exakt und methodisch, und ein reiches und umfassendes Wörterbuch."

    Sie gab das erste russische Wörterbuch heraus und schrieb selbst Hunderte von Einträgen. In den Literaturzeitschriften der Russischen Akademie veröffentlichte sie auch eigene Satiren, Essays und Theaterstücke. Inzwischen ließ die Revolution in Frankreich die Zarin alle Toleranz vergessen. Das spürte auch Fürstin Daschkowa, als sie das vermeintlich aufrührerische Drama eines Akademiemitglieds drucken ließ.

    "Ich wurde von einem Besuch des Oberpolizeidirektors überrascht, der sehr höflich um eine Einlasskarte in das Büchermagazin bat, damit er alle Exemplare dieser Tragödie in Beschlag nehmen könne."

    Empört ließ sich die Fürstin beurlauben. Zur Versöhnung kam es nicht mehr. Katharina die Große starb, und ihr Nachfolger Paul verfolgte die Protegés seiner Mutter.

    "Ich erhielt bald den Bescheid, dass der Kaiser mich meiner Ämter enthoben hätte."

    Sie wurde in eine Bauernhütte in Nordrussland verbannt, durfte dann aber auf ihrem Landgut bei Moskau leben. Als Paul 1801 ermordet wurde, bot ihr der neue Zar Alexander ihre Ämter wieder an. Sie lehnte ab.

    "Die Beschäftigungen des Landlebens waren jetzt die einzigen Ziele."

    Als Herrin riesiger Ländereien widmete sie sich der Modernisierung der Landwirtschaft. An der Leibeigenschaft allerdings rüttelte die Besitzerin von 5000 Bauern nicht - in diesem Punkt blieb sie taub für die Ideen der Aufklärung. Am 16. Januar 1810 starb Ekaterina Daschkowa. Begraben wurde sie auf ihrem Landgut, in dessen Park ein Denkmal an den Umsturz von 1762 erinnerte. Damals hatte ein Diplomat sie so beschrieben:

    "Sie ist eine Frau von ungewöhnlicher Geisteskraft, kühn über den männlichsten Mut hinaus und fähig, Unmögliches zu unternehmen."