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Kulturboykott russischer Medien
"Man reagiert in der Ukraine über"

Russland stelle die ukrainische Identität in Frage. Dagegen wehrt sich die Ukraine "mit untauglichen Mitteln", kritisiert Russlandexperte Hans-Henning Schröder von der FU Berlin im DLF. Er hoffe "auf den gesunden Menschenverstand der ukrainischen Elite", um einen Boykott russischer Medien zu vermeiden.

Hans-Henning Schröder im Gespräch mit Beatrix Novy | 29.07.2014
    Ein Filmprojektor
    Vor allem russische Filme sollen in der Ukraine zensiert werden (dpa / picture alliance / Jens Wolf)
    Beatrix Novy: Und wir kommen zu einem anderen Konflikt, und auch da war es abzusehen. Der Konflikt mit Russland eskaliert auch jetzt in die ukrainische Kulturpolitik hinein. Bücher und Filme aus Russland sollen also in Zukunft eine Freigabe brauchen in der Ukraine, im Klartext: zensiert werden. Über eine Quote für den angeblich überbordenden Film- und Buchimport wird nachgedacht, bestimmte Filme sind überhaupt schon auf dem Index.
    In einer Meldung von heute wird die staatliche ukrainische Kinoagentur mit der Absicht zitiert, russische Filme künftig daraufhin zu prüfen, ob sie "der nationalen Gesetzgebung entsprechen". Professor Henning Schröder von der FU Berlin ist Redakteur der Zeitschriften "Russland-Analysen" und "Russian Analytical Digest". Er konnte uns am besten bei der Frage helfen, wie man das alles verstehen soll.
    "Eine Art Kulturkampf"
    Hans-Henning Schröder: Na ja, der Kontext ist natürlich eine Art Kulturkampf, der zwischen Russland und der Ukraine geführt wird, der auf der einen Seite mit einer massiven antiukrainischen Propaganda in den russischen Medien auf sich hat, und auf der anderen Seite die Ukraine, die versucht, sozusagen russische Medien, vor allem russisches Fernsehen auszuschließen. Und die haben nun offensichtlich entdeckt, dass man über Filme auch Propaganda machen kann.
    Novy: Und unterstellen das den Russen?
    Schröder: Unterstellen das den Russen und suchen sich natürlich zwei ausgesprochen blödsinnige Beispiele heraus, nämlich eine Verfilmung von der "Weißen Garde" von Bulgakow, also ein großartiges Buch, dass sich mit der Situation der Ukraine 1918 befasst, dem Bürgerkrieg, das mehrfach verfilmt worden ist, und die neueste Serie, die jetzt in Russland verfilmt worden ist, wird jetzt in der Ukraine verboten.
    "Bei der ukrainischen Filmagentur wird inzwischen überreagiert"
    Novy: Es geht in diesem Roman ja um diese Bürgerkriegswirren, wie Sie sagten, zwischen deutschen Besatzern, ukrainischen Nationalisten, Bolschewiken, und das alles aus der wehmütigen Perspektive einer Bürgerfamilie. Was ist nun daran politisch auszusetzen, was Bulgakow da beschrieben hat – oder wie es verfilmt worden ist, darum geht es ja.
    Schröder: Natürlich, das Buch war schon umstritten in der Sowjetunion, weil man natürlich ein völlig anderes Geschichtsbild gehabt hat als das offizielle sowjetische und auch zeigte sozusagen die positiven Seiten so einer Bürgerfamilie, die aber zerbricht unter dieser Revolution und den verschiedenen Gruppen. Und ich kann nicht erkennen, diese Serie ist übrigens auch im Internet, kann man sich anschauen, wenn man russisch kann – ich kann da eigentlich nicht erkennen, wo da das anti-ukrainische Element ist. Das ist ein Versuch, das Buch sehr genau zu verfilmen. Da kann ich nur davon ausgehen, dass bei Joskin Ukraine, also der ukrainischen Filmagentur, inzwischen überreagiert wird.
    Gegen ein Klein-Russland
    Novy: Man will ja auch gegen Bücher aus Russland vorgehen, und zwar gegen solche, ich zitiere jetzt noch mal, die "die Destabilisierung der Ukraine vorbereiten". Andererseits gibt es ein Qualitätsargument: Man will Drittklassiges aus Russland nicht haben. Und dann seien es ja auch so viele Bücher – worum geht es denn eigentlich? Ist es letztlich Protektionismus für den eigenen Buchmarkt?
    Schröder: Wenn Sie in Kiew oder auch selbst in Lwiw in einem Buchladen stehen, ist natürlich ein Großteil dieser Bücher von russischen Verlagen und ist auf Russisch. Das ist einfach Teil eines Landes, dessen Kultur zweisprachig ist, bei der einfach die Mehrheit der Bevölkerung beide Sprachen spricht und Ukrainisch im Osten in der Schule lernt und Russisch sowieso im Alltag spricht. Und das in einer Situation, wo ein Staat um seine eigene Identität ringt.
    Sie müssen ja auch sehen, dass im Moment in Russland – und manchmal lesen Sie es sogar selbst hier, in den deutschen Medien – die Frage gestellt wird, ob es überhaupt eine Ukraine gibt. Und in Russland findet man inzwischen wieder solche Ausdrücke wie "Klein-Russland" oder "Neu-Russland" für die Ukraine. Und dagegen setzt man sich zur Wehr, in diesem Fall mit untauglichen Mitteln.
    Hoffnung, dass die Ukraine nicht in eine Identitätsfalle tappt
    Novy: Könnte es also sein, dass die bisher zweisprachige Ukraine und multiethnische Ukraine jetzt immer mehr in so eine Identitätsfalle tappt?
    Schröder: Das ist eine Gefahr, und dies natürlich in einer Situation, wo es massiv antiukrainische Propaganda gibt auf den russischen Fernsehkanälen und in den russischen Medien, die sehr groß ist, dass man in der Ukraine überreagiert. Und man kann eigentlich nur auf den gesunden Menschenverstand von der ukrainischen Elite hoffen, dass sie sozusagen in diese Falle nicht tappt.
    Novy: Und das hofft nicht nur Hans-Henning Schröder.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.