Freitag, 29. März 2024

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Kultur auf der re:publica 2017
Ideeninkubator und Kunstraum

Liebesbeziehungen mit Computern, der menschliche Fotograf als Auslaufmodell, Vorurteile der Algorithmen - auf der re:publica entwerfen Künstler mögliche Zukunftsszenarien für ein Leben im postdigitalen Zeitalter. Und sie fragen: Droht ein massiver Verlust elektronischer Gegenwartskunst?

Von Matthias Finger | 08.05.2017
    Eine Menschenmenge beim Vortrag "Curating Science Fiction Art" auf der re:publica 17. (Bild: Gregor Fischer)
    Love out loud - die re:publica 17 (Gregor Fischer)
    Einander unbekannte Palästinenser und Israelis werden zusammengeschaltet. Übers Internet. In einem Kunstprojekt. Und: Sie müssen sich unterhalten. LEDs leuchten hinter runden Plexiglasscheiben und erzeugen den Eindruck eines riesigen Rades. Eine "digitale Performancekünstlerin" spürt menschlichen Liebesbeziehungen mit Computern nach. Schließlich verbringen wir mit ihnen mehr Zeit als mit unseren Partnern.
    "Ein Zeitgeistdokument der digitalen Gesellschaft"
    Die re:publica will nicht nur Ort der Debatte sein, sondern Platz für künstlerische Interaktion, direkt und live. Die wilde Sammlung verschiedenster Netzthemen bietet sich geradezu an. Ein "Zeitgeistdokument der digitalen Gesellschaft" eben. So nennen die Gründer ihre Veranstaltung. Markus Beckedahl ist einer von ihnen:
    "Auf der re:publica präsentieren wir Künstler, aber auch viele Projekte, die uns als Gesellschaft voranbringen - durch künstlerische Intervention, beziehungsweise dadurch, dass auf einmal neue Medienformen zum Beispiel uns ermöglichen Kultur anders wahrzunehmen, beziehungsweise, Kultur digital weiter zu entwickeln."
    "Virtual Reality ist nicht per se Kunst"
    Das labore:tory ist seit letztem Jahr der Spielplatz der re:publica - als Schnittstelle zwischen Kultur, Technik, Gesellschaft. Vier Etagen in einem alten Kühlhaus - für Ausstellungen, Performances, Diskussionen. Schwerpunkt in diesem Jahr ist natürlich: Virtuelle Realität. Mit klotzigen Datenbrillen schauen wir uns demnächst in dreidimensionalen Welten um, die am Rechner geschaffen wurden. Tina Sauerländer ist eine der weltweit ersten Kuratorinnen des neuen Genres - und spricht auf der re:publica.
    "Virtual Reality per se ist nicht Kunst, aber Virtual Reality ist, wenn man es so will, ein neues Medium, so wie Film, Fotografie oder Video vorher. Und weil das seit letztem Jahr erschwinglich geworden ist finanziell, haben in dem Zuge auch die Künstler damit angefangen Virtual Reality für sich zu entdecken."
    Die Performancekünstlerin Li Alin lädt zu Einzelvorstellungen im virtuellen Raum. Betrachter nehmen Platz in einer Runde aus sieben sprechenden Klonen.
    "It's important to have good Stories before we go to sleep to inspire our nights and the days to come."
    Der fotografierende Mensch als Auslaufmodell
    Doch auf der re:publica werden auch dicke Bretter gebohrt - und beispielsweise kulturpolitische Weichenstellungen diskutiert. "Droht ein massiver Verlust elektronischer Gegenwartskunst, weil wir uns keine Gedanken über die Archivierung digitaler Kulturgüter machen?", fragt Markus Beckedahl.
    "Sind wir in 30 Jahren noch in der Lage, heutige Computerspiele zu benutzen? Ganz selbstverständlich, wie wir es gewohnt sind, gut erhaltene, hunderte Jahre alte Bücher in Museen und Bibliotheken zu haben? Beziehungsweise, was muss getan werden? "
    Mehr als 400 Vorträge werden auf der re:publica gehalten: Der Künstler Trevor Paglen sieht den fotografierenden Menschen bereits als Auslaufmodell. Schon heute machen vernetzte Maschinen die meisten Bilder - für andere vernetzte Maschinen, beispielsweise in der Verkehrsüberwachung. Oder in der Qualitätskontrolle großer Firmen. Der Berliner Medienkünstler Sebastian Schmieg untersucht Algorithmen und künstliche Intelligenz auf Vorurteile. Relevant für alle, die sich online bewerben - unter anderem - erklärt Kuratorin Katharina Meyer:
    "'Technologie ist neutral', ist einfach so ein Schlagwort. Es ist in der Realität aber meistens nicht so. - Wieso? - Weil Menschen die Technologie bauen und sozusagen alles, was man in seiner Persönlichkeit drin hat, in den Ingenieursprozess übertragen wird."
    Netzkunst, kreativer Aktionismus, "Immersive Arts": Auf der re:publica entwerfen Künstler mögliche Zukunftsszenarien für ein Leben im postdigitalen Zeitalter. Das Netz ist allgegenwärtig und nicht mehr wegzudenken - als Inspirationsquelle, künstlerisches Medium und gesellschaftsrelevantes Thema zugleich.