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Kulturhauptstadt von Iberoamerika
Lissabons gute Beziehungen nach Lateinamerika

Lissabon ist 2017 die Kulturhauptstadt Iberoamerikas, zu der jährlich eine Stadt in Lateinamerika inklusive der ehemaligen Kolonialmetropolen Lissabon und Madrid gekürt wird. Doch welche Spuren Lateinamerikas sind im ehemaligen Mutterland noch sichtbar? Ein Begegnung mit brasilianischen Migranten, lateinamerikanischen Kulturmachern und Portugiesen mit Fernweh.

Von Tilo Wagner | 04.01.2017
    Blick über das Lissaboner Viertel Mouraria auf den Tejo
    Blick über das Lissaboner Viertel Mouraria auf den Tejo (imago stock&people)
    Vom Lissabonner Stadtteil Belém brach vor genau 517 Jahren Pedro Álvares Cabral mit seiner Flotte in Richtung Indien auf. Die Schiffe kamen vor Westafrika von der Route ab und sichteten bald ein unentdecktes Land, das später den Namen Brasilien bekommen sollte. Der Grundstein für eine Jahrhunderte lange enge Beziehung zwischen Portugal und seiner wichtigsten Kolonie war gelegt.
    Nur ein paar Meter vom geschichtsträchtigen Tejo-Ufer entfernt liegt heute das Lissabonner Lateinamerika-Haus, ein Kulturverein, der vom portugiesischen Außenministerium, der Stadtverwaltung und den Botschaften der lateinamerikanischen Staaten unterhalten wird.
    Portugals Beziehungen zu Lateinamerika seien fast ausschließlich über Brasilien gelaufen, erklärt die Leiterin Manuela Júdice. Doch das soll sich jetzt ändern.
    "Die portugiesischen Unternehmen investieren mittlerweile sehr stark in den Ausbau der Handelsbeziehungen mit Lateinamerika. Und wir in unserem Kulturverein stellen fest, dass mit den intensiveren Wirtschaftsbeziehungen auch das Interesse an der Kultur zunimmt. Die Firmen, die teilweise Mitglied in unserem Verein sind, spüren, dass sie mehr in die Kultur investieren müssen. Im bevorstehenden Kulturhauptstadtjahr erwarten wir nicht nur das Engagement der Stadtverwaltung, sondern auch der Unternehmen."
    Handel mit Lateinamerika hat kaum Bedeutung
    Portugals neu erwecktes Interesse an Lateinamerika ist auch eine Reaktion auf die Krise der vergangenen Jahre. Der Konsum innerhalb Portugals ging stark zurück und die portugiesischen Unternehmen mussten mehr exportieren, um sich über Wasser zu halten. Dennoch spielt Lateinamerika im Außenhandel immer noch keine große Rolle. Nach Brasilien - dem weiterhin wichtigsten iberoamerikanischen Wirtschaftspartner - setzte Portugal gerade mal ein Zehntel der Exportsumme ab, die das Land 2015 im Handel mit Deutschland erwirtschaften konnte.
    Anders ist das bei den kulturellen Beziehungen. Über 100.000 Brasilianer leben in Portugal. Brasilianische Musik und Literatur wird in den portugiesischen Feuilletons ausführlich besprochen; die großen Künstler treten regelmäßig in Portugal auf; und die Telenovelas aus der brasilianischen Medienfabrik Globo werden seit 30 Jahren im ehemaligen Mutterland ausgestrahlt.
    Enge kulturelle Bande zwischen Brasilien und Portugal
    Der Brasilianer Jonathan Félix hat an der Universität Lissabon gerade seine Doktorarbeit eingereicht. Als in Brasilien die politische Krise um die ehemalige Staatspräsidentin Dilma Rousseff ihren Lauf nahm, organisierte er mit ein paar Freunden eine Reihe von Demonstrationen, Mahnwachen und Diskussionsrunden. Und die Lissabonner zeigten großes Interesse:
    "Es gibt diesen intensiven kulturellen Kontakt, und dadurch ist auch bei den Portugiesen ein Interesse geweckt worden am politischen Geschehen in Brasilien. Und das hat sich wiederum in den Künstlerkreisen widergespiegelt, die sich mit dem Thema auseinandergesetzt haben. In Lissabon und Porto ist dadurch eine interessante Bewegung entstanden."
    Lissabon durch und durch europäisch
    Félix fällt es trotzdem schwer, Lissabon als iberoamerikanische Stadt zu begreifen. Portugals Hauptstadt sei durch und durch europäisch, sagt er, und daran könne auch das bevorstehende Kulturjahr nichts ändern:
    "Diese angeblich schönen Beziehungen zwischen Portugal und Lateinamerika - das ist doch alles Unfug! Die Verbindungen sind gar nicht so intensiv, wie sie immer gemalt werden, denn dafür müsste es eine größere Bewegungsfreiheit zwischen den Kontinenten geben. Doch die Migrationspolitik ist überall restriktiver geworden. In der Krise scheint weltweit die Fremdenfeindlichkeit angewachsen zu sein. Dabei scheint die Idee zu entstehen, dass nicht etwa die komplexe wirtschaftliche Situation an der Krise schuld sei, sondern die Migrationsströme."
    Trotz der sprachlichen und kulturellen Gemeinsamkeiten zwischen Portugal und Brasilien verlaufen die Beziehungen nicht immer reibungslos. In Portugal herrscht auch wegen des Einflusses der brasilianischen Medien und ihrer zum Teil reißerischen Berichterstattung über die Kriminalität in dem lateinamerikanischen Land ein mit Klischees überladenes Bild von der Ex-Kolonie. Dagegen ist das Interesse an Portugal in Brasilien allgemein relativ gering. Das Lissabonner Kulturjahr ist auch eine Gelegenheit, das vielseitige Verhältnis zwischen der europäischen Metropole und Lateinamerika neu auszuleuchten.