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Kulturaufstand in Berlin

An der Oranienburger Straße in Berlin-Mitte steht ein bunt bemaltes ehemaliges Kaufhaus und davor stehen Touristen aus aller Welt und staunen. Das ist das Tacheles, ein Haus, in dem Künstler arbeiten, ausstellen und feiern. Jetzt will die Eigentümerin HSH Nordbank zwecks Grundstücksverkaufs das Tacheles räumen lassen - Widerstad regt sich.

Von Christoph Richter | 23.01.2010
    Viele kennen es. Das Kunsthaus Tacheles, das bunt bemalte ehemalige Kaufhaus in der Oranienburger Straße in Berlin-Mitte, in der Nähe der Synagoge. Eine weltweite Touristenattraktion. Hässlich sagen die Einen, schön die Anderen. Es steht jedoch wie keine andere Institution für den Wandel der Berliner Mitte. Die Berliner Stadtsoziologin Ulrike Steglich nennt das Tacheles einen steinerner Zeitzeuge, das noch immer noch den Charme der Anfang 90er-Jahre versprüht, während drum herum alles schick saniert ist.

    "Als Erstes kommt die Subkultur, die Künstler und die kleinen netten Kneipen. Und dann kommen die Investoren. Das hat die Grundstückspreise zum Explodieren gebracht, die Mieten sind wahnsinnig gestiegen, ne sehr rasante Entwicklung. Mit einem sehr klassischen Verlauf, man kann es nicht anders sagen."

    Das bedeutet, wenn das Kunsthaus Tacheles geräumt und abgerissen wird, so Steglich weiter, wird das Viertel veröden. Sie warnt vor der Entwicklung, aus der Mitte Berlins ein Büroviertel,
    eine IKEA-Stadt zu machen.

    Der Hintergrund: Die Investorengruppe FUNDUS will auf dem Gelände an der Oranienburger Straße in Berlin Mitte ab 2011 Luxusappartments mit einer Investitionssumme von etwa 600 Millionen Euro bauen. Entstehen sollen die "Tacheles-Höfe", deren Mittelpunkt, ein zehnstöckiger Wohnturm sein wird, so der Fundus-Sprecher Johannes Beermann.

    "Die Neunutzung des Quartier am Tacheles ist eine Nutzung im Sinn des New Urbanism. Das bedeutet, dass in der Stadt wieder alle Lebensfunktionen - Wohnen, Arbeiten und Nutzen der Freizeit -daran orientiert sich das Quartier."

    Hilfloses Gestammel, nennt das der Tacheles-Vereinsvorstand Martin Reiter, weil es in seinen Augen nur um Gewinnmaximierung geht, dass mit der Lebenswirklichkeit nichts zu tun hat.

    "Es ist hier relativ unrealistisch zu glauben, dass man für 400 bis 600 Millionen Luxusbebauung hochstemmen könnte. Es gibt weder das Geschäftsumfeld, noch das Kreditumfeld, um solche Projekte realisieren zu können."

    Hauptgläubiger des Tacheles und des angrenzenden Geländes ist die HSH Nordbank, die mit 75 Millionen Euro beteiligt ist und deren Hauptgesellschafter mit 85 Prozent die Länder Hamburg und Schleswig-Holstein sind. Jetzt will die Bank das Tacheles räumen lassen. Martin Reiter ist empört, und weist darauf hin:

    "Dass hier eine verstaatlichte Bank, die mit Milliardenbeträgen gerettet wird, das diese Bank ein gemeinnütziges Kunsthaus räumen lässt. Das bedeutet de facto, die HSH Nordbank zerstört die kreative Mitte von Berlin. Das geht weit über das Tacheles hinaus. Und das ist für die Stadt eine Katastrophe."

    Denn mit dem Verkauf der Fläche, so Tacheles Vereinsvorstand Martin Reiter weiter, blieben die zwei Hektar auch in Zukunft eine Brache, das Tacheles als Besuchermagnet wäre geschlossen und die kreative Mitte Berlins nachhaltig zerstört.

    Doch die Künstler und Künstlerinnen, die das 1909 gebaute ehemalige Passagen-Kaufhaus in der Oranienburger Straße 1990 vor der Sprengung gerettet, das Viertel vor dem Abriss bewahrt haben, wollen sich wehren. Und kündigen Protestaktionen an. So denken sie an eine Besetzung, ähnlich wie es vor knapp zwei Monaten im Hamburger Gängeviertel geschehen ist. Und man plant einen Protest-Sternmarsch zum Roten Rathaus in Berlin, dem Amtssitz des Regierenden Bürgermeisters.

    Als Erstes hat man aber einen offenen Brand-Brief an die Haupteigentümer des HSH Nordbank, den Regierender Bürgermeister Hamburgs Ole von Beust, und den Ministerpräsidenten Schleswig-Holsteins Peter Harry Carstensen, geschickt. Und fordert den Erhalt des Tacheles, indem man unter anderen auf die stadtplanerischen Folgen einer Zwangsversteigerung des Kunsthauses aufmerksam macht.

    "Also die Kunst wird einfach mal wieder vertrieben, wie es so üblich es mit den zeitgenössischen Künstlern. Man macht es mehr oder weniger dem Boden gleich. Und wenn wir dann weg sind werden sich alle ergehen in einer Art bürgerliche Krokodilsträne, die dann heißt, ach das waren noch Zeiten. Man muss uns verzeihen, dass wir das dann doch jetzt thematisieren, und das wir das ganz vehement tun werden. Und die Bürgermeister und Ministerpräsidenten werden darauf antworten müssen."

    Als Erstes haben die Linke-Fraktion in der Hamburger Bürgerschaft, und die Grünen im Kieler Landtag reagiert, und den Senat wegen der drohenden Schließung des Berliner Kunsthauses Tacheles zum Handeln aufgefordert. Aber auch prominente Unterstützer wie der international renommierte Künstler Jonathan Meese setzen sich für den Erhalt des Tacheles ein. Demnächst sollen 70.000 Unterstützer-Unterschriften an die Landesregierungen in Kiel und Hamburg übergeben werden.

    In der Berliner Senatskanzlei für kulturelle Angelegenheiten sieht man nach Angaben des Pressesprechers Torsten Wöhlert, derzeit jedenfalls keinen Handlungsbedarf. Und macht unmissverständlich klar, dass man sich keinesfalls für den Erhalt des Künstlerhauses Tacheles einsetzen wird. Ganz anders als Klaus Wowereit, der regierende Bürgermeister Berlins, der das Kunsthaus Tacheles erhalten will.

    Die Zukunft scheint offen, und es drängt sich der Eindruck auf, als ob man sich auf der politischen Ebene nicht ganz eins ist, was mit dem Tacheles passieren soll. Vielleicht wiederholt sich Geschichte, und es passiert am Ende das Selbe wie im Fall des Hamburger Gängeviertels, und man kauft das Gelände zurück.