Dienstag, 16. April 2024

Archiv


Kugelsicher dank Keramik

Technik. - Im vergangenen Sommer wurde in den USA Anklage gegen einen Hersteller von kugelsicheren Westen erhoben. Denn ein Polizist in Kalifornien war an einer Kugel gestorben, die seine Weste durchschlagen hatte. Seither ist die Kunstfaser sozusagen in die Schusslinie der Kritiker geraten. Offenbar büßt sie mit der Zeit ihre Stabilität ein. Ein Forscher aus Mexiko hat sich des Problems angenommen und dem Stoff mehr Dauerhaftigkeit verliehen.

Von Arndt Reuning. | 04.01.2005
    Die ersten kugelsicheren Westen wurden schon im 17. Jahrhundert hergestellt - aus Seide. Mehrere Stoffbahnen wurden übereinander gelegt und boten so Schutz gegen die Geschosse aus den damals noch recht primitiven Waffen. Ein Seidenfaden ist deshalb so stabil, weil die Moleküle in seinem Inneren alle in eine Richtung weisen. Kunstfasern, die heutzutage für Schutzwesten verwendet werden, zum Beispiel Kevlar oder Zylon, ähneln der Seide in dieser Struktur. Sie sind aber noch sehr viel reißfester. Trifft ein Projektil auf solch ein Gewebe, dann nimmt der Stoff die Wucht des Aufpralls in sich auf und verteilt sie über eine große Fläche. Darauf beruht die Schutzwirkung einer kugelsicheren Weste. Einige dieser Materialien haben aber auch einen großen Nachteil:

    Das Problem ist, dass diese Stoffe anfällig sind gegenüber ultravioletter Strahlung von der Sonne und gegen Feuchtigkeit. Setzt man sie dem Tageslicht aus und auch dem Schweiß des Körpers, dann zersetzen sie sich nach wenigen Monaten und verlieren ihre schützenden Eigenschaften.

    Das sagt Professor Victor Castaño von der Freien Nationaluniversität von Mexico in Santiago de Querétaro. Er hat einen Weg gefunden, wie man die Materialien für kugelsichere Westen haltbarer machen kann. Dazu hat er einen UV-Schutzschild chemisch an altbekannten Kunstfasern verankert: winzigste Kügelchen aus Keramik. Sie bestehen aus Titandioxid, einem weißen Farbpigment, das auch in Sonnencreme die menschliche Haut vor ultraviolettem Licht schützt. An der Oberfläche der Faser, des Polyamids Kevlar, sitzen sie dicht an dicht, reflektieren die schädliche Strahlung und halten auch die Feuchtigkeit fern.

    Man erhält ein Material, das weiterhin die ballistischen Eigenschaften von Kevlar bietet, aber sehr viel länger hält. Zum Vergleich: Eine gewöhnliche Schutzweste hat eine Lebensdauer von zwei bis maximal fünf Jahren. Mit unserer Technologie können wir aber Fasern herstellen, die über zehn Jahre lang halten.

    Wichtig sind die Abmessungen der Keramikpartikel. Ihr Durchmesser beträgt nur wenige Nanometer. So lässt sich ihre Gesamtoberfläche im Vergleich zum Volumen vergrößern. Und das ist wichtig, denn zum einen kommt es für die Schutzwirkung gegen die UV-Strahlung auf die Oberfläche an: je größer, desto besser. Und zum anderen möchte man natürlich möglichst wenig Keramik in die Weste einarbeiten, damit sie nicht zu schwer wird. Denn Erfahrungen haben gezeigt, dass Polizisten das Tragen ihrer Schutzweste vernachlässigen, wenn sie zu viel wiegt. Und das kann tödliche Folgen haben. Aber es gibt noch einen zweiten Grund, warum in diesem Fall "kleiner" besser ist.

    Andererseits ist es sehr wichtig, dass man Nanokügelchen verwendet, weil bei größeren Durchmessern die Fasern steif werden. Sie lassen sich dann nicht mehr biegen. Beziehungsweise: Beim Biegen platzt die Beschichtung ab. Mit Nanotechnologie aber kann man diese Probleme beseitigen. Und nur mit ihr funktioniert es.

    Und mit Nanotechnologie lassen sich noch andere ballistische Materialien verbessern. So hat Victor Castaño eine schusssichere Fensterscheibe entwickelt. Dazu hat er ein durchsichtiges Acrylglas mit Nanoteilchen verstärkt. Die Partikel bestehen aus Aluminiumoxid und einem gummiartigen Kunststoff. Sie halten die Acrylatmoleküle zusammen und können wie die Fasern einer kugelsicheren Weste den Stoß des Projektils abfedern. Nanometer groß müssen die Teilchen im Acrylglas sein, weil die Scheibe mit größeren Partikeln trübe würde, so wie Milchglas. Ein Effekt, der als Lichtstreuung bezeichnet wird.

    Das Ergebnis: eine drei Millimeter dicke Acrylatplatte, die Projektilen vom Kaliber 22 standhalten kann. Legt man mehrere dieser Platten aufeinander, kann man Schutzgläser konstruieren, die dünner als zwei Zentimeter sind, vollkommen aus Plastik bestehen, also sehr leicht sind, und trotzdem einem Schuss aus einer Neun-Millimeter-Pistole widerstehen.