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Künstlicher Schließmuskel

Medizin.- Für viele ist Inkontinenz ein Tabuthema. Doch schon seit längerem versprechen künstliche Schließmuskel Abhilfe. Medizintechniker aus München haben den Hightech-Geräten den letzten Schliff verliehen.

Von Ralf Krauter | 08.09.2009
    Der Leidensdruck ist groß. Denn wer seinen Urin nicht halten kann, verliert oft die Lust, am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen – aus Angst, sich in der Öffentlichkeit zu blamieren. Bei gravierenden Fällen von Inkontinenz implantieren Ärzte heute deshalb regelmäßig einen künstlichen Schließmuskel. Das Herzstück der Prothese ist eine um die Harnröhre gelegte Silikon-Manschette, die diese auf Kommando zudrückt – ähnlich wie die Manschette beim Blutdruckmessen den Arm. Gesteuert wird diese Manschette über einen im Hodensack oder unter der Bauchdecke eingepflanzten Schalter. Das Problem dabei, sagt Professor Helmut Wassermann von der Fachhochschule München: Die heutigen Schließmuskel-Implantate halten normalerweise keine zehn Jahre.

    "Der Nachteil bei diesen Systemen – das finden Sie in mehreren europäischen Studien – ist, dass sie’s zu gut meinen könnten mit sich, indem sie also den Harnleiter abschnüren durch zu hohen Druck. Und damit eine Nekrose schaffen, also schwarzes Gewebe, das nicht mehr versorgt wird, weil sie die Durchblutung unterdrücken. Das wollen wir vermeiden, indem wir nur einen normalen Druck zulassen und diesen erhöhten Druck eben on demand machen. Das heißt, nur dann wenn’s gebraucht wird, also wenn Sie husten, lachen oder im Falle des Geschlechtsverkehrs, wenn also ein höherer Druck auf die Blase kommt, dass wir dann nur zumachen. Und sofort, wenn es nicht mehr gebraucht wird, den Druck wieder auf Normaldruck ablassen."

    Mit Fördermitteln vom Bundesforschungsministerium hat Helmut Wassermann ein adaptives Schließmuskel-Implantat entwickelt, das die Harnröhre immer nur so stark zudrückt, wie es gerade unbedingt sein muss. Gesteuert wird der künstliche Muskel hydraulisch, über eine Flüssigkeit, die eine kleine Pumpe durch einen Schlauch in die Manschette presst. Die Pumpe samt Ventilen und Steuerelektronik befindet sich in einer Plastikkapsel, die im Beckenboden implantiert wird.

    "Der wesentliche Vorteil an diesem Gerät ist, dass es möglich ist, mit der Manschette, die genau anstelle des Schließmuskels um die Harnröhre kommt, dass ich mit der blitzartig die Harnröhre verschließen kann. Sobald es also einen nicht mehr üblichen Druck in der Blase gibt, wird also über einen Sensor gemeldet, hier will Urin austreten. Und in dem Moment kommt also blitzartig aus dieser Blitzdruckkammer ein Schuss Flüssigkeit in die Manschette und schließt diese. Und damit ist also dieses Tröpfeln und der Verlust von wenig Urin bereits stoppbar – ganz zu schweigen von der Inkontinenz, die es bei vielen in größerem Maße gibt."

    Will der Benutzer auf die Toilette, braucht er nur einen Knopf auf einer kleinen Funkfernbedienung zu drücken. Die hydraulische Manschette entleert sich, der ringförmige Muskel wird schlaff und ermöglicht so das Wasserlassen durch die Harnröhre. Um den Akku des Implantats wieder aufzuladen, genügt es, sich alle paar Tage einmal eine spezielle Magnetspule auf den Bauch zu legen, die die Batterie über Induktion mit neuem Saft versorgt.

    Ärzte der Uniklinik Freiburg entwickeln bereits ein vergleichbares ferngesteuerten Implantat für Inkontinente. Helmut Wassermann glaubt aber, die Nase vorn zu haben.

    "Systeme, die so schnell sind, wie dieses System, gibt’s noch nicht. Das ist eine Besonderheit, die wir jetzt haben, die auch patentiert ist."

    Bevor die Münchner Medizintechnik-Experten klinische Tests starten können, muss die gekapselte Kontrolleinheit allerdings noch deutlich geschrumpft werden.

    "Dieses Teil besteht aus einer Box, in die unsere Sensoren und unsere Pumpen integriert werden müssen, mit diesen winzigen Ventilen. Das muss man einfach, damit es in das kleine Becken rein passt, noch miniaturisieren. Momentan ist dieses Implantat in der Größenordnung – das ist so wenn Sie zwei Fäuste nebeneinander legen, so groß. Und es soll maximal auf die Größe zweier Streichholzschachteln reduziert werden. Also das ist noch ein gewisses Unterfangen. Ich sehe aber da kein Problem. Wir haben bei einzelnen Komponenten damit angefangen und gezeigt, dass man sie verkleinern kann."

    Den letzten und entscheidenden Schritt auf dem Weg zur Praxisreife, erklärt Helmut Wassermann, müsse jetzt eine Firma übernehmen.