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Kultur in Gefahr II: Irak

In dem Stück "Das Bagdader Bad" hält der bekannte irakische Regisseur Jawad Al Asadi seiner Gesellschaft den Spiegel vor. Er versucht die Verstrickung des Einzelnen in die Machenschaften der Diktatur aufzuzeigen.

Von Mona Naggar | 21.08.2011
    "Alles dreckig hier! Die Besucher dieses Bads gehören wohl zu den schmutzigsten Menschen überhaupt!"

    sagt ein Mann, der nur mit einem Lendenschurz bekleidet ist. An den Füßen trägt er Holzschuhe. Ein zweiter Mann tritt hinzu. Auf der Bühne stehen eine Bank, ein Eimer und ein kleines Becken. Die Brüder Majid und Hamid treffen sich in einem heruntergekommenen öffentlichen Bad in Bagdad. Sie beginnen ein langes Gespräch über ihre Familien und darüber wie sie sich in den letzten Jahren durchgeschlagen haben.

    In dem Stück "Das Bagdader Bad" hält der bekannte irakische Regisseur Jawad Al Asadi seiner Gesellschaft den Spiegel vor. Er versucht die Verstrickung des Einzelnen in die Machenschaften der Diktatur (welcher? Geht es da nur um Saddam?) aufzuzeigen. Das Werk entstand nach der Rückkehr Al Asadis in seine Heimat nach vielen Jahren des Exils:

    "Dieses Theaterstück hat einen persönlichen Hintergrund. Zwei meiner Brüder arbeiteten als Taxifahrer. Beide sind der Politik zum Opfer gefallen. Einer ist vom früheren Regime hingerichtet worden. Der Andere ist nach dem Sturz Saddam Husseins von Milizen wegen seiner schiitischen Religionszugehörigkeit ermordet worden. Das Stück bringt beide an einem Ort zusammen, wo sie sich entkleiden, nicht nur körperlich, sondern auch seelisch, sich schonungslos alles an den Kopf werfen über die Gegenwart und die Vergangenheit."

    Majid erzählt, wie er sich mit den neuen Herren bestens arrangiert hat. Er führt seine zwielichtigen Geschäfte weiter. Hamid gesteht seinem älteren Bruder, dass er ein Mitarbeiter des Geheimdienstes von Saddam Hussein und an Erschießungen von Oppositionellen beteiligt war.
    Aber Vergangenheitsbewältigung und Kritik an der Gesellschaft sind im Irak von heute nicht erwünscht. "Das Bagdader Bad" kann im Zweitstromland nicht aufgeführt werden:

    "Kritik an der irakischen Identität? Ist nicht möglich, sonst wird einem vorgeworfen, man würde man die Geschichte oder die Würde des Landes in den Dreck ziehen. Es scheinen heilige Dinge zu sein, die nicht angetastet werden dürfen. Früher kam die Bedrohung aus einer Richtung, Jetzt sind es viele Seiten, die einen tödlichen Schuss abgeben könnten."

    Über dreißig Jahre herrschte die nationalistisch-arabische Baath-Partei mit Saddam Hussein an der Spitze über das Land. Das Regime verfolgte und ermordete Andersdenkende, führte zwei Kriege gegen die Nachbarländer mit Hunderttausenden von Toten und organisierte Massenmorde und Deportationen von Kurden und Schiiten. Millionen flohen ins Ausland. Aber die Versprechen von Demokratie und Freiheit, die die Armeen der USA und ihrer Verbündeten 2003 beim Einmarsch auf ihre Fahnen geschrieben hatten, erfüllten sich nicht. Der Irak versank in einen blutigen Bürgerkrieg. Amerikanische Truppen, die irakische Armee, radikal-islamistische Gruppierungen, ehemalige Anhänger des Regimes, sunnitische oder schiitische Milizen heißen die Kontrahenten. Anschläge, Entführungen und Einschüchterungen sind Alltag für die Menschen. Denkbar schlechte Bedingungen, um Debatten zu führen über die Beschaffenheit des früheren Regimes oder warum es sich so lange an der Macht halten konnte.

    Die Literaturwissenschaftlerin Fatima Al-Muhsin saß in der Zeit von Saddam Hussein im Gefängnis. Nach ihrer Freilassung ging sie ins Exil. Durch zahlreiche Besuche in den vergangenen Jahren versucht sie, die Entwicklung in ihrer alten Heimat zu verstehen:

    "Nach den langen Jahren der Unterdrückung und mit den Unruhen, die wir jetzt haben, ist das kulturelle und akademische Leben fast völlig lahmgelegt. Das ist ein Grund für die fehlenden Diskurse oder Studien über die Zeit der Baath-Herrschaft. Dann müssen wir uns vor Augen führen, dass die jetzige Gesellschaft eine Fortsetzung der Gesellschaft vor 2003 darstellt. In vielerlei Hinsicht erleben wir eine Kontinuität. Früher hatten wir eine totalitäre Partei, die alles kontrolliert hat. Nun haben wir mehrere totalitäre Parteien, islamistische Parteien, die religiöse Konflikte schüren. Auch bei den Vertretern der Macht gibt es eine Kontinuität. Viele haben ihre Loyalität für Saddam Hussein gegen die absolute Loyalität für ihre neuen Parteiführer eingetauscht."

    Ein Beispiel ist der Leiter der Kulturbehörde in Bagdad. Bekannt wurde er als Dichter, der Lobeshymnen auf Saddam Hussein verfasste. Nach dem Sturz des Regimes trat er einer islamistischen Partei bei und begann seinen Aufstieg:

    "Wer beherrscht zum Beispiel die Medien? Es ist sehr schwer für Leute, die außerhalb der herrschenden politischen Strömungen stehen, sich Gehör zu verschaffen. Auf dem Papier sind Presse- und Meinungsfreiheit zwar garantiert. Aber unabhängige Medien gibt es nicht. Intellektuelle missbrauchen ihre konfessionelle oder ethnische Zugehörigkeit, um Macht auszuüben und sich Vorteile zu verschaffen. Das ist doch eine Fortsetzung dessen, was wir schon erlebt haben! Die Zeit ist noch nicht reif, uns unserer Vergangenheit zu stellen."

    Im "Bagdader Bad" legen die Brüder Majid und Hamid ihren Streit bei. Sie einigen sich darauf, die Vergangenheit ruhen zu lassen:

    "Vergiss die Vergangenheit Hammudi! Lass uns das Beste aus der jetzigen Situation machen. Lass uns eine neue Seite aufschlagen, für unsere Familien, verstehst du!"