Dienstag, 19. März 2024

Archiv

Kulturschaffende in Nicaragua
Eine Gegenöffentlichkeit zum Regime

1979 befreite sich Nicaragua von einer Diktatur. Doch 40 Jahre später hat sich mit dem Ehepaar Ortega und Murillo ein neues Regime in dem zentralamerikanischen Land breitgemacht. Die Kulturschaffenden wehren sich dagegen.

Von Peter B. Schumann | 20.01.2019
    Polizisten in Managua halten Ausschau nach Regimegegnern
    Polizisten in Managua halten Ausschau nach Regimegegnern (AFP / Inti Ocon)
    Vom Zorn des Volks auf die Lügen und Repression der Regierung singt diese Rockband, vom Wunsch nach Freiheit von einem tyrannischen Regime und von der Bereitschaft der Jugend, dafür zu kämpfen. Sie gehört zum Canto Vandálico, einem virtuellen Konzert, das nur in den sozialen Netzen zu erleben ist. Der Titel lässt sich mit "Rebellengesang" übersetzen, aber der Kontext ist ein anderer.
    Vandalen nannte die Regierung die Aufständischen im April 2018, um sie zu diskreditieren. Diese machten sich den Begriff jedoch zu eigen als Ausdruck von Rebellion und von Opposition.
    Freie Presse muss in Nicaragua mit Einschränkungen rechnen - zum Beispiel bei Papier und Druckerschwärze
    Freie Presse muss in Nicaragua mit Einschränkungen rechnen - zum Beispiel bei Papier und Druckerschwärze (AFP / Inti Ocon)
    Luis Carlos Kliche Navas gehört zum Netzwerk Nicaragua-Alemania. Es unterstützt den Kampf der Opposition um die Demokratie unter anderem mit Informationen.
    "Die Situation ist für die insgesamt sechs Bands sehr schwierig, denn sie treten mit den vollen Namen ihrer Mitglieder auf. Das ist angesichts der Paranoia des Regimes sehr riskant. Sie müssen über Unterstützer und sichere Rückzugsorte verfügen. Denn eine ganze Reihe von Künstlerinnen und Künstlern mussten das Land bereits verlassen, weil sie gefährdet waren, wie zum Beispiel unsere berühmtesten Protestsänger, die Brüder Mejía Godoy."
    Audrucksmittel der Opposition - der Rock
    Die Musik, vor allem der Rock, gehört zu den wichtigsten kulturellen Ausdrucksmitteln der Opposition. Daneben spielen die Fotoreporter der wenigen regimekritischen Medien eine aufklärerische Rolle. Seit vergangener Woche ist ihrer gefährlichen Arbeit als Dokumentaristen des Widerstands die Ausstellung Memoria Multimedia gewidmet.
    Sie findet im Kulturzentrum der Fundación Chamorro statt, der einzigen Begegnungsstätte, in der noch eine kritische Auseinandersetzung möglich ist. Ein halbes Dutzend der Reporter hat die Geschichte des friedlichen Protestes der Bevölkerung in den ersten acht Monaten minutiös in Bild und Video festgehalten: den Mut, vor allem auch der Frauen, sich der Repressionsmaschinerie zu stellen, die Leiden der zahllosen Verwundeten und der Angehörigen von Verschwundenen und Toten, deren Zahl in die Hunderte geht.
    Meinungsfreiheit: Jetzt erst recht
    Am Tag, als einige der Fotografen von der Stiftung ausgezeichnet wurden, zog eine militärische Sonderheit vor dem Gebäude auf - eine Drohkulisse des Regimes. Cristiana Chamorro Barrios, die Präsidentin der Stiftung:
    "Das ist ein Tag von besonders großer Spannung. Als ich diese Sondereinheit sah, dachte ich, jetzt müssen wir erst recht die Meinungsfreiheit hervorkehren, so, als ob man dem Teufel das Kreuz zeigt. Denn ich empfinde bei dieser Preisverleihung den gleichen Schmerz wie vor 41 Jahren, als wir meinen Vater begraben haben, der ermordet wurde von einer repressiven und skrupellosen Diktatur wie der heutigen."
    Maskierte Demonstranten in Managua
    Maskierte Demonstranten in Managua (AFP / Inti Ocon)
    Damals bekämpfte der heutige Präsident Ortega die Somoza-Diktatur. – Die Kulturschaffenden wehren sich mit allen Mitteln gegen die fortschreitende Zersetzung der Demokratie. Die Karikatur ist eine der populärsten Waffen, und Pedro Javier Molina ist ihr überragender Zeichner. Keiner hat wie er die Verschwendungssucht von Vizepräsidentin Murillo so scharf getroffen oder Heiligabend so eindrucksvoll auf die aktuelle Repression bezogen wie in dem Bild von der Ankunft der heiligen drei Könige, die vor einer Hütte in Flammen stehen. Unterzeile: Die Paramilitärs waren schon da.
    Kultur als Gegenöffentlichkeit
    Viele der Karikaturen und der anderen oppositionellen Beiträge sind nur im Internet zu finden. Luis Carlos Kliche Navas:
    "Heute gewinnen die sozialen Netze immer mehr an Gewicht. Vor allem in diesem Land, wo uns viele Medien versperrt wurden. Sie sind bis jetzt das am leichtesten zugängliche Kommunikationsmedium und das sicherste für die Opposition, weil die Autoren riskanter Informationen kaum aufzufinden sind."
    Im Kampf gegen die Diktatur Ortega/Murillo ist die Kultur zu einem unverzichtbaren Instrument der Gegeninformation geworden, das den Geist des Widerstands weiterträgt.