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Künstler und Intellektuelle in der Ukraine

Nach dem Fall des Eisernen Vorhangs wurde nicht automatisch alles gut in Osteuropa. Seitdem der Moskau freundliche Viktor Janukowitsch in der Ukraine wieder Präsident ist, macht die Demokratie Rückschritte. Künstler und Intellektuelle haben es wieder etwas schwerer.

Von Mirko Schwanitz | 23.04.2011
    Ein Straßenfestival in Ivano-Frankivsk. Eine Jazz-Band spielt. Menschen bleiben stehen, Kinder lecken Eis. Doch die heitere Frühlingsstimmung trügt. Seit Monaten schauen vor allem die Künstler und Intellektuellen aus der Westukraine mit Sorgen nach Kiew.

    "Ja, also das allgemeine Gefühl ist dèja-vu-mäßig. Die Zeiten erinnern an die sowjetischen Zeiten in siebziger oder Anfang achtziger Jahre, noch vor der Perestroika - in diesem postsowjetischen Raum, auch in der postsowjetischen Ukraine."

    In seinen schlimmsten Träumen hätte sich der bekannte ukrainische Autor, Juri Andruchowytsch, nicht vorstellen können, wie schnell die während der Orangenen Revolution erkämpften demokratischen Errungenschaften wieder zurückgedrängt werden würden

    "Also das ist eine Rückkehr zur ideologisierten Politik. Die Hauptsache ist, dass das heutige Regime ziemlich besonders ist. Und diese Besonderheit besteht in einem starken Willen zur Kontrolle. Man will kontrollieren allen - auch die Kunst, auch die Literatur."

    Wie in Weißrussland werden auch in der Ukraine unabhängige Künstler zunehmend unter Druck gesetzt. Das geschehe, in dem man sich einzelne Künstler herauspicke und an ihnen mehr oder weniger ein Exempel statuiere, sagt Andruchowytsch. So wurde Maria Matios, eine der bekanntesten Autorinnen des Landes monatelang drangsaliert, bedroht, von der Staatsanwaltschaft verfolgt und von den Medien mit einer Hetzkampagne überzogen.

    "Formaler Grund war, sie vergleicht in ihrem Text so ein Monument, dem Zweiten Weltkrieg gewidmet, so eine Art von Siegessäule, mit dem Phallus und das war schon Grund für die kriminelle Verfolgung. Eine verrückte, absurde Geschichte, die eigentlich für die 1970er-Jahre normal war."

    Wie jetzt in Weißrussland nutzten auch die ukrainischen Machthaber einen Bombenanschlag als Vorwand für einen weitere Aushöhlung der Demokratie. In der Kleinstadt Saporishe war kurz zuvor ein erst im Mai 2010 feierlich enthülltes Stalin-Denkmal gesprengt worden.

    "Nachdem gab es so eine Welle von Verhaftungen und gleichzeitig gab es Durchsuchungen in den Wohnungen von manchen Kulturschaffenden."

    Mit dem Frontalangriff auf Maria Matios und andere Intellektuelle verfolge das Janukowitsch-Regime vor allem eines: Angst zu schüren und die Freiheit des Wortes weiter einzuschränken. Eine Strategie, die ihr Ziel nicht verfehle meint Jury Andruchowytsch

    "Also die Angst ist schon bei uns. Die Gesellschaft sucht jetzt die Möglichkeiten, sich anzupassen Im Fernsehen keine Spur von Kritik, es gibt nur Erfolgspropaganda, dazu noch blödes Radio mit heiterer Musik. Es gibt ein paar Leute, die oppositionelle Parteien vertreten. Sie erscheinen ab und zu in politischen Talkshows, sie sollen eine Rolle spielen, damit die Macht sagen konnte, wir haben Meinungsfreiheit. Das ist schon wie in Russland."

    Auf der anderen Seite beobachtet Juri Andruchowytsch aber auch noch etwas anderes. Mancher sei gar nicht so glücklich mit der Demokratie gewesen, habe sie doch zu der normalen Situation geführt, dass ein Schriftsteller eben nicht mehr als ein Schriftsteller ist.

    "Also manche sagen: Endlich sind wir wieder in der Situation, das unsere Arbeit wieder sexy geworden ist. Und: Zensur ist zurück! Also das ist ein süßes Gefühl, gefährdet zu sein. Das ist unerträglich, sehr deprimierend und das ist eigentlich eine Katastrophe. Dass die literarischen Abende in vollen Sälen stattfinden, das ist auch ein Zeichen, dass wir wieder unfrei sind. Das ist leider das wieder das klassische Modell der Künstler, der Kunst in einem Totalitarismus. Wenn das wirklich geht in politische Richtung von weiterer Annäherung zu Russland und Weißrussland, eine Bildung von solchem Dreieck von Autoritarismen, dann ist das natürlich die meist-pessimistische Geschichte für uns alle."