Kultur postkolonial (1/3)

Erbe und Gegenwart der Stadt Augsburg

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Zwei Menschen halten in Augsburg bei einer Kundgebung zur Umbenennung des Hotels "Drei Mohren" ein Banner mit der Aufschrift "Kein Platz für rassistische Sprache & Logos" zwischen sich, im Hintergrund weitere Personen und ein Brunnen.
Kundgebung zur Umbenennung des Hotels Drei Mohren © Deutschlandradio / Pia Masurczak
Von Pia Masurczak · 07.02.2020
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Seit 30 Jahren werden in Augsburg die "Afrikanischen Wochen" veranstaltet. Bringt so ein Festival mehr Verständnis füreinander oder zementiert es stereotype Vorstellungen? Unterwegs mit "Augsburg postkolonial" erfahren wir, wie eine Stadt und ihre Bewohner ihr Erbe aufarbeiten.
Die "Afrikanischen Wochen" haben viel zu bieten: Interessierte Besucherinnen und Besucher können sich bei Vorträgen über den Nachbarkontinent informieren, in Kochkursen eine neue Küche ausprobieren und aktuelle afrikanische Filme schauen. Seit dem Beginn der "Wochen" hat sich in der Stadt eine kleine Gemeinschaft gebildet, die möglichst viele Vorträge und Kurse mitnehmen will und ein großes Interesse an den unterschiedlichen afrikanischen Kulturen hat.
Dennoch gibt es auch Kritik an der Veranstaltungsreihe. Denn in den letzten Jahren hat sich neben der ehemaligen Dritte-Welt-Bewegung, aus deren Umfeld die "Wochen" entstanden sind, eine neue Perspektive auf den afrikanischen Kontinent entwickelt. Die postkolonialen und antirassistischen Bündnisse kritisieren, dass die deutsche Gesellschaft zu stereotyp auf Afrika blickt und zu wenig ihren eigenen Rassismus thematisiert. Deshalb hinterfragen Vereine wie "Augsburg postkolonial" auch die Auswirkungen der deutschen Kolonialgeschichte auf unser heutiges Afrikabild.
Interkulturelles Interesse und postkoloniale Kritik
Diese Entwicklungen gehen nicht spurlos an den Afrikanischen Wochen vorbei und so ist 2019 ein postkolonialer Stadtrundgang ebenso Teil des Programms wie eine Petitionsübergabe an das Hotel "Drei Mohren", das aufgefordert wird, den als rassistisch empfundenen Namen zu ändern. Julia Kabatas, die für die Organisation des Festivals zuständig ist, merkt auch eine Veränderung bei den Besucherinnen und Besuchern: "Ich habe das Gefühl, es bewegt sich schon insofern was, dass man merkt, es sind mehr Leute als noch vor 10 Jahren die sagen, ich verstehe, was ihr mit der Kritik meint. Man kann das nicht von heute auf morgen verändern, aber man muss irgendwo anfangen."
Doro Schröder freut sich auf der Probenbühne des Augsburger Staatstheaters darüber, dass so viele unterschiedliche Besucherinnen und Besucher gekommen sind. Der Abend beginnt mit einem Kennenlernspiel zwischen dem Publikum und den Schauspielern, das ohne Worte funktioniert. Dann wird ein kurzer Ausschnitt aus einer Koproduktion des Theaters mit dem Puppenspiel-Ensemble Ukwanda, aus Südafrika gezeigt: Das Stück thematisiert den Wassermangel in der Kapregion und den Umgang mit Wasser in Augsburg.
Szene aus "Der Ruf des Wassers" am Augsburger Staatstheater
Szene aus "Der Ruf des Wassers" am Augsburger Staatstheater © Fabian Schreyer
Hier treffen außerdem die südafrikanische Puppenspiel-Tradition und der deutsche Stadttheaterbetrieb aufeinander – das lockt nicht nur das ‚typische‘ Theaterpublikum an. Die Idee hinter dem Stück "Der Ruf des Wassers" ist sehr brisant, denn in Zeiten des Klimawandels stellt sich natürlich auch die Frage, wie sehr die Länder des globalen Südens von den Auswirkungen unserer Lebensweise betroffen sind.
Helden hinterfragen
Dass der Umgang mit kolonialen Spuren in Augsburg durchaus emotional aufgeladen ist, zeigt sich an der Debatte um das Steigenberger-Hotel "Drei Mohren". Die Augsburger Jugendgruppe von Amnesty International hatte bereits im Sommer eine Petition zur Umbenennung des Hotels gestartet. Bei der Kundgebung vor der Übergabe der gesammelten Unterschriften ruft ein älterer Mann immer wieder von der Seite rein und beschwert sich über die Forderungen der Jugendlichen. Der Hotelname sei Tradition, früher hätte sich darüber keiner aufgeregt.
Elly, eine der Aktivistinnen, ist von diesen wiederkehrenden Anfeindungen frustriert: "Das zeigt einfach, dass es noch kein Bewusstsein für die institutionelle Diskriminierung, die es jeden Tag gibt. Rassismus ist nicht nur, wenn Nazis mich körperlich angreifen, das kommt aus der Mitte der Gesellschaft."
Den Blick für die Allgegenwärtigkeit unserer kolonialen Vergangenheit wollen auch Philipp Bernhard, Johanna Zill und Claas Henschel wecken. Sie organisieren mehrmals im Jahr einen postkolonialen Stadtrundgang. Wem hier spontan keine historischen Daten oder Akteure einfallen, ist in bester Gesellschaft: Die deutschen Kriege in den afrikanischen Kolonien und die damit verbundene Ausbeutung sind nur selten Thema in der öffentlichen Debatte, zumal abseits der großen Zentren wie Berlin oder Hamburg. Bei der Stadtführung erfahren die Teilnehmer aber von den Verstrickungen der berühmten Kaufmannsfamilie Fugger in den Sklavenhandel.
Zwar haben sie sich wohl nicht direkt am Menschenhandel beteiligt, aber sie haben dieses lukrative Geschäft mit ihrem Geld unterstützt. Dem Historiker Henschel geht es vor allem um ein vollständiges Geschichtsbild, das auch die Brutalität und die Auswirkungen von Kolonialismus und Globalisierung miteinbezieht.
Den Blick auf die Gemeinsamkeiten lenken
"Wir müssen vorsichtig sein, mit unseren Heldenfiguren, weil die meisten historischen Helden auch immer eine dunkle Seite haben und das mindestens bekannt gemacht werden muss. Viele Leute denken, sobald man solche Themen anspricht, möchte man diese Personen diskreditieren, herabwürdigen und dem Vergessen anheim fallen lassen. Aber das ist es nicht, was wir vorhaben. Sondern es geht einfach darum, ein ganzheitliches Bild dieser Akteure zu gewinnen."
Im Gespräch mit der Literatur- und Kulturwissenschaftlerin Miriam Nandi geht es um die Frage, warum es vielen weißen Menschen schwer fällt, rassistische und postkoloniale Strukturen anzuerkennen. Nandi forscht an der Universität Freiburg mit dem Schwerpunkt "Postkoloniale Kritik". Sie weist darauf hin, dass Vorteile, die Menschen auf Grund struktureller Ungleichheiten haben, zunächst einmal offen gelegt werden müssen: "Das Problem ist bei Privilegien, dass wir sie nicht sehen, wenn wir sie haben. Dass wir sie aber sehr schnell sehen, wenn wir sie nicht haben."
Sie erklärt außerdem, dass es der postkolonialen Forschung gar nicht so sehr um die viel beschworene "Völkerverständigung" gehe. Mit Blick auf Migrationsbewegungen, die Menschen schon immer vollzogen haben, sagt sie: "Postkolonialismus interessiert sich nicht so sehr dafür ‚wie können wir den Anderen verstehen oder besser kennen lernen?‘, sondern versucht, Konzepte und Begriffe dafür zu entwickeln, dass wir vielleicht gar nicht so anders sind."