Mittwoch, 24. April 2024

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Kuhn: "Keine Rückkehr zu pazifistischer Haltung"

Der Fraktionsvorsitzende der Grünen im Bundestag, Fritz Kuhn, hat eine Überprüfung der Mandate für den Bundeswehr-Einsatz in Afghanistan gefordert. Mit Blick auf die Operation "Enduring Freedom" sagte Kuhn im Interview der Woche des Deutschlandfunks, die Strategie dieses Einsatzes sei nicht richtig. Grundsätzlich gebe es Zustimmung zum Engagement Deutschlands in Afghanistan.

Moderation: Sabine Adler | 15.07.2007
    Adler: Fritz Kuhn, nach der SPD, die die drei Afghanistan-Mandate der Bundeswehr ziemlich hart diskutiert hat, zum Beispiel in einer Sondersitzung der Fraktion, und das auch weiterhin tun möchte in einer Fraktionsklausur nach der Sommerpause, sind jetzt die Grünen gekommen, die mit einem Sonderparteitag am 15. September die Afghanistan-Frage sozusagen noch mal neu stellen wollen. 250.000 Euro wird der Sonderparteitag kosten. Treibt das die Grünen in den Ruin?

    Kuhn: Nein, wir werden das finanziell überleben. Es ist natürlich teuer, deswegen hat die Parteiführung auch für einen kleinen Parteitag plädiert, weil dann die Kosten wesentlich geringer sind. Aber die Basis hat gesagt, sie will auf einem großen Parteitag diskutieren, und das tun wir jetzt. Dass wir es diskutieren, ist ja wichtig, weil – es darf bei Mandaten der Bundeswehr, jedenfalls aus unserer Sicht, keinen Automatismus geben nach dem Muster: Das hat man schon mal beschlossen, beschließt mal weiter.

    Sondern es kommt darauf an, genau hinzugucken, was ist vor Ort los, hat sich was verändert? Von welcher Qualität und Strategie sind die verschiedenen Mandate – wir haben ja drei Mandate insgesamt – und was sollen wir dort tun? Ich setze ein bisschen drauf, dass wir da auch das machen, was die Bevölkerung eigentlich auch will. Denn wir wissen ja aus Umfragen: Die Mehrheit der Bevölkerung ist sehr skeptisch geworden. Also musst du, wenn du für den Einsatz bist – wie ich für den ISAF-Einsatz bin – natürlich neu argumentieren und immer wieder neu die Argumente wägen und an der Wirklichkeit prüfen.

    Adler: Steht der Ort des Parteitags schon fest?

    Kuhn: Nein, der steht noch nicht fest.

    Adler: Woran hängt’s?

    Kuhn: Nun ja, so kurzfristig Hallen zu finden, die geeignet sind und bezahlbar sind, ist schwierig. Aber ich gehe davon aus, dass das in den nächsten Tagen läuft.

    Adler: So ganz kurzfristig ist das Ganze ja nicht. Seit vier Monaten hat die Parteibasis den Meinungsbildungsprozess darüber geführt, ob sie tatsächlich einen Sonderparteitag möchte. Jetzt ist das Quorum zustande gekommen. Kann man sagen, dass jetzt sozusagen das wieder los geht, was vor der Regierungsbeteiligung der Grünen stattgefunden hat, nämlich das jetzt sozusagen die Farbbeutel geschnürt werden und die Fraktions- beziehungsweise Parteiführung die um die Ohren geschleudert kriegt für ihre ...

    Kuhn: ... das ist ein bisschen feuilletonistisch überzogen. Das hat nämlich die Parteibasis gesagt und nicht der Parteitag, sondern ein Viertel der Kreisverbände . . .

    Adler: ... ein Zehntel, glaube ich, sogar nur ...

    Kuhn: ... ja, ein Zehntel, 44 – Entschuldigung. Wir haben ein Satzungsverfahren, und wenn 44 Kreisverbände sagen "Sonderparteitag" – dann gib’s den – ein sehr starker Schutz von Minderheiten. Aber ich finde die Streitereien – die interessieren mich gar nicht. Interessant ist, dass wir jetzt einen Parteitag haben und dass wir den so gut wie möglich machen. Wir werden nicht zurück vor `98 gehen. Das konnte man schon auf dem letzten Bundesparteitag sehen, wo man ja einen Grundsatz auch bejaht hat, dass das Engagement Deutschlands in Afghanistan fortzusetzen ist.

    Da geht’s ja nicht um irgendwelche Militärspielereien, sondern um die Frage, ob dieses Land – seit über 20 Jahren geschunden im Bürgerkrieg – eine Chance hat, langsam zu einem Staat zu werden – mit Gewaltmonopol des Staates, mit funktionierender Polizei, mit Bürgerrechten für alle Afghaninnen und Afghanen. Und das ist die Frage, und das weiß die grüne Partei auch, dass man das nicht mit einem Exit sozusagen erreichen kann: Alles raus, sorry, war ein Irrtum. Aber man muss genau hinschauen: Wie ist die Strategie. Und deswegen reden wir ja über OEF, also über "Operation Enduring Freedom", von den Amerikanern dominiert, anders als über ISAF, was von der NATO gestellt wird und wo die Deutschen auch ein sehr großes Kontingent stellen.

    Adler: Und – nochmal anders – über den Tornado-Einsatz . . .

    Kuhn: ... Tornado-Einsatz, das wäre das dritte Mandat . . .

    Adler: … wo man ja gesehen hat, wie zerrissen selbst die Bundestagsfraktion der Grünen ist. Da gab es ja eine fast halbe-halbe – Abstimmung, 26 dafür, 25 – insgesamt mit Enthaltung und Gegenstimmen auf der anderen Seite. In der Tat ist es so, dass ja, wie Sie angesprochen haben, auf dem Parteitag schon sehr engagiert, sehr emotional über Afghanistan geredet worden ist.

    Einfach rauszugehen, das sagen Sie auch, ist nicht so leicht möglich. Andererseits gibt es Stimmen aus Ihrer Partei, die sagen: Es ist gerade die Art des Auftretens, die Art des Kampfes gegen die Taliban beziehungsweise Al Kaida vor Ort, die zur Rekrutierung neuer Kämpfer führt. Das heißt im Umkehrschluss – wenn ich das ganz stark zuspitze –die Grünen meinen, dass der Anti-Terror-Kampf in Afghanistan zu neuem Terror führt.

    Kuhn: Also, ich bin schon jemand, der da vorsichtig formuliert. Und die Strategie, die Operation Enduring Freedom praktiziert, ist nicht richtig. Deswegen sagen wir: Wir brauchen einen Strategiewechsel. Wenn sie Terroristen bekämpfen, was notwendig ist, dann müssen sie es in einer Weise tun, die Schäden bei der Bevölkerung versucht, systematisch zu minimieren.

    Und die Kollateralschäden – das ist ja schon ein furchtbares Wort, finde ich – die bei manchen Luftangriffen stattgefunden haben, die haben tatsächlich eine delegitimierende Wirkung für den Aufbau. Und die Philosophie bei ISAF, was ich unterstützen will, ist ja Sicherheit, also Kampf gegen Terrorismus, und Entwicklung. Das ist unzertrennbar, die beiden Punkte …

    Adler: … das erfordert natürlich militärisches Vorgehen …

    Kuhn: … ja, wir brauchen, um Entwicklungshilfe im Norden, Westen und Süden schnell an die Leute zu bringen, auch ein militärisches Vorgehen. Aber es ist natürlich die Frage der Strategie. Das muss so und dergestalt sein, dass die Legitimation der Bevölkerung plausibel erscheint dafür. Wenn sie da große zivile Schäden haben und die billigend oder leichtfertig in Kauf nehmen, dann können sie in der Tat das Gegenteil erreichen und auch das gute Ansehen, das die Bundeswehr hat im Norden – die haben ja ein hohes Ansehen erreicht – dadurch gefährden.

    Und deswegen ist meine Position, dem OEF-Mandat nicht zuzustimmen, aber ISAF zuzustimmen, und bei den Tornados hängt es sehr stark an der Frage, wie der Bericht eigentlich jetzt ausfallen wird, was die gemacht haben. Tornados können ja auch dazu dienen, etwa unsere Soldaten zu sichern oder zu sondieren, wo Entwicklungshilfe rein kann. Wir wissen von Tom Koenigs, dem Sonderbeauftragten der Vereinten Nationen, dass oft die Entwicklungsorganisationen zögern – können sie in ein Gebiet oder nicht. Da ist Luftaufklärung auch wichtig. Aber da wird nochmal drüber zu reden sein, wenn der Bericht vorliegt. Was ist in der Zeit, seit die Tornados da jetzt stationiert sind, wirklich geschehen und welche konkrete Funktion haben sie?

    Damit will ich sagen: Die Wertung beginnt mit der Betrachtung der Wirklichkeit. Das ist nicht einfach eine ideologische Frage, wie hätte man es denn gern, sondern man muss genau hinschauen. Und meine Fraktion – meine Partei – hat den Vorteil, dass sehr viele in Afghanistan waren, regelmäßig auch dort sind oder internationale Kongresse besucht haben. Und ich glaube, dass wir deswegen sehr qualifiziert darüber reden können.

    Adler: Jetzt gibt es ein anderes Argument, nämlich von der Unionsfraktion im Bundestag, die sagt: Wenn man aus einem der drei Mandate aussteigt, dann verwirkt man sozusagen das Recht beziehungsweise schmälert die Einflussmöglichkeit der Mitsprache.

    Kuhn: Ich halte das aber mehr für ein Absicherungsargument der CDU-Fraktionsspitze, dass sie sozusagen ihren Laden zusammen halten können. Also, Abgeordnete haben da eine Gewissensentscheidung. Die müssen prüfen, ob sie das OEF-Mandat für sinnvoll halten. Und wenn sie sehen, es ist ihrer Meinung nach nicht sinnvoll, dann sind diese taktisch abgeleiteten Argumente nicht mehr hilfreich.

    Ich würde mir sowieso von der Bundeswehr wünschen, dass sie in Bezug auf Strategieänderung in Afghanistan mehr Druck macht gegenüber den Amerikanern und auch in der NATO. ISAF wird ja von der NATO entschieden, OEF wird mehr oder weniger von den Amerikanern entschieden. Und ich frage mich schon, was eigentlich die gute Freundschaft der Bundeskanzlerin mit George Bush bringt in Bezug auf die Fähigkeit, dort etwas zu beeinflussen. Deswegen wird die Beeinflussung der Strategie, nicht für alle drei Sachen zu stimmen, entschieden, sondern für die Frage, welchen Druck eine Regierung macht. Es ist ja eigentlich eine Frage des Regierungshandelns.

    Und da habe ich schon eine deutliche Kritik auch an der Bundeskanzlerin, die ja die Lorbeeren für die guten Verhältnisse zu Bush gerne einsammelt und schöne Bilder produziert auf den Gipfeln, aber die in entscheidenden Fragen, zum Beispiel Strategiewechsel in Afghanistan, ich finde auch Strategien, im Nahen Osten zu einem Frieden zu kommen, nicht besonders gute Ergebnisse vorweisen kann.

    Adler: Sie sagten, dass das Abstimmungsverhalten bei den Afghanistan-Mandaten natürlich eine Gewissensentscheidung der Abgeordneten ist. Dennoch haben Sie das vor allem in der Vergangenheit ja zu spüren bekommen, dass die grüne Basis ja enormen Druck auf die Abgeordneten aufzubauen in der Lage ist. Wird so was zu erwarten sein? Werden Sie sozusagen "Pfeffer kriegen"?

    Kuhn: Also, selbstverständlich ist es wichtig, was die Partei sagt. Und eine Partei lebt ja davon, dass die Abgeordneten, die hauptberuflich sich mit den Fragen beschäftigen können, die Legitimation bei der Basis abholen und die Basis auch überzeugt, wenn sie sagt, wir wollen so oder so abstimmen. Aber am Schluss ist es trotzdem eine Gewissensentscheidung.

    Adler: Spielt Regierungsverantwortung da noch eine Rolle?

    Kuhn: Wir als Grüne haben versucht, seit wir in der Opposition sind, nicht den "Billigen Jakob" à la Lafontaine zu machen. Wir könnten es uns ja ganz einfach machen. Irgendeinen Grund, warum die Regierung etwas schlecht macht, finden sie immer. Und dann stimmen sie mit nein. Aber so können sie mit einem internationalen Engagement, das unter Menschenrechts- und Staatsaufbaugesichtspunkten in Afghanistan ja auch stattgefunden hat, nicht einfach umgehen.

    Man muss auch mal erinnern an das, was das gebracht hat. Wir diskutieren ja gegenwärtig nur die Schwierigkeiten, aber dass zum Beispiel Hunderttausende von Mädchen jetzt in die Schule gehen können, und das wäre ohne den Einsatz der internationalen Truppen nicht möglich gewesen. Und vor solchen Fragen muss die Abwägung eben auch stattfinden.

    Adler: Fritz Kuhn, der Anti-Terror-Kampf wird nicht nur in Afghanistan geführt, der wird auch zum Beispiel in Deutschland geführt. Da ist unter Rot-Grün der ehemalige Bundesinnenminister Otto Schily, SPD, ja ganz weit vorgeprescht. Der ist so weit vorgeprescht, dass jetzt unter der Großen Koalition zum Teil Gesetzesvorlagen geschaffen werden müssen für das, was Schily schon durchführen hat lassen, Stichwort Online-Durchsuchung. Geht die Große Koalition damit folgerichtig diesen von Rot-Grün eingeschlagenen Weg weiter?

    Kuhn: Sie wollen mich jetzt da auf eine Spur ziehen, die ich nicht teile. Es ist richtig, dass Otto Schily natürlich immer vorgeprescht ist und es gab ja sozusagen eine permanente Auseinandersetzung um die Frage, wie weit kann der Staat gehen in der notwendigen Abwehr von Terrorismus. Und dass es da vorauseilende Alleingänge gab wie bei der Online-Untersuchung ist ja sicherlich in Ordnung.

    Adler: In Ordnung oder nicht in Ordnung?

    Kuhn: Ist sicherlich nicht in Ordnung. Ich hoffe nicht, dass ich "nicht" nicht unterschlagen habe. Also, jedenfalls würden wir das niemals akzeptieren, was da geschehen ist. Ich glaube aber nicht, dass die Große Koalition sorgfältiger mit dem Problem umgeht. Ich verstehe die fast wöchentlichen Einwürfe Schäubles im Sinne von stärker zulangen, generell präventiver zulangen, ja eher so, dass er den Kurs von Schily verschärft.

    Und ich finde, die Aufgabe ist nach wie vor notwendig. Wir müssen uns vor Terror so optimal schützen wie es geht. Aber wir dürfen die Freiheit dabei nicht aufgeben. Bei Bin Laden, da gab es Video-Botschaften, die genau darauf zielen, dem Westen die liberale Maske runter zu reißen, indem er den Westen zwingt, autoritär und ohne Freiheitsrechtebewahrung eben gegen Terrorismus vorzugehen. Den Gefallen dürfen wir ihm nicht tun.

    Adler: Kommen wir mal auf die Linkspartei. Sie haben den Namen Oskar Lafontaine schon in den Mund genommen. Ist gerade diese Person, der Chef der Linkspartei, eine Versicherung für die Grünen, dass sie sozusagen immer noch oder auf längere Sicht der Lieblingskoalitionspartner der SPD sein werden?

    Kuhn: Also, ich stehe erst mal so zu der Linken, dass wir keine rot-rot-grüne Koalition machen werden. Dazu sind die Linken nicht in der Lage. Bei Lafontaine sehe ich gar nicht, welche inhaltlichen Interessen der hat. Der hat das Hauptinteresse, die SPD kaputt zu machen, und ich sage es mal locker, seine "Beziehungskiste" zur SPD irgendwie auf eine sehr extreme Art auszuagieren.

    Wir haben massive Differenzen zur Linken in der Außenpolitik. Also pauschal zu sagen, auch Mandate der Vereinten Nationen im Ausland nicht wahrzunehmen, egal was los ist, gegen das Kongo-Mandat zu stimmen, wo es um Wahlsicherung einer demokratischen Wahl ging, und dann hinterher zu sagen wie der Herr Bisky, ach, vielleicht war es doch nicht so schlecht – das ist einfach zu billig.

    Und in der Wirtschafts- und Sozialpolitik haben sie auch Antworten, die im Globalisierungszeitalter und unter den Demografiebedingungen, die wir in Deutschland haben, also Bevölkerungsaufbau, einfach nicht gehen. Die Zeit ist nicht mehr so, dass sie einfach eine populistische Antwort auf den Tisch legen und sagen: Das war’s. Und sich um Umsetzbarkeit, wie geht das praktisch in der Regierung, ja anscheinend nicht kümmern.

    Und deswegen: Wir nehmen die Linke ernst, das will ich noch dazu sagen, aber auf eine ruhige Art. Wir werden schauen, dass wir sie Thema für Thema dann mit unseren Antworten konfrontieren, und dabei den Wählern, die intelligent sind, zeigen, dass es so billig nicht geht.

    Adler: Manchmal werden Sie weiter nach links geschoben, manchmal aber auch in Richtung Union weiter nach rechts geschoben – Stichwort schwarz-grüne Bündnisse. Wenn man sich jetzt die Ereignisse im AKW Krümmel beziehungsweise Brunsbüttel anschaut, da geht die Staatsanwaltschaft ein und aus, da geht die Kriminalpolizei ein und aus, und wenn man sich die Reaktionen von der Union anhört, sind die immer noch eigentlich pro Ausstieg aus dem Ausstieg. Das heißt, ein Umdenken ist hier eigentlich nicht zu beobachten. Macht das die Spekulation Schwarz-Grün völlig zunichte?

    Kuhn: Also klar ist erst mal, dass Rot-Grün möglich ist und geht. Die Roten sind nicht immer ein besonders angenehmer Partner, aber das geht.

    Adler: Wir reden jetzt über Schwarz-Grün.

    Kuhn: Das habe ich verstanden. Und Schwarz-Grün ist – das wollte ich damit eigentlich einleiten – natürlich viel weiter weg. Da müsste es schon besondere Umstände und besondere Inhalte geben, dass so was mal denkbar ist. Völlig klar ist, dass es mit den Grünen keine Regierungsbeteiligung gibt – mit wem auch immer –, wenn der Atomausstieg revidiert wird.

    Und ich kann der Union nur raten oder nur sagen: Diese ganzen schwarz-grünen Debatten, die die ja gerne so ein bisschen feuilletonistisch führen, um sich auch modern zu geben – Schwarz-Grün gilt ja in deren Kreisen auch als Modernisierungsprofil –, die können sie sich an den Hut stecken, wenn sie nicht kapieren, dass wir in Deutschland aus der Atomindustrie aussteigen werden.

    Und was mich stört ist, dass die diese ganzen Sachen in Krümmel jetzt gar nicht an sich ran lassen. Also, uns hat man jetzt zwei Jahre lang erzählt, wir müssen die verlässliche Atomtechnologie verlängern und so weiter, und jetzt sieht man, dass es einen Betreiber wie Vattenfall gibt, der die vorgeschriebene Zuverlässigkeit nach dem Atomgesetz gar nicht erfüllt. Und das ist also ein Chaos und ein Wahnsinnsladen, was die da aufziehen, und ich stelle an die Verantwortlichen im Sozialministerium und dann indirekt auch an Herrn Gabriel hier im Umweltministerium schon die Frage, wie lange wollen Sie eigentlich noch zuschauen und Verlässlichkeit prüfen von einem Betreiber, der sich in diesen Fragen, übrigens in Berlin auch gegenüber den Kunden was die Tariferhöhung angeht, als dermaßen unseriös, unsolide und unzuverlässig erwiesen hat, dass sich eigentlich die Balken biegen.

    Aber zu Ihrer Frage: Schwarz-Grün ist gegenwärtig ein Diskussionsgegenstand. Die Diskussion führen wir auch. Aber für uns sind die Inhalte vorne dran, und dass man ohne ökologische Modernisierung und Atomausstieg mit uns nicht koalieren kann, das müssten eigentlich auch die CDU-Parteichefin oder Herr Oettinger und andere inzwischen wissen.

    Adler: Jetzt sagen Sie, es muss Konsequenzen geben aus diesen unhaltbaren Zuständen, wie wir sie gerade im Norden Deutschlands sehen. Da kommt die FDP und kommt auch Ihre Partei, die Landesverbände kommen jetzt, beziehungsweise Fraktionen in Schleswig-Holstein kommen jetzt damit, mit Rücktrittsforderungen an die Adresse der SPD-Ministerin, der Sozialministerin beziehungsweise, noch hat es keiner geäußert, aber möglicherweise geht man sogar so weit, den Bundesumweltminister Gabriel, SPD, zur Verantwortung ziehen zu wollen. Ist das nicht eigentlich die falsche Adresse?

    Kuhn: Also, ich bin kein Spezialist für Rücktrittsforderungen, denn die sind im Amt und jetzt sollen sie erst mal ihre Aufgaben machen. Falls das Sozialministerium in Schleswig-Holstein aber die laufende Atomaufsicht nicht richtig gemacht hat, dann muss das natürlich schon irgendwann mal Konsequenzen haben. Aber das will ich erst mal im Detail sehen. Tatsächlich geht es um die Aufsichtskultur. Die wird bestimmt von der Mentalität des Betreibers selber – Vattenfall –, und die wird bestimmt von der Art, wie das zuständige Ministerium sozusagen in der Alltagspraxis ein Atomkraftwerk prüft.

    Beides wird jetzt untersucht werden müssen und dann muss man die Konsequenzen ziehen. Dass da am Schluss vielleicht Rücktritte stehen, kann man nicht ausschließen, aber ich bin immer ein Anhänger davon, dass man den ersten und den zweiten Schritt macht und dann den dritten. Die Kollegen in Schleswig-Holstein sind natürlich näher dran als ich in Berlin und haben schon mehr Erfahrung mit der zuständigen Sozialministerin, aber mir geht es jetzt erst mal um etwas anderes.

    Mir geht es um die Frage, ob Vattenfall eigentlich noch ein zuverlässiger Betreiber etwa des Atomkraftwerkes Krümmel oder auch Brunsbüttel ist. Und zu dieser Zuverlässigkeit gehört ja vor allem, dass man keine Vertuschung praktiziert, wenn etwas passiert ist, sondern alles klar offen legt und nicht diese Arroganz hat, die die offensichtlich an den Tag gelegt haben.

    Adler: Nun scheint es aber umgekehrt auch nicht so einfach zu sein, eben diese Mängel oder diese Ignoranz, vielleicht auch unterlassenen Leistungen des Betreibers so schnell zu ahnden, zu bestrafen, wie man das vielleicht gerne möchte – Stichwort Entzug der Lizenz. Muss das Instrumentarium sozusagen ein bisschen geschärft werden, also dass man nicht nur die Folterwerkzeuge zeigt, sondern sie im Zweifel auch anwenden kann?

    Kuhn: Nein, das kann man alles anwenden. Aber man muss jetzt einfach mal praktisch vorgehen. Solange die Zuverlässigkeit nicht bewiesen ist, können die Kraftwerke nicht mehr laufen. Das wäre mal das Erste. Und dann das genau prüfen und zu einer Entscheidung kommen. Wir finden, dass die nicht zuverlässig sind. Das ist eine politische Meinung, die Bündnis 90/Die Grünen äußert, und das müssen jetzt die Zuständigen – wir sind ja da nicht in der Regierung, und auch in Berlin nicht – genau prüfen.

    Sie dürfen nur eines nicht machen, sie dürfen jetzt nicht sozusagen drauf sitzen, das prüfen wir jetzt ein Jährchen, bis sich die Aufregung wieder gelegt hat, und dann stellen wir fest, dass bei einigen Mängeln doch alles schön in Ordnung ist. Also, man muss es zeitnah prüfen, die Instrumentarien sind da, aber wenn wir merken, dass die da auf Zeit spielen, so nach dem Muster, nach dem Sommer ist wieder ein anderes Thema in den Medien, dann ist es nicht in Ordnung.

    Sie müssen ja sehen, über was wir reden. Wir reden über die Frage, ob die Atomkraftwerke, die noch in Deutschland stehen, ob die nach dem Stand der Technik auch richtig kontrolliert werden und ob es eine scharfe Aufsichtskultur gibt oder nicht. Wir haben den Eindruck, dass Vattenfall das zu lasch praktiziert hat.

    Adler: Es hat sich in den vergangenen Jahren gezeigt, dass auch der Verbraucher eine Möglichkeit hat, Druck auf die ja fast übermächtig erscheinenden Stromkonzerne auszuüben. Würden Sie auch so weit gehen wie Ihre Kollegin, die Fraktionschefin Renate Künast, die eben sagt, der Verbraucher soll mit Boykott von Vattenfall reagieren.

    Kuhn: Also, niemand ist gezwungen, den Strom von Vattenfall zu nehmen. Wir haben einen freien Markt, und ich gehe davon aus, das kann man in Berlin übrigens sehen, dass in der Kombination mit den Tariferhöhungen und der unverschämten vertuschenden Begründung, die Vattenfall da praktiziert hat, plus die Unzuverlässigkeit im Atomgeschäft, sich jetzt viele fragen werden, ob sie da noch weiter Kunde sein wollen.

    Ich selber habe das auch gemacht vor einem halben Jahr und bin zu einem Ökostromanbieter aus dem Schwarzwald gegangen. Und natürlich, das ist der Sinn von Marktwirtschaft – jetzt formuliere ich es mal allgemein - unethisches Verhalten von Wirtschaft auch zu sanktionieren durch die Verbraucherentscheidung. Das wird, glaube ich, in großer Zahl praktiziert werden.

    Adler: In dieser Woche ist eine Idee hoch gekommen, die war allerdings auch genau so schnell tot, wie sie hoch gekommen war, nämlich der Klima-Cent, also ein Aufschlag auf Stromverbrauch, auf Gasverbrauch, den angeblich das Bundesumweltministerium beziehungsweise die Große Koalition in den Schubladen hat. Der Rückzug kam sehr, sehr schnell. Ist das ein Zeichen dafür, dass möglicherweise die Große Koalition feiger ist als Rot-Grün, diese Auseinandersetzung für Energiepolitik, für Klimaschutz eben nicht sucht und nicht führt?

    Kuhn: Ich will mal als Botschaft klar sagen, wenn wir die ökologische Modernisierung und den Kampf gegen die Klimazerstörung erfolgreich machen wollen, dann müssen wir investieren. Und dieses Investieren ist nicht nur eine Kostenbelastung, sondern es wird sich lohnen. Denn wer da zuerst weit geht im Klimaschutz, der wird viel Geld verdienen mit modernen Technologien. Da sind wir übrigens in einem Wettlauf mit den Amerikanern. Ich würde schon der Arbeitsplätze wegen sagen, man muss es tun, und natürlich der Umwelt wegen sowieso.

    Jetzt kommt aber der wichtige Punkt: Wir haben ja viele Instrumente, die auch noch Mängel haben. Die Ökosteuer: Da gibt es zu viele Ausnahmen für energieintensive Betriebe. Die Emissionszertifikate: Da wird nur ein kleiner Teil versteigert, und die Braun- und Steinkohle haben einen Extra-Bonus. Dann haben wir bei den Autos noch nicht die Verbrauchsobergrenzen. Und das Erneuerbare-Energien-Gesetz, aus dem die erneuerbaren Energien gefördert werden, muss auch noch verändert werden, zum Beispiel, dass die Windkraft auf dem Meer bessere Chancen hat.

    Und ich bin dafür, dass man die Instrumente in Deutschland, das ist mein Vorschlag, in der Summe diskutiert. Wenn wir dann noch einen Klima-Cent brauchen, weil wir eine Investitionslücke schließen müssen, dann werden die Leute das einsehen. Aber sie werden eines nicht mitmachen: jede Woche eine andere Instrumentendebatte, sondern die Gesamtheit muss dazu führen – jetzt sage ich es marktwirtschaftlich –, dass die Preise die ökologische Wahrheit sagen und dass man systematisch die Investitionen in eine bessere Energiezukunft dann auch finanzieren kann.

    Adler: Das heißt, Fritz Kuhn von den Grünen wird nicht den Kampf für die Große Koalition führen um den Klima-Cent?

    Kuhn: Nein, die sollen mal das Gesamtkonzept auf den Tisch legen. Dieses Klein-Klein führt auch zu Überdruss bei der Bevölkerung.

    Adler: Franz Müntefering, der Vizekanzler, hat gesagt: Opposition ist Mist. Wie lange werden die Grünen noch Mist gabeln müssen, um wieder in Regierungsverantwortung zu kommen?

    Kuhn: Ich musste da, wie er das gesagt hat, immer schon lachen. Vielleicht hat er damit gemeint, die SPD würde die Opposition nicht aushalten. Aber ich sehe das nicht als Mist, denn von Mist verstehen wir Grünen ja viel über die organische Schiene. Und ich sage, Opposition, wenn man es richtig macht, ist Dung für künftiges Regieren, aus dem sie also Energie und Kraft schöpfen können. Aber sie müssen es auch richtig machen. Wir versuchen zum Beispiel nicht einfach nur nein zu sagen, wenn die Regierung ja sagt, sondern wir versuchen immer, uns genau anzuschauen, um was es geht und eine Art konstruktive Opposition zu machen.

    Manchmal hat ja auch die Regierung recht, das gibt es ja gar nicht, dass die immer in allem falsch liegen. Dann sagen wir das auch. Aber oft liegen sie falsch, und dann stellen wir unsere Alternative vor. Und wir verstehen Opposition so, dass wir uns halt vorbereiten, auch mit neuen Konzepten, wenn die nächste Bundestagswahl ist, dann wieder regieren zu können.

    Adler: Fritz Kuhn, Sie haben sich als Oppositionspolitiker ein bisschen mehr die Außenpolitik vorgeknöpft. Es wird neben den Afghanistan-Mandaten am 12. September die Abstimmung zum Libanon-Einsatz geben. Wird diese Abstimmung durchgehen?

    Kuhn: Ich glaube schon, dass die durchgehen wird. Aber das UNIFIL-Mandat, von den Vereinten Nationen beauftragt, hat ein Ziel erreicht, nämlich die Kriegsparteien – vor einem Jahr hatten wir ja Krieg dort – auseinander zu trennen, so dass der Krieg beendet wurde. Aber es gibt viele Punkte, die nicht gelöst sind. Und die sind mir wichtig. Der Staat Libanon ist extrem destabilisiert. Der ist in einer Art inneren Blockade zwischen den verschiedenen rivalisierenden Gruppen.

    Adler: Die Hisbollah allerdings, die fühlt sich als Sieger. Nun gibt es Stimmen, auch in Ihrer Partei, Jürgen Trittin zum Beispiel, die sagen, dass man mit der Hisbollah unbedingt reden muss. Muss man?

    Kuhn: Also, ich bin da sehr skeptisch. Natürlich, das Reden ist nicht das Problem. Es macht Sinn, etwa mit Parlamentsabgeordneten auch Gespräche zu führen. Aber man darf nicht vergessen, dass Hisbollah jetzt nicht zur friedliebenden Regionalmacht geworden ist. Es gibt noch immer keine Aufklärung über die Israelis, die sie gefangen haben. Sie verhalten sich konstruktiv auf der Ebene der lokalen Bürgermeister im Süden des Libanons.

    Aber sie sind natürlich schon eine Organisation, die wesentlich mit gesteuert auch aus dem Iran ein hohes Potential auch für terroristische Aktivitäten hat. Und deswegen muss man die Ambivalenz betonen, die die Hisbollah hat. Natürlich muss man über Jahrzehnte versuchen, solche Kräfte in den libanesischen Staat einzubinden, aber man muss dabei wissen – da habe ich auch eine Differenz mit meinem Kollegen Jürgen Trittin –, dass die Hisbollah jetzt nicht plötzlich zu Schafen geworden sind, sondern dass in vielen Schafspelzen eben auch Wölfe stecken. Und diese Ambivalenz muss man halt in den Gesprächen auch betrachten.

    Adler: Herr Kuhn, ich danke Ihnen für das Gespräch.