Samstag, 20. April 2024

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Kulturkorrespondent zu Parlamentswahl in Schweden
Steinfeld: "Das war keine Schicksalswahl"

Schweden sei nicht Bullerbü, sondern ein moderner Staat, sagt der Kulturkorrespondent Thomas Steinfeld im Dlf. Und auch wenn die Schwedendemokraten stark abgeschnitten haben, sei das noch lange nicht das Ende der offenen schwedischen Gesellschaft.

Thomas Steinfeld im Gespräch mit Michael Köhler | 10.09.2018
    Protestaktion von Gegnern der rechtspopulistischen Partei Schwedendemokraten (Sverigedemokraterna) in Trollhättan/Schweden
    Demokratischer Protest gegen die Schwedendemokraten (imago/kamerapress)
    Michael Köhler: Nach den Parlamentswahlen schauen viele besorgt nach Schweden. Die rechtspopulistischen Schwedendemokraten sind mit 17,6 Prozent drittstärkste politische Kraft. Die europäische Wirklichkeit hat auch Schweden eingeholt. Eine Regierungsbildung wird nun schwierig. Die Sozialdemokraten haben Verluste hinnehmen müssen.
    Thomas Steinfeld, Kulturkorrespondent der Süddeutschen Zeitung, der wahlweise auch in Schweden lebt, habe ich gefragt: Sie haben kürzlich zurecht noch einmal auf das Selbstverständnis der Schweden hingewiesen und einen wichtigen Begriff in diesem Zusammenhang genannt, den des "Folkhem". Der Staat als Volksheim, als sozialdemokratischer Wohlfahrtsstaat, der sich kümmert.
    Hat Jimmie Akesson, Chef der Schwedendemokraten, sich in diesem Sinne geschickt, nicht als Hetzredner, sondern als Kümmerer um‘s Volksheim inszeniert?
    Thomas Steinfeld: Die Vermutung ist völlig richtig. Das Volksheim ist ja eine Erfindung der Sozialdemokratie aus dem frühen 20. Jahrhundert. Es kam dann zum Tragen, als in den 30er-Jahren die ersten sozialdemokratischen Regierungen entstanden hier in Schweden, und das hat sich als Idee gehalten und es hält sich als Idee, obwohl Schweden eigentlich ein ganz normaler Staat ist. Aber trotzdem ist da diese Wahrnehmung, es gäbe da so etwas wie ein gemeinsames Projekt, was Menschen aller Generationen und aller Klassen und aller ideologischen Ausrichtungen miteinander verbindet. Das macht sich auch in der Parteienlandschaft, denn Schweden besteht eigentlich nur aus sozialdemokratischen Parteien. Auch die Schwedendemokraten – wir würden die als rechtspopulistisch bezeichnen – haben in Schweden einen sozialdemokratischen Anstrich.
    Schweden wird idealisiert
    Was sie nun unterscheidet von den Sozialdemokraten, die immer noch an der Macht sind, ist, dass sie dieses Volksheim in eine rückwärtsgewandte Utopie verwandeln. Sie haben dann die Idee, früher sei es besser gewesen. Das ist jetzt objektiv wahrscheinlich einfach falsch. Aber in dieser Idee werden sie unterstützt von einem großen Teil der Bevölkerung, die irgendwie – na ja – nicht so genau wissen, was sie wollen oder was sie sollen mit der Europäischen Union oder mit der Globalisierung und sich darin auch nicht wiederfinden.
    Köhler: Zu dem Konsenswillen, nenne ich das jetzt mal, gehört auch immer ein Stück Konfliktscheu. In Schweden ist man sehr auf Ausgleich bedacht. Man duzt sich, man spricht sich mit Vornamen an. Will sagen: Ist jetzt das Ende der Vertrautheit erreicht, das Ende der offenen Gesellschaft?
    Steinfeld: Ich glaube, das sind Dramatisierungen, die sich ergeben durch die etwas überhöhten Vorstellungen von Schweden, die man in Deutschland hat – davon, dass man sich partout nicht davon abbringen lassen will, dass es hier so etwas wie ein Bullerbü gibt, in dem kleine Mädchen mit roten Zöpfen herumlaufen. Aber das sind Idealisierungen, die in einem geringen Maße dem entsprechen, was in Schweden tatsächlich der Fall ist. Das ist ein moderner Staat und das ist auch ein sehr erfolgreicher moderner Staat.
    Köhler: Herr Steinfeld, Sie erlauben, wenn ich widerspreche. Mich würde Ihre Meinung interessieren. Ich glaube, es gibt doch so etwas wie ein Ereignis, das vielleicht die Schweden ins Mark, getroffen hat. Es war am 11. September 2003, vor 15 Jahren fast auf den Tag genau, als Außenministerin Anna Lindh nämlich – Sie erinnern sich – beim Einkauf niedergestochen wurde im Kaufhaus.
    Steinfeld: Aber natürlich!
    Köhler: Sie ging ohne Begleitung durch Personenschützer. Das zeigt auch den alten Begriff der Bürgernähe, des Vertrauens. Das ist doch jetzt irgendwie weg. Das ist doch, salopp gesagt, im Eimer, oder?
    Steinfeld: Ich würde sagen, nein! Da würde ich wieder Ihnen widersprechen.
    Köhler: Sehr gut.
    Steinfeld: Wenn ich einfach an meinen Bekanntenkreis denke, dann gibt es da Menschen, die aus sehr, sehr unterschiedlichen Verhältnissen stammen und sehr unterschiedliche Dinge machen. Das liegt zwischen einem Schreiner und dem ehemaligen Botschafter. Die gehen trotzdem alle mit Du und sehr gleichen Formen miteinander um.
    Keine Wahlentscheidung zu grundlegenden Werten
    Köhler: Sie sind Feuilletonist. Gibt es eigentlich im Moment keine Intellektuellen, die den Mund aufmachen oder sich organisieren? Oder kriege ich das nur nicht mit?
    Steinfeld: Ja, das gibt es schon. Aber die Schriftsteller sind hier in einem geringeren Maße politisiert, als man das aus Deutschland kennt. Jemand wie Robert Menasse oder Juli Zeh, das würden Sie hier vergeblich suchen. Auf der anderen Seite gibt es eine Zeitungslandschaft, die sehr, sehr lebendig ist, und da gibt es einige Leute, die durchaus starke intellektuelle Meinungen haben, zum Beispiel Per Svensson, der politische Chefredakteur von Dagens Nyheter. Das ist die große Zeitung. Das ist ein richtiger intellektueller, scharfer Kopf, so wie es das auch in Deutschland gibt.
    Köhler: Sie klingen nicht sehr besorgt. Ihnen geht es zu gut?
    Steinfeld: Erwartet wurde ja bei dieser Wahl eine Schicksalswahl. Es sollte sich entscheiden, was mit Schweden passiert, und es hieß ja in der schwedischen Presse, das sei jetzt zum ersten Mal seit vielen Jahren keine Wahl mehr über Arbeitslosigkeit oder Krankenversicherung oder sonst irgendwas, sondern das ginge jetzt an die grundlegenden Werte. Genau das ist nicht eingetreten und deswegen bin ich in einem gewissen Sinne erleichtert.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.