Dienstag, 16. April 2024

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Kult-Komödie auf der Bühne

Man hat sich gewaschen, rasiert und angezogen ("Eins, zwei, drei!", hetzt die Frau), man ist ins Auto eingestiegen, hat drei rote Ampeln überfahren, ist aus dem Auto ausgestiegen ("Eins, zwei, drei!" stachelt man sich an), man ist die Treppe zum Theater hoch gerannt, hat seine Karte abgeholt, ist ins Foyer gestürzt und gegen die Saaltür geprallt. Wie? Schon verschlossen? Nein? Uff! "Eins, zwei, drei", sagt die Platzanweiserin, "da lang, auf die Bühne!"

Von Florian Felix Weyh | 18.03.2004
    Ein Kritiker geht nicht auf die Bühne, nein, ein Kritiker geht nicht auf die Bühne! "Ist nicht so schlimm", sagt die Platzanweiserin, "Sie sollen da nur sitzen." Sie sagt nicht "Sitzen machen!", was der passendere Ausdruck wäre, verriete er doch intime Kenntnis der filmischen Stückvorlage. Ein Kritiker sitzt auch nicht auf der Bühne, aber da es außer ihm zweihundert andere Leute tun, besteht er nicht auf Sonderbehandlung. Allerdings weiß er, dass ein Theatergesetz auch in diesem Fall nicht seine Gültigkeit einbüßt: "Ihr da oben, wir da unten." Soll heißen: Die auf der Bühne müssen etwas tun, die vor der Bühne warten darauf. Schnell rekapituliert, was es sein kann. Tanzen? Geht nicht, alles voll gestellt mit Stühlen. Reden schwingen? Wäre möglich, aber wenn’s zweihundert gleichzeitig tun, endet es im schieren Parlamentarismus. Klatschen? Sicher, aber erst zum Schluss, sonst gehen die im Parkett womöglich gleich nach Hause. Lachen! Ja, das muss es sein. Lachen ist die Aufgabe.
    Man gibt "Eins, zwei, drei", von Billy Wilder. Da Hollywood bekanntlich geldgeil ist, heißt es auf dem Programmzettel vorsichtshalber, "nach Ferenc Molnár", obwohl man Billy Wilder gibt – und nur Billy Wilder! –, aber das ist letztlich auch wahr, denn Wilders Filmkomödie war ebenfalls nach Molnár, und die Adaption der Adaption bleibt eine Adaption des Originals. Kein ganz unwichtiges Detail, denn wer den Film nicht kennt, braucht diese Theaterproduktion erst gar nicht anzusehen, er würde nichts verstehen. Von der schnellen und sorgsam getimten Klippklapp-Dramaturgie des Films ist auf der Bühne nur noch Klippklapp übrig geblieben, schnell ja, sorgsam nein. Die Geschichte des Coca-Cola-Managers MacNamara, der im Kalten Krieg Geschäfte mit den Russen machen will, dann die Tochter seines Vorsetzten aufgehalst bekommt und ihren heimlich angeheirateten Kommunistengatten Otto Ludwig Piffl zum Musterkapitalisten umerzieht, bleibt aus sich selbst heraus unverständlich und spult sich als Insiderstoff im Zuschauerraum des Berliner Hebbeltheaters vor den Augen des Publikums ab. Das hat, wir erinnern uns, gemäß Genfer Theaterkonvention, eine Aufgabe zugewiesen bekommen: Lacht doch mal! Hallo! Warum lacht ihr nicht?

    Weil es nichts zu lachen gibt. Deswegen tun es die Darsteller lieber gleich selbst. Etwa Andreja Schneider in der Doppelrolle Gattin und Geliebte MacNamaras (mal braune, mal blonde Perücke), die gleich mehrfach von heftigen Zwerchfellentladungen durchgeschüttelt wird. Fröhlich anzusehen, aber irgendwie nicht lachmuskelaktivierend. Die dem Film abgeschauten Charakterstudien der russischen Politfunktionäre durch Alexander Hörbe und Matthias Hörnke sind hübsch anzusehen und würden bei einem Imitationswettbewerb die Note Zweiplus erhalten, ebenso die etwas verkniffene Hans-Lothar-Persiflage Kurt Krömers, der den hackenschlagenden Adjutanten Schlemmer gibt. Halbregisseur und Volldarsteller Matthias Matschke (er spielt einen mindestens zwanzig Jahre verjüngten MacNamara) agiert als kreischender, hüpfender Hampelmann und wäre bei Billy Wilder sofort vor die Tür gesetzt worden. Dieses hyperaktive Gehoppse und Gezucke hätte keine Kamera bändigen können. Außerdem ist er – ganz Zögling der Berliner Volksbühne – zu unpräzise und zu laut. Zu laut sind sie alle, zu unpräzise die allermeisten. Weil aber Komik dieser Art zu achtzig Prozent aus Präzision besteht und zu zwanzig Prozent aus Charme, implodiert der Abend nach wenigen Minuten in tumber Haudrauf-Manier, denn Charme ist dieser jungen Turnermannschaft ein Fremdwort. Das wunderbare Billy-Wilder-Bonmot von Coca-Cola als wahrem Gleichmacher, weil auch Reiche keine bessere Qualität als Arme erhielten, hat in dieser Kulisse keine Chance. Es verpufft wie die meisten Wortwitze der Originalvorlage. Wortwitze kann man vertonen, aber nicht verturnen.

    Man hat müde geklatscht, ist aufgestanden und gegangen. Nicht ein einziges herausplatzendes Lachen über 110 Minuten. Sorry! Dabei aber geweint beim Gedanken daran, dass übermorgen dieser Flop auf 3-Sat gesendet wird, es dort mithin Verantwortliche geben muss, die blind Produktionen einkaufen, von denen sie nicht wissen, was daraus wird, obwohl sie es sich denken könnten. Filmdrehbücher funktionieren im Theater nämlich nur, wenn sie als Film nicht funktionieren. Und das kann man "Eins, zwei, drei" kaum nachsagen.