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Kulturelle Inklusion
Darmstadt möchte lebendige Begegnung ermöglichen

In Darmstadt wirft ein Doppelfestival, das Anfang Mai stattfindet, schon jetzt seine Schatten voraus. Mit insgesamt 28 Veranstaltungen an zwölf Spielorten in der ganzen Stadt soll ein Stück Bewusstsein für das Thema Inklusion geschaffen werden. Kernanliegen :die lebendige Begegnung.

Von Maria Claudia Hacker | 04.04.2015
    Bereits im Hauptbahnhof sieht man den Hinweis auf seine baldige Barrierefreiheit, vor dem Eingang eines Einkaufszentrums in bunter Kreide und Großbuchstaben das Wort Vielfalt, drinnen dann ein erneuter Hinweis, diesmal auf die tatsächliche Barrierefreiheit des Gebäudes. Wir sind in Darmstadt. Hier tut sich etwas in puncto Inklusion und Integration – auch im kulturellen Bereich. So gibt es im Mai gleich zwei Festivals zum Thema Inklusion und Integration. Die Initiatoren sitzen bei einer Tasse Kaffee in der Kulturkantine, der sozialintegrativen Gastronomie der Centralstation – einer der großen Kultureinrichtungen der Stadt. Jonas Zipf, Leiter des Darmstädter Staatstheaters, erklärt sich den starken Einsatz für Inklusion in dieser 150.000-Einwohner-Stadt so:
    "Das ist ja aber auch eine gewisse Zufälligkeit, dass jetzt zwei Leitungen der zwei größten Kulturinstitutionen der Stadt sich für dieses Thema stark machen. Dann gibt es hier natürlich diese exzellente Hochschule, die sich dem Thema verschreibt. Also da kommen viele Sachen zusammen, bei denen man fast den Eindruck gewinnen könnte, als wäre das hier die inklusive Hochburg."
    Die zwei Festivals, das sind das Jugend- und Kinderliteraturfestival "Huch, ein Buch!", dieses Jahr unter dem Motto "Alle dabei!" und "Alles inklusive?!", ein Kulturfestival, das ein Bewusstsein für Inklusion schaffen will.
    Doch sind es nicht nur diese Sonderveranstaltungen, die jeweils eine Woche im Jahr mit buntem Programm füllen und dann auch wieder verpuffen. Am Staatstheater Darmstadt gelingt Inklusion – ganz im Stillen. Jonas Zipf:
    "Am Theater haben wir versucht, das ganze Jahr über gar nicht viel darüber zu sprechen, dass wir jetzt das erste Stadttheater sind, was zwei körperlich behinderte Schauspieler fest angestellt im Ensemble hat. Und haben eher versucht, Normalität darüber hinzukriegen, indem wir es nicht thematisieren."
    Auch das Kulturzentrum Centralstation hat sich der kulturellen Inklusion verschrieben. Offenbar mit Erfolg, wie die Leiterin Meike Heinigk erzählt:
    "Das Format "Fünfmal um Fünf", wo wir an soziale Brennpunkte gehen und dort kostenlos Theater für Kinder im Sommer anbieten, da gibt es tatsächlich Beispiele, dass ich Familien, die dort waren, dann wiedergetroffen habe, hier in der Centralstation, bei einem Kinderkonzert oder bei einem Kindertheater. Das ist mir schon aufgefallen und die waren auch zum ersten Mal hier und haben sich auch gefreut. Oder sind dann gleich noch mal gekommen an einen anderen Ort, nicht in ihrem Stadtteil."
    Seit die Bundesregierung die UN-Behindertenrechtskonvention im Jahr 2009 unterzeichnet hat, verfolgt sie konkret das Ziel, eine inklusive Gesellschaft zu schaffen. Doch dabei geht es nicht nur um Mobilität von Menschen mit Behinderung, sondern auch um ihr Recht, am kulturellen Leben teilzunehmen. Und gleichzeitig birgt die Verbindung von Inklusion und Kultur auch eine exklusive Freiheit, findet Jonas Zipf. Denn man braucht dann ...
    "keine Angst zu haben vor diesen typischen Fettnäpfen und diesen ganzen political correctnesses, die man sonst so an den Tag legen muss. Das darf Kultur."
    Außerdem, so meint er, gehöre auch eine gesunde Portion Humor zu erfolgreicher Inklusion. Das erlebt er im Darmstädter Staatstheater Tag für Tag.
    "Alle, die Berührungsängste haben, sind in dem Moment komplett außer Kraft gesetzt, in dem Jana Zöll, unsere Glasknochenschauspielerin sagt, du kannst mich gerne Krüppel nennen. Das macht mir gar nichts, du Fettsau - in meinem Fall jetzt. Das können Künstler und das kann Kultur. Und da haben wir ein Privileg, was eine gewisse Lockerung in so manch andere Barriere reinbringt, die woanders nicht gelockert werden könnte."
    Doch sieht Meike Heinigk trotz der bisherigen Erfolge noch Handlungsbedarf, etwa bei der Finanzierung:
    "Dass Kultur, auch wenn sie subventioniert ist, nicht nur einen Euro kosten kann, das ist halt auch das Problem. Und das ist auch immer wieder die Diskussion, dass eben gerade ein Mensch aus einem Wohnheim, für den ist es schon viel Geld, für zwei Euro eine abendfüllende Veranstaltung zu besuchen und da dann noch ein Getränk zu sich zu nehmen. Und das ist natürlich was, da muss noch dran gearbeitet werden."