Donnerstag, 28. März 2024

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Künstliche Intelligenz schreibt Songtexte
Maschinenlyrik

Immer mehr Musikerinnen und Musiker lassen sich von Künstlicher Intelligenz helfen, um Stücke zu schreiben. Für die Musik klappt das bereits ganz gut. Bei den Texten für Popsongs hapert es noch. Doch David Usher und Pablo Castro wollen das ändern.

Von Dennis Kastrup | 23.11.2019
Roboterhände auf einer Klaviertastatur.
Kein Zukunftsszenario mehr: Künstliche Intelligenzen helfen bei der Produktion von Musik (imago stock&people)
"Wenn Künstliche Intelligenz irgendwann akzeptable Musik und Texte schreiben kann, werden wir im Musikgeschäft auf Knopfdruck alles haben können."
David Usher sitzt in seinem Büro im Stadtteil Mile End. Hinter ihm in der Ecke sieht man auf einem großen Bildschirm "Ophelia" gestikulieren: ein digitales, blaues Gesicht, das schweigend in den Raum schaut und alles beobachtet. Die Künstliche Intelligenz wurde von Usher entwickelt und lernt, indem man mit ihr spricht. Lernende Maschinen faszinieren den Kanadier auch in der Musik. Dass er selber kein Programmierer ist, stellt für ihn aber kein Problem dar.
"Ich spiele nicht Cello. Wenn ich aber an einem Song arbeite, kann ich dem Musiker sagen, was er spielen soll. Ich weiß genau, was gespielt werden soll. Man muss also nicht Cello spielen können, um das zu wissen. Ich kenne mich mit Musik aus und verstehe, wie alle Teile zusammenpassen. Das gilt auch für Technologie."
Literatur als Trainingsvokabular
Für das Arbeiten mit Künstlicher Intelligenz in seiner Musik bedeutet das: Er benötigt die Hilfe von einem Programmierer. Dafür hat er sich mit Pablo Castro von Google Brain zusammengetan. Die beiden arbeiten derzeit an einer KI, die Strophen und Refrains für Popsongs schreibt. Zwar existieren bereits Künstliche Intelligenzen, die mit Daten gefüttert auch Texte für Musik produzieren, diese Programme vernachlässigen aber die Besonderheiten von Popmusiktexten, wie zum Beispiel das Reimschema oder den Rhythmus. Castro geht deshalb einen anderen Weg.
Pablo Castro: "Ich habe ein Modell, das die Struktur der Strophe lernt. Wenn also ein Song ein Pentameter als Versmaß hat, dann sollte das Modell das erkennen und die nächste Zeile würde dann auch ein Pentameter sein. Das kann man auch auf das Reimschema anwenden. Ein anderes Modell liefert die Struktur des Textes, aber ohne Worte, also quasi das Skelett des Songs. Ein weiteres Modell kümmert sich dann um das Vokabular. Das setzt dann die Worte in diese Struktur ein."
Ihre Künstliche Intelligenz haben Usher und Castro "Lyric AI" genannt. Gibt man ihr eine Zeile eines Stücks, erkennt sie das Schema dahinter und spuckt dann eine passende neue Zeile aus. Diese Herangehensweise unterscheidet sich stark von dem Versuch des Kollektivs The Botnik, das im vergangenen Jahr seine KI mit Texten der Band The Strokes gefüttert hat. Herausgekommen ist damals ein Song, der den Strokes sehr ähnelt. Um das zu vermeiden, benutzt "Lyric AI" als Datengerüst keine Texte von Musik.
Pablo Castro: "Wir trainieren für das Vokabular mit Literatur, die keine Urheberrechte besitzt. Das sind dann besonders oft alte Bücher. Obwohl viele alte Bücher auf Englisch geschrieben worden sind, gibt es auch viele französische Worte, weil Französisch eine kultivierte Sprache war. Manchmal kommen also auch französische Zeilen heraus."
Um ihre Künstliche Intelligenz zu testen, haben die beiden einen alten Hit von David Usher genommen. Nach Eingabe verschiedener Sätze, dachte die KI sich weitere im selben Schema aus. Das Besondere daran ist: Das Programm produziert niemals dieselbe Zeile, auch wenn der Input derselbe ist. Darauf hat Castro beim Programmieren geachtet. Die Ergebnisse hat sich Usher ein Wochenende lang angeschaut, die besten Zeilen ausgewählt und sie dann wieder neu eingesungen. Das Resultat nennt sich "Sparkle and Shine 2.0".
Interessante Resultate nur mit menschlicher Einflussnahme
Wichtig dabei ist, dass am Ende nur durch die Mitarbeit des Menschen, dieser Song überhaupt entstehen konnte. Denn Usher hat die Zeilen neu und anders interpretiert, was dem Stück eine Einzigartigkeit verleiht.
David Usher: "Ich spreche oft davon, dass Künstliche Intelligenz das Auto-Tune von allem ist. KI kann die kleinste Gemeinsamkeit erkennen und diese sehr gut nachahmen. All diese Ecken und Kanten verschwinden dann jedoch. Ich hoffe aber, dass sich die Menschen mehr noch von der Ungeschliffenheit begeistern lassen werden, also dem Nicht-Perfektem. Das macht Pop so wunderbar."
"Lyric AI" soll demnächst für jeden kostenlos online verfügbar sein. Ob damit auch erfolgreiche Popsongs geschrieben werden? Gut möglich. Kritiker werden argumentieren, dass diese Art des Arbeitens nicht kreativ sei. Befürworter werden sagen, dass es eben nur ein weiteres Hilfsmittel im Pop sei, so wie Protools, Ableton oder Auto-Tune. Castro wünscht sich vor allem, dass es Spaß macht. Einen Hintergedanken hat er dabei dennoch:
Pablo Castro: "Ich bin in Maschinelles Lernen involviert und will, dass auch Kinder das machen. Das gilt besonders für Mädchen und ausgegrenzte Gruppen. Je mehr wir tun können, um Menschen dafür zu interessieren, desto besser ist das."