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Kulturpolitischer Tausendsassa

Enrico Letta heißt der neue Ministerpräsident Italiens. Mit dem Amt des Kulturministers hat er Massimo Bray betraut. "Endlich wieder ein Kulturpolitiker, der weiß, worum es geht", sagt Journalist Thomas Migge über Bray.

Thomas Migge im Gespräch mit Doris Schäfer-Noske | 28.04.2013
    Doris Schäfer-Noske: In Italien ist heute die neue Regierung unter Ministerpräsident Enrico Letta vereidigt worden. Sie bringt dessen Demokratische Partei, das konservative Volk der Freiheit des ehemaligen Ministerpräsidenten Silvio Berlusconi und die Zentrumspartei des bisherigen Ministerpräsidenten Mario Monti in einer großen Koalition zusammen. Neuer Kulturminister dieser Regierung ist der 54-jährige Massimo Bray von der Partei des Regierungschefs. Thomas Migge, wer ist denn dieser neue Kulturminister genau?

    Thomas Migge: Das ist erst einmal ein Linksdemokrat, also in Deutschland würde man sagen, ein Sozialdemokrat, und ein Mann der Kultur, denn 1991 trat er als Redakteur in den Tricani-Verlag ein, das ist der wichtigste italienische Lexikonverlag. 1994 wurde er Verlagsdirektor. Darüber hinaus ist er Chef des Verwaltungsrats einer Veranstaltung, die heißt "Notte de la taranta", das ist Europas größtes Festival für Volksmusik. Dabei muss man allerdings bedenken, dass Volksmusik, die "Musica Populare" in Italien eine andere Bedeutung hat als in Deutschland. Italiens Musica Populare, die Pflege der original-traditionellen, alten Musikkultur der einzelnen Regionen, also eine ernste Sache. Darüber hinaus ist Bray Direktor der kulturpolitischen Zeitung "Italianieuropei", die von der gleichnamigen Stiftung des Sozialdemokraten Massimo D'Alema herausgegeben wird. Und er hat einen Blog in der Webzeitung, der italienischen Ausgabe der "Huffington Post".

    Schäfer-Noske: Was werden denn seine Themen sein, also was können wir von ihm erwarten?

    Migge: Also bei verschiedenen Veranstaltungen der italienischen Sozialdemokraten wurde er darauf angesprochen, was er kulturpolitisch machen würde, wenn er denn Kulturminister wäre, und da zeichnete sich noch nicht ab, dass er es einmal werden würde, und da meinte er, dass auf jeden Fall breit gestreut alle Kulturinitiativen in Italien gefördert werden müssten. Vom Festival für Volksmusik, also Musica Populare, bis hin zu den Opernhäusern. Das ist natürlich ein großes Versprechen, das angesichts der desolaten finanzpolitischen Lage Italiens nicht unbedingt befriedigt werden kann, jetzt, wo er Minister ist. Er hat sich mehrfach darüber geäußert, dass alle Aspekte des italienischen Kulturlebens mehr finanziert werden müssten, als das bisher der Fall ist.

    Schäfer-Noske: Das könnte natürlich im schlimmsten Fall eine Art Gießkannenprinzip bedeuten, wo dann jeder ein bisschen was, aber keiner genug bekommt. Was kann er denn aus den Fehlern seiner Vorgänger lernen?

    Migge: Da kann er eins lernen, und ich glaube, das braucht er gar nicht zu lernen, dass man sich überhaupt um Kulturpolitik kümmert. Denn seine drei Vorgänger, das war Lorenzo Ornaghi, ein Politologe der Monti-Regierung, Sandro Bondi und Giancarlo Galan, die beide der Berlusconi-Partei der Freiheit angehörten, das waren alles Leute, die einfach mit einem Posten versorgt werden mussten und von Tuten und Blasen in Sachen Kulturpolitik überhaupt keine Ahnung hatten. Das heißt also, Massimo Bray ist endlich wieder ein Kulturpolitiker, der weiß, worum es geht, oder wissen müsste, worum es geht, und insofern denke ich mir, wenn er sich schon alleine um sein Ressort ernsthaft kümmert, ist damit schon viel getan in Italien.

    Schäfer-Noske: Was sind denn zurzeit die größten kulturellen Baustellen in Italien?

    Migge: Die wichtigste ist natürlich Pompeji, das erst von einigen Monaten knapp 100 Millionen Euro von der Europäischen Union bekommen hat, um von Grund auf restauriert und gepflegt zu werden. Dieses Geld – bisher ist noch nichts geschehen, also ich denke mir, um diese Großbaustelle muss er sich als erstes kümmern. Und das andere sind natürlich die italienischen Theater, von denen viele vor dem Bankrott stehen, nachdem die Berlusconi-Regierungen und auch die Regierung Monti massenweise Geld gekürzt hat, sowie die vielen italienischen staatlichen Museen, die auch nicht finanziell über die Runden kommen und jedes Jahr zum Beispiel, nur ein Beispiel, müssen zum Beispiel die Uffizien in Florenz darum zittern, weil sie nicht wissen, wie sie ihre Stromrechnung bezahlen müssen. Das sind Zustände, die, denke ich mir, in einem Land, das zur Europäischen Union gehört, abgeschafft gehören.

    Schäfer-Noske: Welche Stellung hat er denn, wenn man an Ministerpräsident Letta denkt?

    Migge: In allen Listen, wo Italiens Minister aufgezählt werden, landet das Kulturministerium immer an letzter Stelle. Das betrifft auch das Budget, das ungefähr ein Prozent des Gesamtbudgets der italienischen Regierung betrifft. Also eine ganz geringe Summe in Relation zu den weltweit meisten Kulturgütern, die man in Italien finden kann. Und von diesem einen Prozent gehen noch 60 Prozent für laufende Kosten weg. Das heißt, ich denke mir, er hat es auch schon mehrfach gesagt bei anderen Veranstaltungen, dass das Budget für sein Ministerium, also für das Kulturministerium deutlich erhöht werden muss, denn sonst kann man nicht viel machen in Italien.

    Schäfer-Noske: Gibt es denn schon erste Reaktionen auf die Vereidigung von Massimo Bray?

    Migge: Ja, es gibt schon erste Reaktionen, und zwar Rita Paris, verantwortlich für das Römische Nationalmuseum meinte, dass sie jetzt hofft, dass es endlich mehr Investitionen in archäologische Grabungen gibt. Und Umberto Eco hofft im Ganzen jetzt auf mehr Investitionen in der Kulturpolitik, und auch Stephane Lissner, Intendant der Scala in Mailand, meinte, dass doch jetzt hoffentlich die Probleme der italienischen Opernhäuser gelöst werden könnten. Das sind große Hoffnungen.

    Schäfer-Noske: Thomas Migge war das über den neuen italienischen Kulturminister Massimo Bray.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.