Kulturschaffende im Porträt (2/3)

Die österreichische Schriftstellerin Vea Kaiser

43:50 Minuten
Ein Zimmer für sich allein, das wusste schon Virginia Woolf, ist wichtig, um produktiv zu sein.
Ein Zimmer für sich allein, das wusste schon Virginia Woolf, ist wichtig, um produktiv zu sein. © Paul Lohberger
Von Paul Lohberger · 13.08.2021
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Vea Kaiser lebt fürs Schreiben: Früh aufstehen, Sport machen, mit dem Hund zur Schreibwohnung laufen, schreiben, recherchieren. Langweilig sei das, sagt sie selbst. Dabei sprudeln aber unermüdlich Anekdoten aus ihr heraus und Wissen über griechische Mythen, weshalb es gar nicht langweilig wird, ihr zuzuhören.
Einer breiten Öffentlichkeit bekannt wurde die Österreicherin mit nur 23 Jahren durch ihren ersten Roman "Blasmusikpop oder Wie die Wissenschaft in die Berge kam", den sie 2012 veröffentlichte. Seitdem hat sie zwei weitere Romane veröffentlicht und sich damit einen festen Platz in der deutschsprachigen Literatur gesichert. Stetig große Werke zu schaffen ist allerdings eine vereinnahmende Tätigkeit. Mit lockerer Bohème hat Vea Kaisers Leben nichts zu tun. Im heutigen Literaturbetrieb haben launische Genies auch gar keinen Platz mehr, stellt sie im Gespräch klar.
Der Tag beginnt mit einem Spaziergang entlang am Wiener Donaukanal. Gut gelaunt erzählt die Schriftstellerin, wie ihr Hund Dante zu seinem Namen kam: "Wir wollten ihn ursprünglich Macchiato nennen, also das war die Idee meines Mannes, der halber Italiener ist, weil er so einen Fleck hat, und 'Macchiato' ist ja der 'Gefleckte'. Nur, dann stellte sich heraus, dass bis zu dem Zeitpunkt, an dem man als Hundebesitzer 'Macchiato' geschrien hat, ist das Unheil, das man mit dem Schrei verhindern will, schon geschehen. Und dann brauchten wir einen kürzeren Namen und auf der Suche nach einem Namen, der irgendwie ja auch uns beide Hundehalter repräsentiert, also eine Mischung aus Literatur und Italienisch, kamen wir dann sehr schnell zu Dante, haben dann aber nicht bedacht, dass gerade in Österreich es ja keinen Unterschied zwischen Dante Alighieri gibt und dem gerufenen Wort 'Tante'. Weswegen alle Kinder immer glauben, er ist eine 'sie' und heißt 'Tante'."

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Spaziergang durch Wien

Der Weg am Donaukanal gleicht einer innerstädtischen Partymeile. "Ich wohne hier seit einigen Jahren, und als ich hierhergezogen bin, war der Donaukanal so eine 'verranzte Gschtättn neben einem Drecksgschluder-Wasser'. Ich mochte das immer ganz gerne. Es gab so zwei, drei Buden, so Holzhütten, die untrinkbare Mixgetränke ausgeschenkt haben und wo das Bier oder der Wein immer ein bisschen zu warm war, weil die natürlich alle so sehr rustikale Kühlschränke hatten." Diese Zeiten sind aber vorbei, der Donaukanal ist zur schicken Feierzone geworden. Vea Kaiser kennt die Gegend gut, da sie und ihr Hund Dante hier fast jeden Tag entlanggehen, um zu ihrem "Schreibstübchen" im zweiten Bezirk zu gelangen.
Der Donaukanal hat sich von einer unbelebten Gegend zur Ausgehmeile entwickelt.
Der Donaukanal hat sich von einer unbelebten Gegend zur Ausgehmeile entwickelt.© imago
Warum sie nicht zu Hause arbeitet? Vea Kaiser lacht und erzählt, dass ihr Arbeitsrhythmus sich überhaupt nicht vertrage mit dem ihres Mannes, einem Arzt. "Es stellte sich heraus, dass es nicht möglich ist, dass ich in derselben Wohnung arbeite, in der er nach dem Nachtdienst nachhause kommt, denn ich empfinde Schreiben schon als wahnsinnig anstrengend und ich verstehe Dorothy Parker, die diesen berühmten Ausspruch getätigt hat: 'I hate writing, I love having written', also: 'Ich hasse es, zu schreiben, aber ich liebe es, geschrieben zu haben'." Die Lösung war die 30-Quadratmeter-Wohnung, die zugleich auch das Heim von Vea Kaisers Büchern ist. Für eine geschriebene Seite soll man hundert Seiten lesen, betont die Altphilologin und zeigt dem Autor ihre Bibliothek mit österreichischer Literatur, Sachbüchern und antiken Geschichten. Neben Büchern konsumiere sie sehr viel Koffein, gibt Vea Kaiser zu: "Also wir haben drei Kaffeemaschinen, eine italienische Schraubmaschine, eine Bialetti, dann haben wir so einen Kapselautomaten, aber keine Nespresso, weil die finde ich furchtbar, und dann haben wir hier eine ganz klassische Filterkaffeemaschine und hier noch einen Wasserkocher. Mit anderen Worten, ich habe ein Koffeinproblem."

Bücher als geistiges Grundnahrungsmittel

Wenn Vea Kaiser ihre Schreibwohnung mal verlässt, geht sie entweder zum Mittagessen ins Restaurant ihrer Schwiegereltern oder in die Bibliotheken der Stadt, um noch mehr Bücher einzusammeln: "Ich bin große Konsumentin dieser regionalen Geschenkgeschichtsbücher. Ich hab' die alle. 'Wir Kinder vom Jahrgang 1941, 42 …'. Da steht dann drin was die alles erlebt haben, so Details, wie man sich damals gewaschen hat, z.B.", erläutert die Autorin, während sie durch das labyrinthische Gangsystem der Unibibliothek Wien läuft. Diese Informationen lässt sie in ihre Romane einfließen, um ihnen so ein authentisches Zeitkolorit zu verleihen. Neben dem belletristischen Schreiben arbeitet Vea Kaiser auch noch an ihrer Dissertation in Altphilologie. Die antike Kultur ist ihre intellektuelle Heimat, die sie mit kleinen Videos zu literarischen Themen auch ihren Leserinnen und Lesern in den Sozialen Medien näherbringen möchte.
Ein Portrait von Vea Kaiser. Sie lächelt verschmitzt in die Kamera, trägt die schulterlangen, braunen Haare offen. Der rote Lippenstift ist auf ihre gleichfarbige Lederjacke abgestimmt.
Seit dem großen Erfolg ihres Debutromans „Blasmusikpop“ 2012 kann Vea Kaiser vom Schreiben leben.© imago

Sexismus im Literaturbetrieb

Bei der Frage, ob sie mit der Bezeichnung "Altphilologin und Jungautorin" einverstanden sei, wird Vea Kaiser ernst: "Also schau, grundsätzlich ist es halt extrem sexistisch. Weil du würdest jetzt ja auch nicht irgendwie schreiben, 'Altphilologe und Jungautor', wenn ich ein Mann wäre. Also dieses Reduzieren auf das Alter macht man halt mit Autorinnen, aber nicht mit Autoren." Viel zu lange habe sie es sich gefallen lassen, als "Fräuleinwunder" tituliert zu werden, "es gibt ja auch kein 'Burschiwunder'", hält sie dem entgegen.

Sarah Bosetti - Hass ist Energie
"Je politischer ich geworden bin, desto krasser wurden die Hasskommentare." Um dem etwas entgegen zu setzen, verwandelt die Kabarettistin Sarah Bosetti Anfeindungen in Liebeslyrik, über die sie sich gemeinsam mit dem Publikum amüsieren kann.

05.05.2017, Bayreuth,Das Zentrum,Sarah Bosetti - Ich will doch nur mein bestes 2017, Foto: Sarah Bosetti Copyright: HMBxMedia/xMatthiasxKimpel
© imago / Matthias Kimpel
Sie habe aber das Gefühl, dass junge Frauen mittlerweile mehr anerkannt würden im Literaturbetrieb und die Generation nach ihr nicht mehr so sehr mit der Ungleichbehandlung zu kämpfen hätte. Dabei betont sie, dass auch Frauen selbst nicht vor dem eingeübten Sexismus gefeit seien: "Eine Buchhändlerin sagte zu mir nach der Lesung – ich hatte schon mit jedem meiner drei Romane bei ihr gelesen: ‚Nach dem ersten habe ich mir gedacht, ja das ist ja so ein One-Hit-Wonder. Nach dem zweiten habe ich mir gedacht, na, jetzt hat die noch einmal Glück gehabt, aber jetzt, nach dem dritten habe ich gemerkt, Sie können ja wirklich richtig gut schreiben!‘ Das war eine ganz tolle Buchhändlerin, die sich auskennt, und ich habe gemerkt, wenn du eine junge Frau bist und halt auch nicht unbedingt ausschaust wie ein Kartoffelsack, dann musst du einfach damit kämpfen, dass die Leute dich grundsätzlich für nicht so intelligent, für nicht so weltgewandt, für nicht so begabt halten, wie einen Mann gleichen Alters."
Angesprochen auf ihre Zukunftspläne ist Vea Kaiser entspannt aber auch fatalistisch. Sie kann gut leben von ihrer Schreibtätigkeit und an Ideen mangele es ihr sowieso nicht: "Ich bin jetzt 31 Jahre. Ich habe jetzt so ad hoc 20 bis 30 Buchideen im Kopf. Ich brauche drei Jahre im Schnitt für einen Roman. Also man kann nachrechnen, das geht sich nicht aus, wie wir in Wien sagen."
Erstsendedatum 18.12.2020
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