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Kulturhauptstadt Guimarães bedeutet Hoffnung für die Region

Die nordportugiesische Stadt Guimarães darf sich im Jahr 2012 Kulturhauptstadt Europas nennen. In Zeiten von Finanz- und Schuldenkrise ist es in Portugal jedoch schwer, mit Kultur Akzente zu setzen. Die Stadt will das Jahr dennoch nutzen, um sich zu einem modernen Kreativzentrum zu entwickeln.

Von Thilo Wagner | 10.01.2012
    Der Wochenmarkt in Guimarães steht außerhalb der alten Stadtmauern, umsäumt von herunter gekommenen Textilfabriken, in denen seit Jahren nichts mehr produziert wird. Die Bäuerin Emília Fernandes verkauft Obst, Gemüse und Trockenfrüchte.

    Der Stadt gehe es schlecht, sagt sie, viele Menschen seien arbeitslos und die Armut nehme zu. Das Kulturhauptstadtjahr, so die Markfrau, werde an der allgemeinen Wirtschaftslage nur kurzfristig etwas ändern können:

    "Einer Handvoll Menschen wird es jetzt besser gehen. Ein paar Arbeitslose werden in den Cafés oder im Tourismus einen Job finden. Aber nach einem Jahr ist dann wieder Schluss."

    Guimarães war eines der ersten Industriezentren Portugals. Doch die Textilindustrie erlebte vor knapp einem Jahrzehnt einen rasanten Niedergang, als die Produktionsstätten internationaler Unternehmen nach Osteuropa und Asien verlegt wurden. Lokale Industrielle hätten viel zu lange auf zu einfache und damit zu billige Arbeitsvorgänge gesetzt, sagt Carlos Teixeira, der Präsident des lokalen Industrie- und Handelsverbandes:

    "Die Textilindustrie in Guimarães musste sich neu erfinden. In diesem Übergangsprozess gingen Hunderte von kleinen Betrieben Pleite. Viele Industrielle schafften den Umbruch nicht. Doch die Unternehmen, die neue, innovative Produkte suchten, die in Design und Mode investierten und die ihre eigenen Produktlinien entwarfen, waren erfolgreich. Sie werden auch die jetzige Krise überleben, weil sie die richtigen Entscheidungen getroffen haben."

    Vor drei Jahren schrieb Guimarães noch Negativrekorde in Portugal. Die Stadt hatte mit 17 Prozent eine der höchsten Arbeitslosenquoten Portugals. Mittlerweile nähert sich der Wert dem nationalen Durchschnitt von 13,2 Prozent an. Experten sind sich einig, dass die Stadt mit ihren 160.000 Einwohnern im Kulturhauptstadtjahr zusätzliche Arbeitsplätze schaffen wird. Etwa eine Millionen Besucher erwarten die Veranstalter.

    Damit der Boom nicht nach einem Jahr wieder verpufft, haben sich die Programmmacher des Kulturjahres bemüht, einen Schwerpunkt auf mittelfristige Projekte zu legen. Dabei spielt auch die Zusammenarbeit mit der ansässigen Universität eine große Rolle. Sie hat sich in den vergangenen Jahren im Bereich der Informationstechnologie über Portugal hinaus Ansehen verschafft. Hélder Sousa, zuständig für das Kulturprogramm 2012, hofft, dass Guimarães nicht Opfer des nationalen Sparzwanges wird, wenn das Jahr zu Ende geht

    "Alle Projekte, die wir angehen, sollen auch über das Kulturhauptstadtjahr hinweg weiter existieren. Etwa die Filmproduktionsplattform, die wir mitfinanziert haben. Ziel ist es, damit Investitionen internationaler Filmproduktionen nach Portugal zu holen. Oder auch eine alte Fabrikanlage, die Schauplatz vieler Kulturveranstaltungen wird. Aus dieser privaten Initiative soll ein Zentrum für Mode, Design und Architektur werden."

    Den Optimismus teilen auch die Unternehmer aus der Region. Die Stadt könne im Zusammenspiel mit neuen Ideen aus jetzt entstehenden Zentren eine neue Kraft entwickeln und Jobs schaffen. Verbandspräsident Carlos Teixeira:

    "Schon im Vorfeld hat sich das Kulturhauptstadtjahr ausgezahlt. Neue Leute sind in die Stadt gekommen, mit neuen Ideen, insbesondere aus dem kreativen Bereich, also Mode, Design, Theater und Film. Unser Industrie- und Handelsverband, aber auch andere Institutionen in Guimarães, sind fest davon überzeugt, dass die Stadt auch auf der Unternehmensebene nach 2012 zu einem der wichtigsten kreativen Zentren Portugals wird."

    Für Akademiker, Künstler und Facharbeiter bietet Guimarães interessante Beschäftigungsmöglichkeiten. An vielen Tausenden unqualifizierten Textilarbeitern geht der Boom jedoch unbemerkt vorüber. Mit den Folgen der Langzeitarbeitslosigkeit einer ganzen Arbeitergeneration wird sich die Stadt noch lange Zeit beschäftigen müssen.