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Kündigung des INF-Vertrags
"Wir brauchen ein Mehr an Vertrauen"

Angesichts der gestiegenen Spannung zwischen dem Westen und Russland plädierte Markus Kaim, Sicherheitsexperte der Stiftung Wissenschaft und Politik, im Dlf für mehr Vertrauen statt Misstrauen. Zudem könne Europa nur über eine geeinte europäische Position auf die USA und auf Russland einwirken.

Markus Kaim im Gespräch mit Christiane Kaess | 02.02.2019
    Helsinki-Gipfel: US-Präsident Trump trifft Russlands Präsident Putin (16.7.2018).
    US-Präsident Trump trifft Russlands Präsident Putin beim Helsinki-Gipfel 2018 (dpa / Heikki Saukkomaa/Lehtikuva)
    Christiane Kaess: Die USA sehen sich also an das historische INF-Abrüstungsabkommen aus dem Jahr 1987 nicht länger gebunden, und nun zieht Russland nach. Ich konnte kurz vor der Sendung mit Markus Kaim sprechen. Er ist Sicherheitsexperte der Stiftung Wissenschaft und Politik, und ich hab ihn zuerst gefragt, ob das der Start eines neuen Wettrüstens ist.
    Markus Kaim: Wettrüsten, den Ausdruck möchte ich noch nicht verwenden, aber was wir seit einigen Jahren sowohl in Moskau als auch in Washington sehen, ist ein größerer Bedeutungsgewinn von Nuklearwaffen, und der ist gewöhnungsbedürftig, weil die letzten 30 Jahre waren eigentlich charakterisiert von einem Bedeutungsverlust von Nuklearwaffen. Es hat diverse Abrüstungs- und Rüstungskontrollvereinbarungen gegeben, die Zahl der existierenden Sprengköpfe ist radikal gefallen. Politisch wurde das Ganze unterfüttert zum Beispiel durch die große Rede von Barack Obama in seiner ersten Rede, wo er sich zur nuklearen Abrüstung bekannt hat. Und jetzt sehen wir genau die gegenteilige Entwicklung – sowohl die entsprechenden Dokumente der amerikanischen Regierung als auch die entsprechenden Dokumente der russischen Regierung – und betonen wieder die Bedeutung von Nuklearwaffen. Und auch die Szenarien, unter denen sie eingesetzt werden könnten oder sollten, scheinen darauf hinzudeuten, dass die Schwelle zu einem Einsatz deutlich gesunken ist.
    Kaess: Also Sie sagen, ein Zurück zu Atomwaffen. Ein Szenario könnte ja sein, zumindest ist es das, was in Moskau angedroht wird, da sagt man, erstes Ziel wird im Falle eines Angriffs Europa sein. Ist das Säbelrasseln, oder wie ernst muss man das nehmen?
    Kaim: Eine konkrete Drohung, da bin ich noch etwas zurückhaltend, das zu erwarten, aber man muss sich ja vergegenwärtigen, dass der INF-Vertrag bezüglich der Reichweite, von der wir hier sprechen – nicht die landgestützten Raketen zwischen 500 und 5.000 Kilometer sind ja verboten worden –, immer ein Vertrag gewesen ist, der Europa im Auge hat und die Stationierung eben in Europa verboten hat. Das nukleare Gleichgewicht zwischen den Supermächten ist immer gewahrt geblieben.
    Ein bilateraler Vertrag zwischen den USA und Russland
    Kaess: Jetzt heißt es aus Moskau ja sinngemäß, Europa sollte mit den USA reden. War es denn ein Fehler, dass sich andere NATO-Staaten hinter die USA gestellt haben bei diesem Konflikt zwischen Russland und den USA über die Verletzung des INF-Vertrages?
    Kaim: Also vielleicht eine zweigeteilte Antwort: Rechtlich ist die europäische Position schon kohärent, weil kein europäisches Land, geschweige denn, die Europäische Union ist Vertragsmitglied. Dementsprechend handelt es sich hier um einen bilateralen Vertrag zwischen den USA und Russland als Rechtsnachfolge der Sowjetunion. Politisch würde ich das etwas anders bewerten. Da ist Ihre kritische Anmerkung durchaus richtig. Die USA haben ja bereits unter Barack Obama das russische Verhalten in direkten Gesprächen mit der russischen Seite moniert und bereits im Jahr 2014 das auch im NATO-Rahmen öffentlich thematisiert. Und viele europäische Regierungen haben das doch sehr dilatorisch behandelt und haben der amerikanischen Kritik, dass die russische Seite sich nicht an den Vertrag halten würde, noch wenig Glauben geschenkt. Wahrscheinlich nicht zuletzt auch aus innenpolitischer Erwägung heraus, aus Sorge darum, eine Art Nachrüstungsdebatte auszulösen – etwas, was ja jetzt auch in deutschen Stimmen immer wieder zum Ausdruck kommt. Und jetzt stellen wir fest, dass die Europäer sich in dieser Frage nie einig sind – das haben Sie gerade angedeutet –, und das unterminiert eben auch die Wirkkraft einer europäischen Position. Der eine Punkt ist, glaube ich, wenn Europa überhaupt sowohl auf die USA einwirken möchte als auch auf Russland einwirken möchte, dann führt das nur über eine geeinte europäische Position.
    Kaess: Was sollten die Europäer jetzt also tun?
    Kaim: Ich glaube, so schwierig das aus einer deutschen und europäischen Perspektive ist, denn der Bundesaußenminister hat gestern, glaube ich, richtig reagiert, indem er gesagt hat, wir sind zwar keine Vertragspartei, aber wir können das Momentum für Abrüstungskontrolle aufrechterhalten. Und wenn wir doch eines jetzt in Europa angesichts dieser gestiegenen Spannung zwischen dem Westen und Russland brauchen, dann ist es ein Mehr an Transparenz, ein Mehr an Vertrauen, nicht ein Mehr an Misstrauen.
    Kaess: Sagt Markus Kaim, Sicherheitsexperte der Stiftung Wissenschaft und Politik. Danke für das Gespräch, Herr Kaim!
    Kaim: Gerne!
    Kaess: Und die schlechte Leitungsqualität bitten wir zu entschuldigen.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.