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Künstliche Haut für Roboter
Sensorchips verleihen Tastsinn

Temperatur, Berührung oder Schmerz fühlen: Forscher haben eine künstliche Haut für Roboter erfunden, die dabei hilft, Berührungen auszuweichen oder im richtigen Maße darauf zu reagieren. Von einem Roboter umarmt zu werden, war bisher potenziell lebensgefährlich – jetzt wird es möglich.

Von Claudia Doyle | 11.11.2019
Die Kommunikationsmanagerin von Aldebaran, Aurora Chiquot, umarmt auf der CeBIT Hannover 2016 den humanoiden Roboter "Pepper".
Noch ohne sensible Haut: Der humanoide Roboter "Pepper" (Ole Spata/dpa)
156 Zentimeter groß und 87 Kilogramm schwer - das sind die Maße von Heinz, so der Spitzname des Roboters, der im Keller der Technischen Universität München von der Decke hängt. Man braucht nur ein paar Befehle in den Computer einzutippen, dann erwacht er zum Leben. Er streckt seine Beine aus und hebt die Arme auf Hüfthöhe.
"Heinz ist ein lebensgroßer Humanoid. Er hat zwei Beine, zwei Arme, einen Oberkörper und einen Kopf. Er sieht ganz ähnlich aus wie eine normale Person."
"Hallo, mein Name ist Heinz. Willkommen bei Forschung aktuell."
Dass Heinz nachplappert, was man ihm aufträgt, ist nichts Ungewöhnliches. Viel besonderer ist, was der humanoide Roboter auf seiner Oberfläche trägt. Es sind millimeterdünne Sensorplättchen, wabenförmig und etwa so groß wie eine Zwei-Euro-Münze. Sie bedecken den Torso des Roboters wie eine künstliche Haut.
"Das Besondere an diesen ‚künstlichen Hautzellen‘ ist die Interkonnektivität der Sensoren. Sie bilden ein komplettes Hautsystem. Das arbeitet ganz ähnlich wie unsere echte Haut, wenn sie Sinneseindrücke aus der Umwelt wahrnimmt und an unser Gehirn weiterleitet. Wir haben hier fast einen Quadratmeter Haut auf diesem Roboter", erklärt Gordon Cheng, Professor für Kognitive Systeme an der TU München, der die Roboterhaut entwickelt hat.
Roboterhaut funktioniert wie beim Menschen
Jede einzelne der 1.260 Zellen verfügt über einen Mikroprozessor und Sensoren, die Berührung, Beschleunigung, Annäherung und Temperatur messen. Damit ein Computer mit den vielen einströmenden Daten nicht überlastet ist, hat der Neurowissenschaftler sich daran orientiert, wie echte Haut Informationen an das Gehirn weiterleitet:
"Die Haut eines Menschen verfügt über fünf Millionen Rezeptoren. Dennoch kommt unser Gehirn spielend damit zurecht, all diese Informationen zu verarbeiten. Für unsere Roboterhaut nutzen wir einen ähnlichen Ansatz. Die Hautzellen leiten nur dann Informationen weiter, wenn es signifikante Veränderungen gibt. Dadurch reduziert sich die benötigte Rechenpower enorm."
Auch unsere Haut arbeitet nach diesem System. Wenn wir zum Beispiel Kleidung anziehen, spüren wir sie zunächst auf der Haut, gewöhnen uns aber schnell daran und schenken ihr keine Aufmerksamkeit mehr. Es gibt einfach keinen Grund, das Gehirn konstant darüber zu informieren, dass wir Hemd und Hose tragen.
Dank seiner sensiblen Haut kann Heinz zum Beispiel Berührungen ausweichen und dabei die Balance halten. Florian Bergner, Doktorand am Institut für Kognitive Systeme, demonstriert das:
"Also ich berühre einen Arm, zum Beispiel die rechte Seite, und bewege ihn nach innen. Das heißt der Oberkörper und der andere Arm bewegt sich auf der linken Seite in die gleiche Richtung, damit der Oberkörper die Balance halten kann. Das ist für den Roboter relativ schwierig, weil er muss den Schwerpunkt über Grund in Balance halten."
Künstliche Haut für Pflegeroboter und Prothesen
Heinz kann sogar Menschen umarmen, ohne sie aus Versehen zu zerquetschen - weil ihm seine wabenförmigen Sensorplättchen ständig signalisieren, wie fest er gerade zudrückt. Für einen Roboter eine erstaunliche Leistung.
Gordon Cheng sieht für seine Erfindung vor allem zwei Anwendungsmöglichkeiten: Einerseits könnten Pflegeroboter mit künstlicher Haut ausgestattet werden. Andererseits könnte man Prothesen mit künstlicher Haut überziehen und sie somit alltagstauglicher und einfacher in der Anwendung machen:
"Die meisten Prothesen ignorieren den Tastsinn. Ich möchte, dass diese künstliche Haut Menschen dabei helfen kann, besser zu laufen, eine Tasse anzuheben, ganz einfache Dinge, die für Menschen mit Behinderung sehr schwierig sind."
Als nächstes möchte Gordon Cheng die wabenförmigen Sensorplättchen kleiner machen und dehnbares, flexibles Material verwenden, damit sich auch Stellen wie Finger oder Ellenbogenbeugen mit der künstlichen Haut verkleiden lassen.