Freitag, 29. März 2024

Archiv

Künstler gegen Freihandelsabkommen
"Wir wollen, dass es Handelsbarrieren gibt"

Das geplante Freihandelsabkommen zwischen der EU und den USA sei eine Gefahr für eine sehr ausdifferenzierte Kulturlandschaft in Europa, sagte der Sprecher des Deutschen Kulturrats, Olaf Zimmermann, im Deutschlandfunk. Handelsbarrieren machten die kulturelle Vielfalt in Europa überhaupt erst möglich.

Michael Köhler im Gespräch mit Olaf Zimmermann und Arnulf Rating | 02.05.2014
    Olaf Zimmermann, Sprecher des Deutschen Kulturrats.
    Olaf Zimmermann, Sprecher des Deutschen Kulturrats. (picture alliance / dpa / Karlheinz Schindler)
    Michael Köhler: Kanzlerin Merkel ist heute in Washington und hat sicher anderes zu tun, als über Schauspiel und darstellende Künste mit Präsident Obama zu reden. Aber vor der US-Handelskammer wird sie vor ihrer Rückreise auf das geplante Abkommen zu sprechen kommen. Gegen das transatlantische Freihandelsabkommen sprechen aus kultureller deutscher Sicht schon einige Gründe. Bereichsausnahmen für Buchhandel und Medien sind nicht geplant.
    Arnulf Rating, Kabarettist aus Berlin, ist zusammen mit Kulturratsgeschäftsführer Olaf Zimmermann und den Globalisierungsgegnern von Attac auf die Straße gegangen, um gegen das Freihandelsabkommen zu demonstrieren. Sie haben bis zum 13. Mai zu Aktionstagen in deutschen Städten aufgerufen. Warum ist die öffentliche Kulturförderung gefährdet, habe ich zunächst Olaf Zimmermann gefragt.
    Olaf Zimmermann: Weil es darum geht, Handelsbarrieren abzubauen. Das hört sich immer auf den ersten Blick ja ganz schön an, weil wer will schon Handelsbarrieren haben. Aber Handelsbarrieren sind zum Beispiel auch die Buchpreisbindung, die eine Vielfalt an Buchhandlungen in Deutschland überhaupt erst möglich macht. Handelsbarriere ist zum Beispiel auch die Filmförderung. Für alle die, die die Filmförderung nicht erhalten, ist das natürlich etwas, was sie gerne abgeschafft sehen würden, weil sie sich dann besser auf dem europäischen Markt quasi breit machen können. Handelsbarriere ist auch die öffentliche Kulturförderung. Letztendlich ist es für einen, ich sage mal, privaten Anbieter eines Theaters natürlich erheblich schwieriger, einen großen Markt zu erreichen, weil es auch die öffentlichen finanzierten Theater gibt. Also man muss da sehr aufpassen. Handelsbarrieren, das hört sich immer so negativ an, aber wir wollen, dass es Handelsbarrieren gibt, weil nämlich nur diese Handelsbarrieren eine kulturelle Vielfalt in Europa überhaupt möglich machen. In Alt-Europa – und so schlimm finde ich dieses Alt-Europa gar nicht – gibt es eine sehr ausdifferenzierte Kulturlandschaft. Die ist sehr, sehr vielfältig, nicht nur in Deutschland, sondern in den anderen europäischen Ländern auch, und ich finde, darauf können wir stolz sein. Fahren sie mal durch den Westen von Amerika und schauen sie an, wie vielen Theatern sie begegnen werden, wenn sie da wirklich über Hunderte, Tausenden von Meilen fahren, und versuchen sie, dasselbe mal in Europa zu machen. Also ich finde, wir können auf dieses alte Europa gerade im kulturellen Sinne wirklich stolz sein.
    Köhler: Das sagt Olaf Zimmermann, Geschäftsführer des Deutschen Kulturrats.
    So kann ich mir eine politische Kultur gar nicht vorstellen
    Michael Köhler: Als Freiberufler müsste der Kabarettist ja ausgesprochen für Liberalisierung sein. Was bedeutet das Freihandelsabkommen nun für die Aufführungspraxis aus künstlerischer Sicht, als Kabarettist etwa? Das habe ich den Berliner Kabarettisten Arnulf Rating gefragt.
    Der Kabarettist Arnulf Rating.
    Der Kabarettist Arnulf Rating. (picture alliance / dpa / Horst Galuschka)
    Arnulf Rating: Ich bin auch erst begeistert gewesen, dass es so ein Abkommen gibt, weil dann meine Auftrittsmöglichkeiten in den USA steigen. Ich werde dann auch eingeladen irgendwo, wo ich dann aufpassen muss, dass ich nicht in einer Garage erschossen werde, und wo ich vielleicht auch mit meinen Pointen anders verstanden werde. Da muss ich dann in den nächsten Baumarkt gehen und vielleicht mich auch bewaffnen oder so, das weiß ich nicht, damit ich treffsicher sein kann.
    Nein! Das ist ja einfach eine Frage der Vielfalt der Kultur, und was mich auch besonders bei diesem Abkommen beunruhigt ist die Art, wie das so in die Öffentlichkeit verlangt. Da verhandeln Leute über was, anstatt mal vorher die Bürger zu fragen, was meint ihr denn überhaupt. So kann ich mir eine politische Kultur gar nicht vorstellen, geschweige denn eine Debatte über Kultur. Die muss man ja erst mal führen, bevor man dann Leute damit delegieren kann, Paragraphen daraus zu machen.
    Enteignet durch Youtube
    Köhler: Wo ist die Freihandelsfalle fürs Kabarett?
    Rating: Die besteht darin zum Beispiel, wie wir es heute auch schon haben, dass wir enteignet werden, zum Beispiel durch YouTube. Da werden alle möglichen Inhalte eingestellt und da wird gar nicht mehr gefragt, wie wurde das produziert, und viele Künstler interessieren sich auch nur noch für Klickraten, weil das natürlich dem einen oder anderen möglicherweise Erfolge bringt. Aber das führt zu einer neuen Währung, nämlich die Klickraten, und das verarmt Künstler. Da muss man sich fragen, ist Kunst eigentlich so ein ganz normales Wirtschaftsgut wie Schrauben oder Heringe.
    Köhler: Sie sind bekannt bei Ihren Auftritten für den Aktenkoffer und den Kommentar des Zeitgeschehens. Stellen Sie sich mal vor, morgen erscheint die „Bild"-Zeitung und da steht dann irgendwie „Freie Fahrt für Freihandel – Merkel schafft Wirtschaftswunder in Deutschland". Was fällt Ihnen dazu ein?
    Rating: Ja, da bin ich immer gleich skeptisch, weil die blödesten Sachen wurden uns schon verkauft mit Wirtschaftswachstum und vielen Arbeitsplätzen. Gerade die Politik Merkel hat ja gezeigt, früher hatten wir zu wenig Arbeitsplätze, heute haben manche schon zwei. Ob das immer im Sinne einer guten Entwicklung ist, das wäre die Frage.
    Kulturelle Förderung ist schützenswert
    Köhler: Was Sie eben gesagt haben, sind doch Fragen von Urheberrechtsschutz und ähnlichen Dingen. Die kann man ja national regeln. Das hat jetzt nicht unbedingt mit einem Freihandelsabkommen zu tun.
    Rating: Nein, das ist eine Tendenz der Vermarktung von Kultur, die ich da benannt habe. Kultur wird zu einem ganz normalen Marktprodukt, und das ist die Frage, ob das so geht. Da ist gerade die europäische Tradition eine andere als die amerikanische. Während die amerikanische Kultur traditionell viel größere Wirtschaftsaspekte hat, hat die Kultur bei uns ja einen förderungswürdigen Status, obwohl sich manchmal fragen lässt, auf welche Kultur bezieht sich das und was ist überhaupt Kultur, aber wenn da das als normales Wirtschaftsgut gesehen wird und vielleicht eine Förderung als Handelsschranke oder als unlauterer Wettbewerb gewertet wird, dann müssen wir uns natürlich fragen, ist das richtig.
    Köhler: Kulturelle Förderung nach europäischem Muster ist und bleibt schützenswert?
    Rating: In einer gewissen Weise würde ich das sagen, ja!
    Köhler: Der Berliner Kabarettist Arnulf Rating war das. Er hat zusammen mit dem Kulturrat und mit dem Globalisierungsgegner von Attac zu Aktionstagen aufgerufen in deutschen Städten noch bis zum 13. Mai und die Abschlusskundgebung wird dann in Berlin sein.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.