Dienstag, 19. März 2024

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Künstlerproteste in Iran
"Jetzt ist die Zeit, einfach zu trauern"

Die Kulturschaffenden in Iran melden sich gerade lautstark zu Wort. Sie protestieren gegen das Regime und wollen sich dem staatlichen Druck widersetzen. Der Widerstand sei "gegen eine Politik gerichtet, die zusehends Risse aufweist", so der Filmjournalist Amin Farzanefar im Dlf.

Amin Farzanefar im Gespräch mit Maja Ellmenreich | 16.01.2020
Man sieht von oben, wie sich Demonstranten und Polizisten auf einer Straße gegenüberstehen. Die Polizisten in Kampfmontur und mit Stöcken bilden zwei rechtwinklig angeordnete Reihen. In der Bildmitte geht ein Polizist gegen einen Demonstrenten vor.
In Teheran stehen sich Polizisten und Demonstranten vor der "Amir Kabir Universität" gegenüber (AP / dpa)
Erst herrschte im Iran Staatstrauer um Kommandeur Sulejmani, dann wurde nach dem Abschuss der ukrainischen Passagiermaschine gegen die staatliche Informationspolitik demonstriert. Auch die kulturelle Szene übt aktiven Widerstand. So haben einige Filmemacher ihre Teilnahme am renommierten Fajr-Festival, das im Februar beginnt, abgesagt. Sie sind daraufhin bedroht worden.
Politik mit Rissen
Schon seit Jahrzehnten hätten Künstlerinnen und Künstler mit "Gängelung" und "Zensur" zu tun. Jetzt habe sich die Lage zugespitzt, jetzt sei die "Zeit zu trauern", so Farzanefar. Der Unmut, vielleicht sogar die Wut richte sich gegen eine Politik, die "zusehends Risse" aufweise: "Man merkt, man wird belogen", sagt der Filmkritiker. Und es sei den Filmemachern im Land gerade verboten worden, den Absturz des ukrainischen Flugzeugs zu verfilmen.
Ringen um Wahrhaftigkeit und Gesellschaftskritik
Schon im November und Dezember vergangenen Jahres gab es in Iran Unruhen, an denen sich damals schon Kulturschaffende beteiligt hatten. "Da haben Filmemacher eine Petition unterschrieben" und darum gebeten, "man möge doch richtig berichten, man möge doch die Bilder zulassen". Filmemacher hätten nun einmal mit Wahrhaftigkeit und Gesellschaftskritik zu tun. Man verfolge mit den Protesten durchaus die Vision, die Meinungsfreiheit in Iran durchzusetzen: "Wenn schon Zensur, dann berechenbar und innerhalb klarer Richtlinien."
Zerschellte Hoffnung und wirtschaftlicher Druck
Das Nuklearabkommen habe die große Hoffnung geschürt, dass "alles jetzt besser würde". So habe sich der Präsident Hassan Ruhani durchaus als "Freund der Künste, der Filmemacher" gezeigt. "Und was in den letzten Monaten dann zu sehen war, war natürlich das Zerschellen der Hoffnung, der wirtschaftliche Druck." Die Politik Trumps habe dann noch den Druck nach innen erhöht.
Damit man vom Regime gehört wird
Der Kreis der protestierenden Kulturschaffenden stehe für das Volk, weil er für das Volk Verantwortung übernähme. "Als sozialkritischer Regisseur Dinge zu zeigen, die einem konformen Regisseur oder dem gepäppelten Propaganda-Filmemacher halt nicht so über die Füße rollen." Die Wahrscheinlichkeit, damit vom Regime gehört zu werden, sei "sehr hoch": "Man hat ja schon mit Verhaftungen und Drohungen reagiert. Die bekannteste Filmemacherin des Landes ist kurzfristig inhaftiert worden, und der eine oder andere ist schon angerufen worden".
Auch vor der Amir-Kabir-Universität in Teheran versammelten sich mehrere Hundert Menschen
Publizist über Passagierflugzeug-Abschuss Die Entschuldigung der iranischen Führung für den versehentlichen Abschuss eines ukrainischen Passagierflugzeugs kam überraschend. Das Unglück könnte sogar das Ende des Regimes in seiner bisherigen Form einleiten, sagt der Publizist Stefan Weidner.