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Kultrockband Mashrou Leila
Homosexualität ist kein Tabu

Schwule, Transgender, Lesben - darüber in Liedtexten zu schreiben ist hierzulande nichts Besonders. Ganz anders ist das aber in arabischen Ländern, wo Homosexualität schlicht verboten ist oder als "gegen die Natur" geahndet wird. Die libanesische Kultrockband "Mashrou' Leila" geht offen mit dem Thema um.

Von Camilla Hildebrandt | 23.05.2016
    Ausverkauftes Konzert der libanesischen Kultband Mashrou' Leila
    Ausverkauftes Konzert der libanesischen Kultband Mashrou' Leila (Mashrou' Leila)
    "Ich komme zu dir zurück
    Knie nieder, obwohl du mich erwürgst
    Ich vergebe dir, gehorche, obwohl du mich versengst
    Sag mir, dass er dich befriedigt, so wie ich es einst tat
    Wenn seine Lippen dorthin gehen wo meine waren. Hast du die meinen genossen?"
    Mashou' Leila kümmert sich nicht um Artikel 534 des libanesischen Strafgesetzbuches. Wir haben schon immer das besungen, was wir wollten, sagen die fünf jungen Männer aus Beirut. Homosexualität, Gewalt gegen Frauen, korrupte Politiker, Terrorismus sind Themen, die selbstverständlich behandelt werden.
    "Ehrlich gesagt sollte es nicht als etwas Außergewöhnliches angesehen werden. Für uns sind das Themen, die schon länger als wir am Leben sind diskutiert werden in der Kunst. Und die Tatsache, dass sie nicht in der arabischen Musik diskutiert werden ist sehr seltsam. Aber dass wir darüber reden, macht uns deswegen noch lange nicht außergewöhnlich."
    Sagt Gitarrist Firas Abou Fahbar beinahe schon bescheiden. Aber das ist keine Masche sondern Überzeugung. Mashrou Leila, "nächtliches Projekt", ist 2008 nach stundenlangen Jamsessions entstanden. Heute sind sie Kult. Vor allem wegen der Texte, die für viele junge Araber wegweisend sind. Die Konzerte weltweit sind notorisch ausverkauft, auch das erste in Deutschland, in Berlin, Anfang Mai. Nach einem Post auf Facebook war es innerhalb von zwei Tagen ausgebucht und es musste ein Zusatzkonzert her. Das Publikum kreischte frenetisch und gut die Hälfte sang lautstark mit.
    "Tonight is a really big deal for us, we really wanted to play in Berlin for such a long time. And the next song is like a lebanes Romeo an Julliet"
    Eine Art kollektive, antiwestliche Identität
    Mashrou' Leila gilt als die arabische Band, die es gewagt hat über Sexualität zu singen, Schwule, Lesbische, Heterosexuelle. Ein absolutes Novum, kann man in einigen Artikeln lesen. Sänger Hamed Sinno sagt: stimmt aber nicht wirklich.
    "Diese Themen wurden von anderen arabischen Musikern schon im frühen 19. Jahrhundert besungen, aber sie werden in den Radios nicht gespielt. Sie wurden aus der Musikgeschichte gestrichen. Es entstand eine neue Darstellung der Kultur. Das begann in der postkolonialen Ära Mitte des 20. Jahrhunderts. Es wurde eine Art kollektive Identität erschaffen die gegen alles war, was aus dem Westen kam."
    "Sie brachten dir die Nationalhymne bei und bläuten dir ein, dass es gut ist zu leiden - für die Heimat.
    Sie lähmten dich intravenös, sagten deine Ruhigstellung sei gut - für die Heimat
    Lass uns ein bisschen tanzen - sagten sie."
    Homosexualität wurde im Libanon erst vor Kurzen von der offiziellen Liste der psychischen Krankheiten gestrichen, aber es ist nach wie vor eine mögliche kriminelle Straftat. Vor ein paar Jahren hat ein Richter beschlossen, man könne niemanden wegen seiner sexuellen Taten einsperren. Aber unter dem nächsten Präsidenten kann alles wieder ganz anders sein.
    "Warum wir trotzdem darüber singen? Es wäre viel schwieriger unseren Mund zu halten und nichts zu sagen."
    Politisches und persönliches Album
    Die paar großen Plattenlabels bauen vor allem Musiker auf, welche die vermeintliche nationale Identität hochhalten, den ganzen Märchen-Bullshit, sagt Hamed. Deswegen haben sie ihr drittes Album "Raasuk" - Tanzen - per Crowdfunding finanziert und das Aktuelle "Ibn El Leil" - Der Sohn der Nacht - unter ihrem eigenen Namen rausgebracht. Es ist wie alle vier sehr politisch, aber es geht auch um das Feiern, eine ihrer liebsten Beschäftigungen, um männliche Aggressivität und um den Tod von Hameds Vater. Ein sehr persönliches Album. Der Song "Ikarus" erzählt von den letzten Stunden im Krankenhaus.
    "Mein Vater liebte tanzen, er tanze im Wohnzimmer zu Techno.
    In 'Ikarus' geht es um die vielen Maschinen dort, die alle irgendeinen Sound machen. Für mich war das Musik, und im Lied tanzt er dazu. Er hat immer alles gemacht was er wollte, aber er kam nicht damit klar, dass das nun nicht mehr möglich war."
    Übrigens - Songs über Sex, auch unter Männern, gab es eigentlich schon in den alten Beduinen-Songs, fügt Hamed noch hinzu.
    "Es gibt zum Beispiel diesen Song von einer Frau, da heißt es: Dieser Typ hat die Hand auf mein Kleid gelegt, woraufhin ich ihn einen Idioten nannte und ihm sagte, er solle die Hand doch unter das Kleid legen und lernen, was es da zu tun gebe."
    Von wann genau dieses Lied sei? Keine Ahnung sagen alle fünf Mitglieder von Mashrou' Leila. Wahrscheinlich ist er dem gründlichen Kultur-Archivierungsprozess der Regierungen zum Opfer gefallen.