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Kultur als Dialog verstanden

Der 1878 geborene Martin Buber war einer der wichtigsten deutsch-jüdischen Denker seiner Zeit. Eine neu konzipierte Werkausgabe, die von der Universität Düsseldorf und der Israel Academy of Sciences and Humanities erarbeitet wird, will ihn als Vordenker seiner Zeit ebenso wie als einen heutigen Philosophen wiederentdecken.

Von Dina Netz | 21.03.2012
    "Martin Buber war ein außerordentlich produktiver Autor. Er hat sehr viel geschrieben über sehr viele verschiedene Gebiete in sehr viel verschiedenen Publikationsorganen, in kleinsten Zeitungen, Zeitschriften und dann aber auch wieder sehr viele Bücher, die dann wiederum er in verschiedenen Fassungen und Auflagen vorgelegt hat, sodass ein ganz breites Spektrum von Werken und Texten da ist, das nie gesammelt worden ist."

    Und nun wird es gesammelt und ediert, unter anderem von dem emeritierten Düsseldorfer Germanistik-Professor Bernd Witte als Herausgeber. Im Auftrag der Düsseldorfer Heinrich-Heine-Universität und der Jerusalemer Israel Academy of Sciences and Humanities edieren Witte und sein israelischer Kollege Paul Mendes-Flohr eine Martin-Buber-Werkausgabe, die auf 21 Bände angelegt ist. Eigentlich erstaunlich, dass das nötig ist, das Werk des bedeutenden Denkers Buber bislang weitgehend brachliegt. Bernd Witte erklärt sich das zum einen eben mit dem ungeheuer großen und verstreuten Werk. Und zum anderen damit, dass das Interesse an deutsch-jüdischen Themen heute nicht mehr sehr ausgeprägt ist:

    "Gershom Sholem hat ja in einem Essay davon gesprochen, dass die deutsch-jüdische Symbiose ein grundlegendes Missverständnis und eine Katastrophe gewesen ist. Er hat damit ja auch recht gehabt. Das wirkt sich eben auch darauf aus, dass diese Autoren, die sehr deutlich die jüdische Seite betont haben, wie Buber das getan hat, mehr oder weniger auch im deutschsprachigen Kontext nicht mehr präsent sind. Während andere Autoren, die auch deutsch-jüdische Wurzeln haben, aber sich ganz in die säkulare Kultur begeben haben wie Walter Benjamin zum Beispiel, natürlich weiterhin Konjunktur haben."

    Dabei gäbe es eine ganze Reihe Gründe, warum Martin Buber auch heute noch Konjunktur haben könnte. Buber war, nachdem er eine Zeit lang dem politischen Zionismus nahestand, ein Verfechter eines "Kulturzionismus", der darauf abzielte, dass die geistige Erneuerung des Judentums Vorrang habe vor der Gründung eines eigenen Staates. Buber hat in seiner stark am hebräischen Urtext orientierten Bibelübersetzung die poetische Kraft der Heiligen Schrift herauszuarbeiten versucht. Außerdem ist Buber ein wichtiger Vertreter der Dialogphilosophie; in seinem Buch "Ich und Du" begründet er das Wesen des Menschen auf dem Dialog. Und von da aus ist es nur ein kleiner Schritt, Martin Buber auch in den Diskurs über den Kampf der Kulturen einzuspannen. Bernd Witte:

    "Er hat ein Buch veröffentlicht, das heißt: 'Ein Land und zwei Völker'. Und da geht er eben darauf ein, dass die wahre Kultur nur entstehen kann aus dem Dialog zwischen verschiedenen Positionen. Und er hat das konkret angewandt auf die Palästinenser und die Juden, noch bevor also der jüdische Staat gegründet wurde. Er war der Meinung, man solle da zwar einwandern, aber wenn da schon ein Staat gegründet werden sollte, in Nachfolge des Osmanischen Reiches und der britischen Kolonialherrschaft dort, dann sollte das ein Staat sein, in dem Palästinenser und Juden gleichberechtigt nebeneinander leben und wohnen könnten. Und aus diesem Dialog wäre doch sehr viel zu gewinnen. Und man kann das natürlich auf die generelle Auffassung Bubers über das, was Kultur ist, übertragen. Für ihn sind alle Kulturen eigentlich Dialoge unter verschiedensten Positionen."

    Buber selbst hat für seine Arbeiten auch nordische Mythen oder indische Mystiker herangezogen. Martin Buber, ein Autor, der also als Vordenker seiner Zeit ebenso wie als ganz und gar heutiger Philosoph wiederzuentdecken ist.

    Der Deutschen Forschungsgemeinschaft war das ein Anliegen, sie übernahm die Finanzierung der Werkausgabe, die im Gütersloher Verlagshaus erscheint. Allerdings zog sich die DFG nach sechs Jahren zurück, denn die einzelnen Bände erschienen nicht zügig genug. Außerdem war die wissenschaftliche Aufbereitung der Texte nicht zufriedenstellend, der Anmerkungsapparat zum Beispiel unübersichtlich, die Einleitungen der Bandherausgeber zum Teil ausufernd. Die Heinrich-Heine-Universität in Düsseldorf, die traditionell eng mit israelischen Universitäten zusammenarbeitet, und das Land Nordrhein-Westfalen sprangen als Geldgeber ein; seit April 2010 ist die Arbeitsstelle Martin-Buber-Werkausgabe an der Philosophischen Fakultät der Düsseldorfer Uni angesiedelt. Bernd Witte, Editionsfachmann, der sich viel mit deutsch-jüdischer Tradition beschäftigt hat, kam als Herausgeber für den scheidenden Judaisten Peter Schäfer aus Princeton dazu. Und die Editionskriterien wurden unter Berücksichtigung der Kritik der Deutschen Forschungsgemeinschaft neu definiert:

    "Die neuen Bände sollen kürzere Einleitungen haben, sie haben einen klar getrennten Kommentarteil, der wiederum nach verschiedenen Kategorien aufgeteilt ist: zunächst eine kurze Einleitung zu dem jeweiligen Text über Entstehung und Rezeption dieses Textes. Dann die verschiedenen Text-Zeugen, also die verschiedenen Drucke, Manuskripte usw., die es gibt. Und dann einen kritischen Apparat, in dem die Abweichungen der verschiedenen Drucke von dem Text, wie er vorn als Lesetext vorliegt, nachgezeichnet werden. Und schließlich ein Teil Wort- und Sacherläuterungen, worin wir nachweisen, was Buber da zitiert, wenn er Personen benennt oder mythische Figuren - das wird erläutert."

    Die Einleitungen werden vom Herausgeber des jeweiligen Bandes geschrieben, der auf dem Fachgebiet des Bandes Spezialist ist. Die Entscheidung für Einzelbände nach Sachgebieten erweist sich allerdings als schwierig, sagt Witte:

    "Gerade bei Buber, wo alles immer in einem ist - der spricht immer über das Judentum und über Christentum und Chassidismus und Politik und Philosophie usw. Deswegen ist es sehr schwierig, diese Zuordnung zu machen."

    Inzwischen ist der erste Band, der die neuen Editionskriterien berücksichtigt, die "Schriften zum Christentum", erschienen. Ein weiterer Band zum Thema "Mythos und Mystik" ist im Druck. Die nächsten Bände sollen sich "Kunst und Literatur", "Bibelübersetzung" und "Schriften zur chinesischen Philosophie" widmen und bis Mitte 2012 vorliegen.

    Die Martin-Buber-Werkausgabe entsteht in deutsch-israelischer Zusammenarbeit; die israelische Seite gibt durch den Buber-Experten Paul Mendes-Flohr und einige Herausgeber von Einzelbänden Wissen und begleitet die Arbeit wohlwollend.

    Das Geld für die zwei Redakteursstellen jedoch muss allein in Deutschland aufgebracht werden. Die Martin-Buber-Werkausgabe soll 2015 fertig sein, 21 Bände umfassen, die Universitäten in Düsseldorf und Jerusalem schmücken und mit der Veröffentlichung von 1500 Texten Martin Bubers eine geistesgeschichtliche Lücke schließen.

    Bibliografie

    Martin Buber: Schriften zum Christentum, hrsg. von Karl-Josef Kuschel
    (Martin-Buber-Werkausgabe, Bd. 9. Im Auftrag der Philosophischen Fakultät der Heinrich Heine Universität Düsseldorf und der Israel Academy of Sciences and Humanities hrsg. von Paul Mendes-Flohr, Peter Schäfer und Bernd Witte)
    Gütersloher Verlagshaus
    508 Seiten, 128 Euro, ISBN 978-3579026855