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Kulturschaffende fordern Seehofers Rücktritt
"Als Bundesinnen- und Verfassungsminister untragbar"

Prominente wie Meret Becker, Burghart Klaußner, Inga Humpe oder Peter Lohmeyer haben einen Aufruf für den Rücktritt von Innenminister Seehofer unterschrieben. "Es ist ein Punkt erreicht, an dem viele meinen, es reicht", sagte der Mitinitiator und Schriftsteller Moritz Rinke im Dlf.

Moritz Rinke im Gespräch mit Michael Köhler | 21.09.2018
    Der Schriftsteller Moritz Rinke
    Der Schriftsteller Moritz Rinke (dpa / picture-alliance / Ole Spata)
    Michael Köhler: Kulturschaffende fordern den Rücktritt Seehofers. So ist es auf einer Website zu lesen, die seit heute Nachmittag online ist. Auf der Unterzeichnerliste finden sich Berlinale-Chef Dieter Kosslick, Schauspieler wie Peter Lohmeyer, Burghart Klaußner, Meret Becker und viele andere. Einige hundert Kulturschaffende haben die Erklärung unterschrieben, mit der sie sich gegen die Politik des Bundesinnenministers Horst Seehofer stellen. Sie zeigen sich entsetzt. Unter den fünf verantwortlichen Unterzeichnern ist auch der Berliner Dramatiker und Schriftsteller Moritz Rinke. Ihn habe ich gefragt, was macht Horst Seehofer denn falsch, wo er doch eingelenkt und den Koalitionsbruch vermieden hat.
    Moritz Rinke: Ich glaube, wenn sich so viele Kulturschaffende gemeinsam auf Formulierungen einigen und sich hinter eine Erklärung stellen, dann muss, glaube ich, schon sehr viel passiert sein. Und es sind ja Kulturschaffende wirklich aus allen Bereichen und wir merken gerade an der Zustimmung vieler, vieler anderer, dass es offenbar einen sehr breiten Konsens links und sogar rechts der Mitte gibt, dass mit den Ereignissen in Chemnitz und den politischen Verlautbarungen danach – sei es durch Seehofer oder seinen Verfassungsschutzpräsidenten -, dass durch diese gezielten Aussagen ein Punkt erreicht ist, an dem viele meinen, es reicht.
    Macht- und parteipolitische Interessen wichtiger
    Und jetzt sagen Sie, dass er alles richtig macht, dass er den Koalitionsbruch vermieden hat. Dann fragen natürlich jetzt die Kulturschaffenden – und das drückt ja auch dieser Aufruf aus -, ist es denn recht, wenn ein Bundesinnenminister, der ja auch gleichzeitig Verfassungsminister ist, durch politische Strategien in den letzten Monaten zeigt, dass ihm machtpolitische oder parteipolitische Interessen wichtiger sind als die Arbeitsfähigkeit der Koalition. Er mag sie ja jetzt vor einem Bruch bewahrt haben, aber um welchen Preis. Die Einlassung des Innenministers nach den Ereignissen in Chemnitz halten diese Unterzeichnenden für untragbar.
    Köhler: Was werfen Sie ihm denn vor?
    Rinke: Ich erinnere an Sätze nach Chemnitz, dass er am liebsten mit selbst auf die Straße gegangen wäre. Ich erinnere an Sätze wie den, dass er die Migrationsfrage als Mutter aller politischen Probleme sieht und damit mal eben 18,6 Millionen Menschen mit migrantischen Wurzeln in Deutschland in Geiselhaft nimmt und vor allem als Ursache dieses Problems hinstellt. Die Versuche, am rechten Rand Stimmen zu fangen, bestärken nicht die Kräfte einer bürgerlichen Gesellschaft, sondern ganz im Gegenteil. Sie stärken die Kräfte einer, sich eindeutig zu diesen Werten der Verfassung offenbar nicht mehr bekennenden Regierungskoalition. Und so jemand finde ich als Bundesinnenminister und als Verfassungsminister untragbar.
    Seehofer sollte zurücktreten
    Köhler: Was fordern Sie denn jetzt in dieser Situation?
    Rinke: Sie sagen es: Es ist immer ein bisschen kokett, wenn Kulturschaffende den Rücktritt eines Innenministers oder überhaupt eines Politikers fordern. Es ist Ihnen vielleicht aufgefallen, dass diese Erklärung nicht mit dem Wort "muss zurücktreten" arbeitet, sondern mit dem Wort "sollte". Ich glaube, dass die Kulturschaffenden, die ja in der Regel in ihren Arbeiten das Thema Respekt, Menschenwürde, Achtung vor anderen bearbeiten, dass die an einen Punkt gekommen sind, wo sie offenbar spüren, dass es jetzt konsequenter Erklärungen bedarf, weil offenbar die Opposition, die parlamentarische Opposition, wie wir ja auch an der Handhabung des Falls Maaßen gesehen haben, nicht mehr dazu in der Lage ist.
    Köhler: Sie entsinnen sich: Vor einem Jahr hat kein Geringerer als der CSU-Politiker Peter Gauweiler gesagt: "Horst, es ist Zeit." Der Sommer war sehr groß, müsste man ergänzen in Rilke-Manier. Wenn ich Sie jetzt mal neben Ihren Dramatiker-Qualitäten als großen Fußballfan frage: Hat Horst Seehofer keine Verteidigerqualitäten? Muss er, um im Bild zu bleiben, vom Platz?
    Rinke: Ich glaube, dass die politische Strategie sehr, sehr, sehr gefährlich ist zu sagen, wir fischen am rechten Rand Stimmen, stärken damit nicht die Kräfte einer bürgerlichen Gesellschaft, sondern versuchen, im Fahrwasser der AfD zu punkten. Als Verfassungs- und Innenminister ist er quasi der oberste Wächter mit dem Verfassungsschutzpräsidenten dieser Verfassung. Da finde ich dieses Gebaren unwürdig.
    Am rechten Rand zu fischen ist die falsche Politik
    Man kann natürlich darauf spekulieren, dass die Landtagswahlen in Bayern Seehofer zur Geschichte machen, aber ich würde mich darauf wirklich nicht verlassen. Noch mal: Ich finde es eine falsche Politik, nur am rechten Rand zu fischen. Ich glaube, den Menschen, die heute AfD wählen, geht es nicht nur um die Migrationsfrage, sondern die fühlen sich in diesem Land nicht beachtet, nicht gesehen, nicht geachtet, und das löst Wut aus. Und wenn man die letzten Monate der Regierung sieht, die sich wenig um Themen wie Kita, wie Klimawandel, Digitalisierung kümmert – und ich erinnere an die Autoindustrie, die offenbar machen kann was sie will, die die Menschen betrügt, und nichts geschieht -, das macht, glaube ich, Menschen wütend. Und ich finde, wenn diese Regierung mehr ihre Arbeit wieder aufnehmen würde, wirklich die Themen angehen würde, die die Menschen interessiert, dann müsste man auch nicht permanent im Fokus der Migrationsfrage nach Stimmen fangen. Das spaltet unsere Gesellschaft und das tut der Innenminister, das tut sein ihm untergebener Verfassungsschutzpräsident, das tut eine Beförderung dieses Verfassungsschutzpräsidenten zum Staatssekretär, und das ist ein denkbar ungünstiges Bild, was wir vor allem auch für das Ausland gerade bieten.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.