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Künstliches Gewebe
Pflanzenskelette für neue Haut

Ob Knochen, Knorpel oder Hautzellen: Schon einige menschliche Gewebe können Forscher im Labor heranzüchten. Ein großes Problem beim sogenannten Tissue Engineering ist bisher, dass die Zellen nur dann gut wachsen, wenn sie sich an einem Gerüst orientieren können. In den USA haben Forscher nun Pflanzenskelette auf ihre Brauchbarkeit getestet.

Von Claudia Doyle | 11.05.2017
    Ein "Strauß" Spinat steht in einer alten Teekanne auf einem Gartentisch.
    Spinat, bald auch Gerüst um daran Herzgewebe zu züchten? Forscher in den USA untersuchen dies gerade. (imago stock&people)
    Wenn Wissenschaftler im Labor Gewebe züchten wollen, dann müssen sie den Zellen eine möglichst angenehme Umgebung schaffen. Damit die Zellen sich rasch teilen und wachsen, brauchen sie die richtige Temperatur, das passende Nährmedium und ein Gerüst, an dem sie sich orientieren können. Gianluca Fontana forscht an der Universität Wisconsin-Madison an genau diesem Problem.
    "Das Problem ist, dass Zellen sehr sensibel auf die Umgebung reagieren, in der sie wachsen. In einer Petrischale, einer sehr starren Struktur, können die Zellen sich in andere Zelltypen umwandeln oder unerwünschte Eigenschaften entwickeln."
    Um das zu verhindern, müssen die Forscher zusätzlich Moleküle hinzugeben, die den menschlichen Zellen als Gerüst dienen. Heutzutage nutzen sie vor allem Proteine aus der extrazellulären Matrix, wie beispielsweise Kollagen oder Fibronektin, als Gerüstsubstanzen. Doch diese Stoffe sind sehr aufwändig herzustellen und teuer. Nur wenige Gramm kosten hunderte oder gar tausende Euro. Außerdem scheitern die bisherigen Gerüststoffe alle an einem Anspruch, erklärt Fontana:
    "Eine der Eigenschaften, die eine gute Gerüstsubstanz haben muss, ist Porosität. Nur dann können die Nährstoffe zu den Zellen gelangen. Außerdem müssen die Poren alle miteinander verbunden sein."
    Fontana: "Wir wollten diese Struktur nutzen"
    Ein stabiles Grundgerüst mit Kanälen für den Wasser- und Nährstofftransport war es also, wonach die Wissenschaftler suchten. Genau das ist die Spezialität von Pflanzen.
    "Im Laufe der Evolution haben Pflanzen die Wasserleitfähigkeit wirklich optimiert. Denken Sie nur mal an Bäume, die können Wasser hunderte Meter hoch über den Boden befördern, weil ihr hydraulisches System so effizient ist. Wir wollten diese Struktur nutzen und herausfinden, ob sich Pflanzen dazu eignen, auf ihnen menschliche Gewebe zu züchten."
    Seine Versuchsobjekte fand Fontana im Botanischen Garten nur wenige Minuten von seiner Universität entfernt. Dort pflückte er unter anderem Buntnesseln, Flamingoblumen und Orchideen. Auf dem Wochenmarkt besorgte er noch Petersilie. Im Labor mussten dann zunächst mit Hilfe von verschiedenen Spül- und Bleichmitteln alle Zellbestandteile aus Blättern und Stängel entfernt werden. Etwa eine Woche dauerte dieser Prozess. Danach waren die einst grünen Pflanzen nicht wiederzuerkennen. Gianluca Fontana:
    "Bei diesem Prozess der Dezellularisierung werden die Proteine denaturiert und auch alle anderen Bestandteile wie DNA aus den Pflanzen entfernt. Auch die grünen Pigmente werden zerstört. Die Pflanzen sehen dann fast durchsichtig aus."
    Nach dieser simplen Prozedur blieb von den Stängeln nur ein Gerüst übrig, das hauptsächlich aus Zellulose besteht. Darauf gaben die Wissenschaftler zwei Arten von menschlichen Zellen: Stammzellen aus dem Knochenmark und Hautzellen. In den ersten zehn Tagen zeigten die Zellen auf allen pflanzlichen Gerüsten eine erhöhte Stoffwechselaktivität und Teilungsrate. Langfristig fühlten sie sich aber vor allem auf einer Pflanze wohl: der Petersilie. Gianluca Fontana spekuliert über die Gründe dafür.
    "Bei der Dezellularisierung vergrößern sich bei einigen Pflanzen auch die Poren und bei Petersilie wurden die Poren sehr groß. Dadurch konnten die Nährstoffe vermutlich einfacher zu den Zellen diffundieren. Außerdem hatten die Pflanzenskelette eine extrem große Oberfläche."
    Pflanzengerüste zeigten sich als sehr stabil
    Pro Gramm Petersilienstängel maß Fontana eine Oberfläche von 1900 Quadratmetern – also ungefähr so groß wie ein Eishockeyfeld. Und je größer die Oberfläche, desto mehr Zellen können sich darauf ansiedeln. Zudem zeigten sich die Pflanzengerüste als sehr stabil. Die bisher gebräuchlichen Gerüste zerfallen bereits nach ein bis zwei Wochen. Die Pflanzenskelette waren auch nach fünfzig Tagen in der Zellkultur noch intakt. Diese Stabilität hat jedoch auch einen Nachteil. Gianluca Fontana:
    "Irgendwann möchte man ja, dass das Gerüst abgebaut wird, besonders wenn man es implantieren möchte. Man braucht es nur so lange, bis das Gewebe sich regeneriert hat und geheilt ist. Dann sollte das Gerüst vom Körper abgebaut werden."
    Eine Lösung dafür könnte sein, die Pflanzenskelette mit Hitze oder einem Enzym-Mix vorzubehandeln. Fontana jedenfalls ist optimistisch, dass sich die pflanzlichen Gerüste für Implantate eignen. Den besonderen Vorteil der Methode sieht er in der Vielseitigkeit der Pflanzenarchitektur an der sich die menschlichen Zellen beim Wachstum orientieren.
    "Das Tolle an diesem Ansatz ist, dass wir Tausende von verschiedenen Pflanzen haben. Wir können uns einfach eine Struktur aussuchen, die wir wollen und dann die Pflanze finden, die sich dafür besonders eignet."
    Das Wasserleitsystem von Spinatblättern ähnelt beispielsweise sehr stark dem Blutgefäßsystem eines Herzen. Kooperationspartner von Fontana nutzen diese Ähnlichkeit aus, um auf Spinatskeletten Herzgewebe heranzuzüchten.